Else Ury

Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band)


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      »Ich zieh’ mein weißes Voilekleid an« – »ich mein mattblaues, die Eierflecke sieht man kaum noch« – »ich möchte am liebsten im Badeanzug kommen.« Das war natürlich wieder Annemarie, die solche unmöglichen Wünsche hatte.

      Dessen ungeachtet bestürmte sie zu Hause die Mutter, das nagelneue Mullkleid mit den Rosenknospen, das eigentlich bis zur Tanzstunde im Winter bleiben sollte, anziehen zu dürfen.

      »Es ist so wundervoll leicht bei der Hitze. Und Marlenes Geburtstag ist doch eine würdige Gelegenheit, es einzuweihen. Bitte, Muttchen, erlaub’s doch.« Nesthäkchen fing nämlich neuerdings an, etwas eitel zu werden.

      »Lotte, du hast kein Vergnügen, wenn du dich mit dem neuen Kleid fortwährend vorsehen mußt. Die Wagen, mit denen man jetzt fährt, sind auch nicht allzu sauber. Und möglichenfalls kriegen wir ein Gewitter. Es liegt mir in den Knochen.« Diese drei Gegengründe waren eigentlich durchaus einleuchtend. Aber nicht für Annemarie. Für die bestand angeblich das größte Vergnügen darin, nur auf das neue Kleid zu achten. Die würde sich den feinsten Kremser mit roten Samtpolstern heraussuchen; und in ihren Knochen lag herrlichster Sonnenschein.

      Als sie dann eine halbe Stunde später abschiednehmend in dem Rosenknospenkleid erschien – denn mit Bitten und Schmeicheleien hatte sie es wirklich durchgesetzt – da schaute die Mutter doch stolz auf ihr hübsches Töchterchen, das selbst wie eine taufrische Rosenknospe anzusehen war. Auch Puck musterte sie mit verständnisvollem Schwanzwedeln.

      Puh – war das heiß! Man sah die Hitze förmlich in den Straßen kochen. Jedes Haus, jede Mauer strömte Siedeatem aus. Die Menschen schlichen ermattet.

      Die vier Backfische, die sich am Zoologischen Garten trafen, schienen von der Glut nichts zu merken. Die glühten selbst den Freuden der heutigen Geburtstagsfeier entgegen. Die merkten auch nicht, daß sich der Himmel mit einem feinen weißlichen Schleierdunst bezogen hatte. Regen – ausgeschlossen! Keine hatte einen Schirm bei sich, denn wie hätte sich solch ein schwarzes Ding wohl zu den zarten hellen Kleidern ausgenommen!

      Annemies Rosenknospenkleid wurde gebührend bewundert. So eingehend, daß der einzige Kremser, der noch dort stand, inzwischen besetzt war.

      »Schadet nichts, auf dem Bock zu kutschieren, macht viel mehr Spaß.« Annemarie schwang sich sofort auf das hohe Rad eines niedlichen Jagdwagens, und von dort aus gewandt auf den Kutschbock. Daß die Frisuren des neuen Kleides dabei gedrückt wurden, merkte das huschlige Fräulein nicht.

      »Kommt, Kinder, hier oben hat man ’ne feine Gebirgsaussicht! Margot, sei doch nicht so tolpatschig, auf die Räderspeiche mußt du treten. Vera, du turnst zu mir auf den Bock herauf. Äx, du riechst ja nach einem ganzen Parfümgeschäft, Marianne, wie hast du dich denn bloß einbalsamiert!« Ein Mühlrad kam mit Annemaries Mundwerk nicht mit.

      So – nun waren sie sämtlich aufgeladen. Margot, puterrot vor Hitze und Angst bei der ungewohnten Besteigung. Marianne, beschämt und parfümduftend; sie war heimlich an Mutters Toilettentisch gegangen und hatte des Guten zuviel getan.

      »Verachen, wir haben den besten Platz.« Stolz thronten die beiden Freundinnen untergeärmelt auf dem Bock.

      »Verachen muß wieder runter,« entschied der dicke Kutscher gelassen. »Da komm ich hin.«

      »Ach, wir rücken zusammen, wir haben alle drei Platz, Herr Kutscher,« bat Annemarie.

      »Nee, bei die Hitze is mich das zu mollig. Mir schwitzt schon so wie nach Fliedertee. Verachen muß runter. Allenfalls kann sie noch hinten zwischen die andern Fräuleinchens sich dünne machen.« Dabei blieb der Kutscher.

      Es half nichts, Verachen mußte den gefahrvollen Abstieg antreten.

      »O Gott, meine schönes Kleid!« – Da hatte der weiße Schleierstoff an den frischgeteerten Wagenspeichen gestreift und zeigte düstere Färbung. Vera fing fast an zu weinen vor Ärger.

