Else Ury

Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band)


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du denn bloß mit all dem Zeug, Tante Kätchen hat schon an euch beiden Krabben genug!« lachte Mutti.

      »Ja, aber meine Kinder wollen doch auch aufs Land. Irenchen muß sich rote Backen holen, Mariannchen soll mit ihren schlimmen Augen viel ins Grüne gucken, und Lolo will ich auf die Bleiche legen, damit sie weiß wird und kein Negerkind mehr ist. Baby soll tüchtig im Regen wachsen, und Kurt, der Strick, kann sich dort mal wenigstens ordentlich austoben. Gerdachen aber, von der trenne ich mich überhaupt nicht!«

      »Was – und das halbe Dutzend Puppenjören willst du Tante Kätchen mit ins Haus schleppen?« fragte Mutti und versuchte vergeblich, ernst zu bleiben.

      »Ja, natürlich, sie wird sich sehr freuen, und Kusine Elli auch, wenn sie auch schon zwölf Jahre alt ist.«

      »Nein, Lotte, das geht nicht. Eine Puppe magst du mitnehmen, die anderen bleiben hier. Nun suche dir eine aus!« sagte Mutti in bestimmtem Ton.

      Nesthäkchen machte ein enttäuschtes Gesicht, und die Puppen saßen ebenfalls mit enttäuschten Mienen da. Sie hatten sich schon so auf die Reise gefreut.

      Das ist eine schwere Aufgabe für eine Mutter, die Wahl unter ihren Kindern, die sie doch alle lieb hat, zu treffen. Am notwendigsten war sicher dem blassen Irenchen die Reise aufs Land. Aber Annemie wollte doch die schwarze Lolo auf die Bleiche legen, denn, wenn Wäsche dort weiß wurde, wie Frida ihr erzählte, warum sollte Lolo nicht auch weiß werden! Da aber fiel ihr Blick auf Gerda. Die saß ganz still auf ihrem Stühlchen und schaute ihre kleine Mama ängstlich an.

      »Nein, Gerdachen, hab’ keine Furcht, du kommst mit, wie werde ich mich denn von meinem süßen Nesthäkchen trennen!« rief die Kleine und zog die Lieblingspuppe an ihr Herz.

      Aber da fühlte sich Annemie selbst ans Herz gezogen, und zwar an Muttis. Die flüsterte: »Und ich muß mein Nesthäkchen hergeben!« Dabei hatte sie sogar Tränen in den Augen.

      »Dafür kriegst du ja soviel Schweizerkäse!« Ob nun Annemies Trost ihr einleuchtete, oder ob Mutti daran dachte, daß Vater, der so angestrengt in seinem Beruf war, eine Erholung ohne seine lebhaften Sprößlinge durchaus nötig hatte, sie wischte die Tränen schnell wieder fort. Wußte sie doch auch die Kinder bei ihrer Schwester und unter Fräuleins Aufsicht vorzüglich aufgehoben. Hans, der Große, machte inzwischen eine Wandertour mit seinem Turnlehrer und mehreren anderen Jungen.

      »Fräulein, da hättest du bald was Schönes gemacht, den hättest du doch ganz sicher vergessen, nicht?« Keuchend brachte Nesthäkchen, als der Koffer fast schon voll war, ihren großen Puppenwagen angeschleppt.

      »Aber Annemie, das Riesending können wir doch nicht mitnehmen – und was bringst du denn jetzt noch herbei, bist du denn ganz und gar nicht gescheit?« Halb belustigt, halb ärgerlich griff Fräulein nach dem Vogelbauer mit Mätzchen, den Annemie bereits in den Koffer mitten auf ihre schön geplätteten Sommerkleidchen befördert hatte.

      »Ja, aber meine Gerda muß doch spazierenfahren, und Mätzchen verhungert sicherlich, wenn ich ihm nicht Futter und Wasser gebe«, behauptete die Kleine und warf ihre kleinen Holzpantinen noch hinterdrein in den Koffer.

      Fräulein hatte alle Mühe, sie davon zu überzeugen, daß Frida Mätzchen gerade so gut versehen würde wie sie, und daß Gerda noch lieber in dem kleinen Leiterwagen der Vettern ausfahren würde. Vielleicht fand sich auch noch in Arnsdorf ein alter Puppenwagen von Kusine Elli in der Rumpelkammer. Auch die Holzpantinen konnte sie entbehren, da sie doch wohl da nicht scheuern würde.

      Als aber Klaus, der zweite junge Reisende, nun ebenfalls erschien, unter dem einen Arm seine Schmetterlingssammlung und unter dem anderen die Festung mit sämtlichen Regimentern, die er mit in den Koffer zu verpacken wünschte, da wurde es dem Fräulein denn doch zu bunt. Schmetterlinge, Festung und sämtliche Regimenter wanderten ins Jungenzimmer zurück, und Klaus dazu. Annemie aber wurde auf Besuch zu Hanne geschickt, weil die sie doch nun so lange entbehren mußte. Jetzt hatte Fräulein endlich Ruhe zum Packen, nur die Puppen durften zugucken.

