Гарриет Бичер-Стоу

Die 15 beliebtesten Kinderbücher in einem Band (Illustriert)


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Phrenologe und ein Taschenspieler kamen — und gingen wieder und ließen das Dorf langweiliger und öder zurück, als es vorher gewesen war.

      Becky Thatcher war nach ihrem Konstantinopeler Hause gereist, um während der Ferien bei ihren Eltern dort zu bleiben — so hatte denn das Leben keine einzige Lichtseite mehr.

      Das schreckliche Geheimnis des Mordes genoß immer noch trauriges Interesse. Es war ein Gegenstand beständiger Aufregung.

      Dann kamen die Masern.

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      Während zweier langen Wochen lag Tom als Gefangener, tot für die Welt und ihr Treiben. Er war sehr krank, gleichgültig gegen alles. Als er wieder auf den Füßen war und noch ganz schwach durch das Dorf wankte, war eine traurige Veränderung mit allen Dingen und Lebewesen vorgegangen. Es hatte eine „Wiedergeburt“ stattgefunden, und alles war „fromm geworden“, nicht nur die Erwachsenen, sondern auch die Buben und Mädel. Tom strich herum, in der Hoffnung, auf ein Gesicht, das in seiner Sündhaftigkeit sich wohl fühle, zu stoßen. Er fand Joe Harper in der Bibel lesend und floh traurig vor solchem niederdrückenden Schauspiel. Er suchte Ben Rogers und traf ihn, wie er die Armen mit einem Korb voll Traktätchen heimsuchte. Darauf fahndete er auf Jim Hollis, der ihm zeigte, wie seine wunderbare Errettung von den Masern eine Warnung sei. Jeder einzelne Junge, mit dem er zusammenkam, trug das Seinige dazu bei, ihn vollends niedergeschlagen zu machen; und als er in voller Verzweiflung davonrannte, um am Busen Huck Finns Zuflucht zu suchen — und mit einem Bibelspruch empfangen wurde, brach sein Herz, er kroch nach Hause und zu Bett, in der Überzeugung, daß er allein von dem ganzen Dorfe verloren, für immer und ewig verloren sei.

      Und in der Nacht setzte es einen schrecklichen Sturm, der den Regen vor sich hertrieb, mit furchtbaren Donnerschlägen und blendenden Blitzen. Er steckte den Kopf unter die Bettdecke und erwartete in ängstlicher Ungewißheit sein Schicksal; denn ihm kam nicht ein Schatten von Zweifel, daß dieses ganze Donnerwetter ihm gelte. Er glaubte, die Geduld der himmlischen Mächte allzuhoch taxiert zu haben — und dies war die Folge davon. Es würde ihm als lächerliche Kraftverschwendung erschienen sein, eine Wanze mit Kanonen töten zu wollen, aber das schien ihm doch noch nichts, wenn er bedachte, daß ein so schreckliches Gewitter nötig sein sollte, um ein Insekt gleich ihm zu vernichten.

      Allmählich tobte sich der Sturm aus und legte sich ganz, ohne seinen Zweck erfüllt zu haben. Der erste Antrieb Toms war, dankbar zu sein und sich zu bessern. Sein zweiter war, zu warten — denn vielleicht würde sobald kein Unwetter wieder losbrechen.

      Am anderen Tage war der Doktor wieder da. Tom hatte einen Rückfall. Die drei Wochen, die er so still liegen mußte, schienen ihm ein ganzes Menschenalter. Als er schließlich doch wieder aufstand, war er kaum dankbar, daß er geschont worden war, da er sich sagen mußte, wie einsam er sei, wie freundlos und verlassen. Zwecklos strich er durch die Gassen und fand Jim Hollis in einem jugendlichen Gerichtshof, der eine Katze als Mörderin verurteilen sollte, den Richter machend. Das Opfer, ein Vogel, lag dabei. Joe Harper und Huck Finn traf er spazieren gehend und eine gestohlene Melone verzehrend. Arme Jungen — sie hatten, wie Tom, einen Rückfall zu erdulden.

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      Vierundzwanzigstes Kapitel.

      Inhaltsverzeichnis

      Schließlich wurde die brütende Langeweile ein bißchen aufgestört und erfrischt. Der Mordprozeß kam vor Gericht. Er wurde sofort der alleinige Gegenstand des Gesprächs. Tom konnte es kaum aushalten. Jede Erwähnung des Mörders jagte ihm einen Schauer durch die Glieder, denn sein bedrücktes Gewissen und seine Furcht machten ihm weis, daß alle diese Bemerkungen „Fühler“ sein sollten und auf ihn berechnet. Zwar wußte er durchaus nicht, wie ein Verdacht, etwas über den Mord zu wissen, sollte auf ihn fallen können, trotzdem aber konnte er sich inmitten all des Geklatsches nicht behaglich fühlen. Kalte Schauer schüttelten ihn beständig.

