Гарриет Бичер-Стоу

Die 15 beliebtesten Kinderbücher in einem Band (Illustriert)


Скачать книгу

Streich zu spielen. Aber er blieb stets Sieger. Die Vergeltung, welche jeder Rachetat folgte, war so ausgiebig und großartig, daß die Jungen stets schmählich geschlagen den Kampfplatz verließen. Schließlich zettelten sie eine gemeinsame Verschwörung an und heckten einen Plan aus, der einen blendenden Erfolg versprach. Sie entdeckten sich dem Anstreicherlehrling, setzten ihm ihre Idee auseinander und forderten seine Beihilfe. Der hatte seine eigenen Gründe, davon entzückt zu sein, denn der Lehrer wohnte in seines Vaters Familie und hatte ihm hinreichend Anlaß gegeben, ihn zu hassen. Des Lehrers Frau wollte in wenigen Tagen zu einem Besuch aufs Land gehen, und so stand der Ausführung des Planes nichts entgegen. Der Lehrer pflegte sich für große Gelegenheiten dadurch vorzubereiten, daß er sich einen hübschen kleinen Rausch zulegte, und der Anstreicherlehrling sagte, daß, wenn am Examenstage des Lehrers Zustand die rechte Höhe erreicht haben würde, er die Sache schon machen wolle, während jener seinen Nicker mache; er wolle ihn dann noch eben zur rechten Zeit wecken und zur Schule expedieren.

      Als die Zeit erfüllet war, trat dann das interessante Ereignis ein. Um acht Uhr des Abends war das Schulhaus festlich erleuchtet und mit Girlanden und Festons von Papier und Blumen geschmückt. Der Lehrer thronte in seinem großen Sessel auf einem erhöhten Podium, die schwarze Tafel hinter sich. Er sah leidlich angeheitert aus. Zwei Reihen Bänke auf jeder Seite und sechs ihm gegenüber wurden durch die Würdenträger des Ortes und die Eltern der kleinen Gesellschaft eingenommen. Zu seiner Linken, hinter den Reihen der Erwachsenen, war für diese Gelegenheit eine geräumige Plattform aufgestellt, auf der die Schüler saßen, die an den Übungen des Abends teilnehmen sollten. Reihen von kleinen Stöpseln zu einem höchst unleidlichen Zustand des Mißbehagens zurecht gewaschen und angezogen; Reihen von tölpelhaften größeren Jungen; weiß-strahlende Bänke von Mädchen und jungen Damen, in Leinen und Musselin gekleidet und augenscheinlich stolz auf ihre nackten Arme, ihren von der Großmama geerbten Schmuck, ihr Spitzwerk von rotem und blauem Band, und die Blumen in ihrem Haar. Der Rest des Saales war von unbeteiligten Schülern und Schülerinnen angefüllt.

TomSawyer_img_096

      Die Prüfung begann. Ein sehr kleiner Bengel stand auf und deklamierte mit schafsmäßigem Gesicht:

      Kaum glaubt ihr, daß so‘n kleiner Mann

       Hier vor euch stehn und sprechen kann — usw.

      sich selbst mit den peinlich abgemessenen, krampfhaften Bewegungen begleitend, wie sie eine Maschine gemacht haben würde — noch dazu eine etwas aus der Ordnung geratene Maschine. Aber er schlüpfte leidlich, wenn auch zu Tode geängstigt, durch und erhielt ‘ne hübsche Menge Applaus, als er seine gezwungene Verbeugung produzierte und sich zurückzog.

      Ein kleines, verschämtes Mädchen lispelte darauf: „Mary hat ein kleines Lamm“ usw., machte einen mitleiderregenden Knicks, erhielt ebenfalls ihren Anteil am Beifall und setzte sich, hochrot und glücklich.

      Jetzt trat Tom mit gemachter Zuversicht vor und begann mit donnerndem Pathos das unverwüstliche „Gib mir Freiheit oder Tod —“ unter wilden, wahnwitzigen Gebärden zu deklamieren — und blieb in der Mitte stecken. Lähmende Angst packte ihn, die Knie zitterten unter ihm, er war nahe daran, zu ersticken. Es ist wahr, er hatte des Hauses Sympathie für sich, aber auch des Hauses Schweigen, was ebenso schwer wog wie jene. Der Lehrer runzelte die Stirn, und das vervollständigte seine Verwirrung.

      Tom kämpfte noch ‘ne Weile und dann marschierte er ab, völlig geschlagen. Ein schwacher Versuch des Beifalls erstarb bald wieder.

