Else Ury

Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band)


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Frau blinzelte mißtrauisch herüber, ähnlich wie der Köter vor der Haustür.

      »Ach bitte, würden Sie nicht so gut sein und uns etwas Milch geben«, bat Annemarie mit all ihrer Liebenswürdigkeit.

      »Nee,« brummte es als Antwort. Vera zupfte energischer. Es war ihr unheimlich in dem halbdunklen Stall mit der brummenden Frau und ihren brummenden Vierfüßlern.

      So schnell ließ sich Doktors Nesthäkchen nicht abspeisen.

      »Ach, Sie haben doch so viel.« Das junge Mädchen wies auf die vollen Milchkübel.

      »Jawoll, müssen wir alles abjeben. Nich mal für die Ferkel haben wir jenug.« Dabei sah die Frau das junge Mädchen so empört an, als ob dasselbe die Schuld an dieser Verordnung trüge!

      »Wir haben solchen Durst.« Noch einmal versuchte Annemarie ihr Heil.

      »Denn bleibt jefälligst zu Hause und treibt euch nicht auf der Landstraße rum. Diese verfluchtigen Wandervögel, die einen alle Sonntag das Haus einrennen! Wollt ihr nich vielleicht auch Eier, Speck und Butter, was?«

      »Ja, wenn wir was bekommen könnten, gern – – –«

      »Nu aber raus mit euch, raus – – –« schrie die Frau, und ihre Stimme überschlug sich fast vor Wut. Vera war längst draußen. Hinter der Scheune stand sie und beobachtete ängstlich den Verlauf der Dinge.

      Viel war nicht mehr zu sehen. Nur ein recht enttäuschtes Mädchengesicht, eine aus dem Stall wehende Schwanzquaste und ein blaffender Köter.

      Da standen die beiden wieder auf der Landstraße.

      »Wo habt ihr denn die vollen Milchkannen?« empfingen sie die Gefährten neckend.

      »Ja, und die Eier und die Butter?« Jetzt wurden sie sogar noch aufgezogen.

      »Die sollst du uns im nächsten Bauernhaus herausholen, Ilse.« Annemarie war nicht auf den Mund gefallen. »Puh, Kinder, war das eine grobe Liese. Am liebsten hätte sie uns verprügelt, daß wir es überhaupt wagten, uns die Sohlen auf ihrer staubigen Landstraße abzulaufen. Aber es sind nicht alle so.« Annemaries glückliche Natur scheuchte die kleine Wolke an ihrem sonntagshellen Stimmungshimmel schnell davon. »So, Fräulein Ilse, jetzt kannst du mal dein Glück versuchen, jetzt sind wir ja mittendrin im Dorf.«

      »Die Jungen setzen am Ende mehr durch,« schlug Ilse unbehaglich vor.

      »Nee – nee – das gibt’s nicht. Einen großen Mund kann jeder haben, aber besser machen, heißt es.«

      »Marlene muß mitkommen.«

      »Natürlich, die Inseparables. Nun hamstert recht brav.«

      »Ich frage nur nach Butter – Fett ist die Hauptsache,« meinte Ilse großartig.

      »Bringe gleich ’nen halben Zentner. Wir teilen alles getreulich.« Lachend riefen sie es hinter den beiden sich langsam Vorwärtsschiebenden her.

      Dort das helle Giebelhaus hinter der blühenden Rotdornhecke sah vertrauenerweckend aus.

      »Mir ist es sehr peinlich, Ilse, als ob ich betteln will.« Marlenes scheuer Natur wurde der Weg besonders schwer.

      »Ach was, wir bezahlen es ja. Komm nur, sie werden uns nicht fressen.« Ilse hatte noch nicht ausgesprochen, als sie schon laut schreiend einen Satz machte. Eine Ziege war ihnen mit betrübtem Mä–ä–ä–äh–äh entgegengesprungen. Aber Ilses neue Schuhe sprangen noch höher. Mitten hinein in den Komposthaufen. Bräunlich gefärbt kamen sie wieder heraus.

      Am niedrigen Fenster stand der Bauer und lachte dröhnend.

      »Na, was bringt ihr denn Schönes?«

      »Bringen! – – –« Nein, es war Marlene geradezu entsetzlich, daß sie etwas haben wollte. Ilse hatte nur Augen für ihre schmutzig gewordenen Schuhe. Ach, würde Muttchen böse sein!