      Er schleppte Huck an ein einsames Plätzchen, um sich mit ihm mal darüber auszusprechen. Es würde für ‘ne Weile doch eine Erleichterung sein, seiner Zunge mal freien Lauf gelassen zu haben, die Last seines Kummers mit einem Leidensgefährten zu teilen. Vor allem aber wollte er sich versichern, daß Huck reinen Mund gehalten habe.

      „Huck, hast du jemals darüber gesprochen?“

      „Worüber?“

      „Na — du weißt schon!“

      „Ach so — na, gewiß nicht!“

      „Kein Wort?“

      „Zum Teufel, auch nicht ‘s kleinste Wort! Warum fragst du?“

      „Na, ich hatt‘ halt Angst!“

      „Weißt du, Tom Sawyer, wir würden keine zwei Tage mehr haben, wenn das raus käm‘! Du weißt doch?“

      Tom wurde behaglicher zumute. Nach einer Pause sagte er: „Du, Huck, ‘s wird dich niemand zwingen können, was zu verraten, he?“

      „Mich zwingen? Na, wenn ich wollt‘, daß der Halbindianer-Teufel mir den Hals umdrehte, dann könnten sie mich zwingen, zu schwatzen.“

      „Na, ‘s ist schon gut. Denk auch, daß wir sicher sind, so lang‘ wir reinen Mund halten. Aber laß uns nochmal schwören. ‘s ist sicherer!“

      „Meinetwegen.“

      So schwuren sie nochmals die schrecklichsten Eide.

      „Was wird denn eigentlich geschwatzt, Huck? Ich hab‘ so viel durch‘nander gehört!“

      „Schwatzen? Na, ‘s ist immer Muff Potter, Muff Potter, Muff Potter. Jedesmal gerat‘ ich ordentlich in Schweiß, daß ich gleich davonlaufen möcht‘!“

      „‘s ist grad so wie bei mir. Ich denk‘ wohl, daß er ‘n Gauner ist. Hast du zuweilen Mitleid mit ihm?“

      „Fast immer — fast immer. Er taugt ja nicht viel; aber er hat doch nie was getan, um jemand zu verletzen. Er stiehlt wohl zuweilen Fische, um Geld für Branntwein zu kriegen — und treibt sich beständig herum; aber, Herr Gott, das tun wir doch alle — oder wenigstens die meisten — auch die Prediger und solche Leute. Aber er ist doch ‘n guter Kerl — er gab mir mal ‘n halben Fisch, wo‘s doch nicht genug war für zwei, und oft genug war er freundlich gegen mich und half mir, wenn ich in ‘ner Patsche saß.“

      „Ja, und mir hat er Drachen gemacht, Huck, und Angelhaken. — Wollt, wir könnten ihm raushelfen —“

      „Lieber Gott, Tom, wir können ihm nicht ‘raushelfen. Und dann — ‘s wär‘ auch gar nicht gut; sie kriegten ihn doch wieder.“

      „Ja — das täten sie. Aber ich kann‘s nicht hören, daß sie auf ihn schimpfen wie auf ‘nen Teufel, wo er‘s doch gar nicht getan hat.“

      „Ich auch, Tom! Gott, ich hört‘, wie einer sagte, er ist der blutgierigste Lump im ganzen Land, und sie wunderten sich nur, daß er noch nicht aufgeknüpft ist.“

      „Ja, das sagen sie immer. Ich hab‘ gehört, sie wollten ihn lynchen, wenn er freikäm‘.“

      „Und das täten sie auch.“

      Die Jungen schwatzten noch lange, aber es brachte ihnen wenig Befreiung. Als das Zwielicht anbrach, fanden sie sich auf einmal in der Nachbarschaft des kleinen, einsamen Gebäudes, vielleicht in der unbestimmten Hoffnung, es könne irgend was geschehen, wodurch ihre Kümmernisse gehoben würden. Aber nichts geschah, weder Engel noch gute Geister schienen sich mit diesem unglücklichen Gefangenen beschäftigen zu wollen.

      Die Jungens taten, was sie schon oft vorher getan hatten — gingen zu dem Gitterfenster und steckten Potter ein bißchen Tabak und Zündhölzer zu. Er lag auf dem Fußboden — Wächter waren nicht da.