      »Wir waschen es gleich bei Marlene aus« – »ist ja Waschstoff« – »bloß sich dadurch nicht die Laune verderben lassen.« Von allen Seiten sprach man ihr gut zu.

      »So, Herr Kutscher, nun kann’s losgehen.«

      »Erst berappen, meine Herrschaften, zwei Mark pro Mann.«

      »Ist das drittel Dutzend nicht billiger?« erkundigte sich die ausgelassene Annemarie.

      Das Wägelchen setzte sich in Bewegung. Die drei auf dem schmalen Rücksitz klammerten sich fest aneinander, um nicht herunterzufallen. Man quiekte bei jeder Straßenbiegung. Annemarie hätte am liebsten trotz der Hitze den dicken Kutscher untergeärmelt. Sie schwebte da oben auf der äußersten Bockkante. Denn ihr umfangreicher Nachbar brauchte fast den ganzen Sitz für sich allein.

      Wagen über Wagen. Wirklich, ganz Berlin auf Rädern. Vater hatte recht. Scherzworte flogen hinüber und herüber. Das stattliche Jagdwägelchen mit seinen blühenden Insassen wurde öfters die Zielscheibe für den Berliner Witz.

      Annemarie antwortete keck. Sie war schlagfertig und verstand auf einen Scherz einzugehen. Margot verkroch sich ängstlich, Marianne kicherte und Vera lachte gleichfalls, ohne alles zu verstehen. Dabei hatten sie nicht acht auf den Weg. Schließlich aber kam Margot, die am zuverlässigsten war, die Gegend doch nicht so ganz geheuer vor.

      »Du, Annemie, frage den Kutscher doch mal, ob wir bald da sind.« Sie zupfte an dem vor ihr sitzenden Rosenknospenkleid.

      »Wie weit ist es noch, Herr Kutscher?«

      »Jleich sind wa Endstation.«

      Annemarie sah sich betroffen um. »Hier ist doch nicht das Zentrum von Berlin? Wir wollen doch nach dem Alexanderplatz,« meinte sie unsicher werdend.

      »Nee, hier ist der Wedding,« war die ganz gemütliche Antwort.

      »Ach, du lieber Himmel!« Die Backfische sahen sich an, und dann brachen sie plötzlich in lautes Lachen aus.

      »Aber, Kinder, da ist doch nichts zu lachen. Wie kommen wir denn nun bloß nach dem Alexanderplatz?« rief Margot, vom Lachen jäh in eine weinerliche Stimmung fallend.

      »Mit unserer Equipage hier.« Annemarie war noch immer sorglos. »Der Herr Kutscher wird uns schon hinfahren.« Dabei strahlten die blauen Mädchenaugen den Fuhrwerksbesitzer liebevoll an.

      »Nee, is nich. Ich und mein Hottehü, wir machen nu Schicht. Wa sind bei die Hitze schon ’n janzen Tag jebraten, nu sind wa knusperig jenuch. Jetzt jeht’s zu Muttern in’n Stall.«

      »Aber es steht doch an Ihrem Wagen Alexanderplatz – ich hab’s deutlich beim Einsteigen gelesen – wie können Sie uns denn da bloß nach dem Wedding fahren?« begehrte Marianne auf.

      »Ja, und noch dazu uns zwei Mark dafür abnehmen.« Selbst die schüchterne Margot bekam Mut, da es sich um ihr bescheidenes Taschengeld handelte.

      »Na nu halten Se aber de Luft an, Fräuleinchen! Können Se nicht lesen? Wedding – Alexanderplatz – Zoo steht an meine Equipage. Wa machen immer ’ne Rundtour, meine Liese und ich. Und nu sind wa anjelangt – nu steijen Se jefälligst ab.« Der Mann wurde von der Hitze und dem unberechtigten Vorwurf nun auch ärgerlich.

      »Ach, Herr Kutscher« – noch einmal versuchte Annemarie ihre ganze Liebenswürdigkeit – »seien Sie doch kein Frosch und fahren Sie uns nach dem Alexanderplatz. Dann bringen wir Ihnen auch ein großes Stück Geburtstagskuchen von unserer Freundin mit.«

      Aber nicht mal der verfing.

      »Nee, det können Se nich von mich verlangen. Da würde meine Liese nicht schlecht aufmucksen.«

      »Die Liese sieht doch so sanft aus.« Annemaries Blicke streichelten nun auch zärtlich den fliegenumsurrten Gaul.

      Es half nichts. Die vier mußten von Liese und ihrem Besitzer Abschied nehmen.

      Da standen sie nun mitten auf dem sonnenblendenden Weddingplatz, in einer ganz anderen Gegend Berlins, als da, wo sie hinwollten. Die Hitze lastete wie ein schweres Brett auf dem Kopf.

      »Das haben wir fein