      »Oder wollt ihr am Ende gar was holen?« Der Bauer schmunzelte. Er kannte derartige Sonntagsgäste. Die beiden jungen Mädel, die nicht den Mund aufzutun wagten, machten ihm Spaß.

      »Ach, wenn Sie vielleicht etwas übrig haben.« Marlene hätte sich nicht gewundert, wenn man ihr jetzt ein Stück trockenes Brot gereicht hätte. Wie ein Bettelmädel kam sie sich vor.

      »Habt ihr denn auch tüchtig Hundertmarkscheine bei euch?« Der Bauer schlug sich auf seine Hosentaschen.

      Die beiden wurden noch röter, als sie schon waren.

      »Soviel Geld wollten mir meine Eltern nicht mitgeben,« stieß Ilse schließlich hervor.

      »Ich habe dreißig Mark bei mir.« Marlene wollte doch zeigen, daß sie kein Bettelmädel war.

      »Na, dafür könnt ihr nicht viel kriegen.«

      »Entschuldigen Sie, bitte.« Wenn sie bloß erst wieder aus dem Garten wären! Gräßlich war Hamstern.

      »Hiergeblieben,« rief der Bauer. »Alte, komm doch mal her. Wir haben Besuch von zwei hübschen jungen Damen.« Die Bäuerin, sauber und umfangreich, erschien.

      »Was soll’s denn sein, junge Herrschaften?«

      »Wir hätten so gern Butter.« Ilse nahm all ihren Mut zusammen.

      »Das glaub’ ich woll.« Wieder lachte der Bauer. »Na, Alte, denn mach’ man zwei Pfund zurecht.«

      Strahlende, triumphierende Mädchenaugen begegneten sich. Nun konnten sie Annemarie und Vera tüchtig auslachen.

      Die Bäuerin brachte ein nicht allzu umfangreiches Päckchen. »Schinken hätten wir auch abzugeben – – –«

      »Ja – ja – Schinken!« Ilse schmeckte ihn bereits auf der Zunge.

      »Wird aber nur im ganzen abgegeben.«

      »Das schadet nichts, wir können ihn ja teilen. Das heißt, wenn – wenn er nicht zu teuer kommt,« rief Marlene ein wenig ängstlich hinter der Davongehenden her.

      »Fünfhundert Märker – zwanzig Pfund is er schwer, das Pfund zu 23 Mark,« verlangte der Bauer.

      »Wa–as?« Den beiden Backfischchen blieb vor Schreck der Mund offen.

      »Nein, das geht doch nicht – es geht nicht – soviel Geld haben wir alle zusammen nicht.«

      »Denn könnt ihr auch keinen Schinken kriegen.«

      Ilse machte ein betrübtes Gesicht.

      »Bleibt noch die Butter zu zahlen – vierundzwanzig Mark!« Marlene zog ihre dreißig Mark hervor. Die Butter war wenigstens für die heutigen Verhältnisse nicht teuer. In Berlin mußte man schon 22 Mark geben, wenn man sie »hintenrum« kaufte.

      Sie wartete, daß man ihr 6 Mark herausgeben sollte. Der Bauer wartete ebenfalls. »Na?« sagte er schließlich, als es ihm zu lange wurde.

      »Wir bekommen noch 6 Mark,« erinnerte Marlene schüchtern.

      »Was kriegt ihr? Ihr seid woll aus Schlaraffenland? 24 Mark kostet das Pfund Butter, mal zwei macht 48 Märker.«

      »Aber das ist – das ist ja furchtbar teuer. Soviel zahlen wir ja nicht mal in Berlin,« wagte Ilse mit dem Mut der Verzweiflung einzuwenden.

      »Na, warum bleibt ihr denn da nich in Berlin, wenn’s dort so billig ist? Denkt wohl, die Butter wächst uns auf dem Felde nur so zu? Einen hungrigen Magen habt ihr Großstädter immer, aber berappen wollt ihr nicht.« Alle Freundlichkeit war aus dem harten Bauerngesicht ausgewischt.

      »Gib noch achtzehn Mark zu, Ilse,« flüsterte Marlene mit zuckenden Lippen.

      »Willst du wirklich die teure Butter nehmen?« knuffte Ilse heimlich zurück.

      »Na, was gibt’s denn noch lange zu überlegen? Die Butter ist gekauft, und achtzehn Mark fehlen noch, Punktum.« Der Bauer schlug mit der Hand auf den Tisch.

      Jetzt war auch Ilse das Weinen nahe. Sie zog ihr Beutelchen