      Es folgte: „Der Knabe stand auf brennendem Deck“, „Hernieder kam einst Assurs Macht“ und andere deklamatorische Perlen. Dann wurden Leseübungen sowie ein Buchstabier-Gefecht vorgeführt. Die kleine Lateinklasse bestand mit Ehren. Der Hauptschlager des Abends kam jedoch jetzt erst, die „Originalaufsätze“ der jungen Damen. Der Reihe nach trippelten sie vor bis zum Rand der Plattform, räusperten sich, hoben ihr Manuskript (von einem zierlichen Band zusammengehalten) und begannen mit lobenswerter Beachtung des Ausdrucks und der Satzzeichen zu lesen. Die Themata waren dieselben, die bei ähnlichen Gelegenheiten vor ihnen von ihren Mamas, Großmamas und zweifellos all ihren weiblichen Vorfahren bis zurück zu den Kreuzzügen, gewählt worden waren. „Freundschaft“ hieß eins, „Erinnerungen früher Tage“ ein anderes; dann „Die Religion in der Geschichte“, „Das Land der Träume“, „Die Vorteile der Kultur“, „Vergleiche der politischen Staatsformen“, „Melancholie“, „Letzte Liebe“, „Wünsche des Herzens“ usw.

TomSawyer_img_097

      Ein vorwiegender Zug in all diesen Aufsätzen war eine erzwungene, aufdringliche Schwermut; ein anderer verschwenderischer Gebrauch hochtrabender, geschwollener Redensarten; ferner die Manier, Worte und Bilder zu Tode zu hetzen; was sie aber ganz besonders unerträglich machte, waren die unleidlichen, salbungsvollen Moralpauken, womit jeder, aber auch jeder abschloß.

      Was auch der Gegenstand sein mochte, jedesmal gab‘s schließlich die krampfhaftesten Anstrengungen, ihn in solche Betrachtungen auslaufen zu lassen, damit Tugend und Frömmigkeit der Verfasserin nur ja gehörig ins rechte Licht gerückt würden. Die offenbare Verlogenheit dieser Machwerke war aber doch nicht imstande, Widerwillen gegen derartige Verwirrungen des Schulunterrichts zu erzeugen, und ist es überhaupt heutzutage nicht; wahrscheinlich war es überhaupt immer so, solange die Welt steht. Es gibt einfach keine Schule unseres Landes, wo sich die jungen Mädchen nicht verpflichtet fühlen, ihre Aufsätze mit solch einem Sermon zu schließen. Und man wird finden, daß die Sermone der verlogensten und am wenigsten wirklich religiösen Mädchen immer und ausnahmslos die längsten und frömmsten sind. Aber genug davon. Ein Prophet gilt ja nichts in seinem Vaterlande. Kehren wir zum Examen zurück. Der erste der vorgelesenen Aufsätze betitelte sich: „Ist dies das Leben?“ Vielleicht kann der Leser einen Auszug daraus vertragen.

      „Mit welch überschwenglichen Gefühlen pflegt der jugendliche Geist vorwärts auf all die zu erwartenden Freudenfeste des Lebens zu schauen! Die Einbildungskraft ist geschäftig, rosig gefärbte Bilder der Freude zu malen. Im Geiste sieht sie sich als Günstling des Glückes, sieht sie sich inmitten strahlender Festlichkeiten, „die Siegerin aller Siegerinnen“. Ihre reizende Figur, in entzückende Kleider gehüllt, wirbelt durch alle Irrwege berauschender Tänze. Ihr Auge ist das glänzendste, ihr Fuß der leichteste in der ganzen jugendschönen Gesellschaft. In solch entzückenden Träumen rinnt die Zeit rasch und angenehm dahin, und die ersehnte Stunde ihres Eintrittes in die ersehnte Welt, von der sie so vielversprechend geschwärmt hat, schlägt. Wie märchenhaft erscheint alles ihren entzückten Blicken! Jedes neue Erlebnis scheint ihr schöner als das letzte. Aber bald findet sie, daß unter dieser verlockenden Hülle alles leer und schal ist. Schmeichelei, die einst ihren Stolz kitzelte, wirkt jetzt verletzend auf ihr Ohr. Der Ballsaal hat seinen Reiz eingebüßt; und mit verwüsteter Gesundheit und gebrochenem Herzen wendet sie sich ab, in dem Bewußtsein, daß irdische Freuden die Bedürfnisse der Seele nicht befriedigen können!“

      Und so weiter, und so weiter. Von Zeit zu Zeit, während der Vorlesung, gab es kurzes Beifallsklatschen, von leise geflüsterten Ausrufen, wie: „Wie süß!“ „Äußerst gewandt!“ „So wahr!“ usw. begleitet, und nachdem die Sache mit einer besonders niederschmetternden moralischen Nutzanwendung beendet war, war der Applaus geradezu enthusiastisch.

      Worauf ein schmächtiges, melancholisches Mädchen, dessen Gesicht die interessante Blässe besaß, die von Pillen und schlechter Verdauung herrührt, vortrat und ein sogenanntes Gedicht vorlas. Zwei Verse davon werden genügen.

      Abschied eines Missouri-Mädchens von Alabama

      „Leb wohl, Alabama! Wie liebe ich dich!

       Doch jetzt für ‘ne Weile muß meiden ich dich!

       Die Trauer um dich erfaßt mich mit Macht,

       Sie hat mich um alle Freude gebracht!

       Deine blühenden Wälder, wie oft sah ich sie,

       Die Ströme und Seen — ich vergesse sie nie!

       Ich lauschte so gerne dem Rauschen der Flut