      Eigentlich war es schon am Tage vor der Reise so schön, daß man gar nicht erst zu verreisen brauchte. Vater und Mutter waren noch zärtlicher als sonst, Hanne ließ die Kleine über alle ihre Kästen gehen, weil sie doch morgen nicht mehr da war, und Hans schenkte ihr sogar einen großen Radiergummi. Das Schwesterchen war so begeistert von dieser Freigebigkeit, daß es sich liebevoll an seinen Rücken hängte und ausrief: »Ich wollte, daß du lieber mit nach Arnsdorf kämest, Hänschen, und Klaus mit seinem Lehrer reiste!«

      Im Nebenzimmer aber saß eine, auf die all die anderen Puppen neidisch blickten, die wünschte das noch tausendmal mehr. Puppe Gerda sah bereits im voraus ihre Sommererholung durch den wilden Klaus arg beeinträchtigt.

      Als gegen Abend auch noch Großmama erschien, um den Enkelchen Lebewohl zu sagen, und ihnen eine große Tüte Keks für die Reise mitbrachte, da war die Seligkeit voll. Klein-Annemarie war gar nicht zu bändigen, so aufgeregt war sie. Sie setzte mit Klaus über Hutkarton, Koffer und Stühle, und Fräulein drohte, sie nicht mitzunehmen. Und als sie dann endlich in ihrem Bettchen lag, da betete sie voll Inbrunst: »Lieber Gott, mache doch bloß, bitte, daß ganz schnell morgen ist.«

      Das mußte der liebe Gott denn wohl auch getan haben, denn als Fräulein Annemie eine Stunde früher als sonst weckte, war die Kleine so müde, als ob sie eben erst eingeschlafen wäre.

      »Annemie, der Zug geht ab!« rief Fräulein.

      Hei – wie war Nesthäkchen da im Augenblick aus dem Neste – wie blitzten die eben noch so verschlafenen Augen. Auch Gerda sprang mit beiden Füßen zu gleicher Zeit heraus.

      Heute ging das Anziehen noch mal so schnell. Wenn man reisen will, ist das Wasser nicht so naß wie sonst, der Kamm ziept nicht die Spur, und selbst die zwei Tassen Kakao sind im Umsehen leer, wenn man auch gar keinen rechten Appetit hat.

      »Fräulein, der Zug geht ab!« Jetzt war es Annemie, die Fräulein drängte, und der es nicht rasch genug gehen konnte. Lange, bevor das Auto geholt wurde, stand sie bereits reisefertig da. Auf dem rechten Arm die ebenfalls reisefertige Gerda, in dem linken ihren Teddybären, dem sie Kurts Mütze aufgesetzt und Irenchens blaues Cape umgebunden hatte.

      »Soll dieser junge Herr etwa auch mit?« fragte Vater amüsiert, sich den merkwürdigen Reisenden anschauend.

      Annemie bejahte eifrig, weil sie doch bloß eine Puppe mitnehmen dürfe, und Tiere auf einem Gut, wo es doch soviel Ochsen und Kühe gibt, sicher sehr willkommen sein würden.

      »Ja, aber Bären gehören doch nicht auf ein Gut«, überredete sie Mutti, da Nesthäkchen durchaus den Teddybären als Reisegefährten mitnehmen wollte.

      Auch Vaters Einwurf: »Der kriegt doch keine roten Backen von der Landluft!« half nichts, nur Fräuleins energisches Verfahren: »Dann bleibst du auch zu Hause!«

      Der Bär wanderte zu den zurückgelassenen Puppen, und nachdem Hanne und Frida Nesthäkchen nochmals versprachen, für ihre armen, mutterlosen Kinder zu sorgen, konnte sie endlich mit ihrer Gerda die Reise antreten.

      Klaus, die grüne Botanisiertrommel umgehängt, und das Schmetterlingsnetz wie eine Fahne in der Hand schwenkend, thronte bereits auf dem Bock neben dem Chauffeur. Auch die Eltern fuhren mit zur Bahn.

      Ach, wie herrlich ist verreisen, wenn Hanne und Frida vom Balkon herunterwinken, wenn der Herr Portier in höchst eigener Person die Koffer aufladen hilft, und das Auto so wundervoll tutet!

      Mit glänzenden Augen fuhr Nesthäkchen zum Bahnhof. Dort gab es wieder eine Freude. Großmama hatte sich eingefunden, um ihrem Herzblatt Annemie noch einen Abschiedskuß zu geben. Der kleine Reisekorb mit Bonbons aber, den Großmama Puppe Gerda überreichte, weil sie doch ihr Patchen wäre, war doch sicher für ihre kleine Mama bestimmt.

      Vater und Mutter wollten ihr Nesthäkchen gar nicht aus dem Arm lassen.

      »Sei folgsam und artig, Lotte – Klaus, Fräulein schreibt mir alle Tage über dein Betragen einen Brief, daran denke, wenn du etwas Ungezogenes tun willst! Und grüßt Onkel Heinrich und Tante Kätchen schön –« Da gab der Stationsvorsteher das Zeichen.

      »Tü–ü–üh