nickte zustimmend und lachte auch herüber.
Der Peter schaute noch einmal auf das Geschenk in seiner Hand, ob es auch wirklich wahr sei. Dann sagte er: »Danke Gott!« Und nun rannte er davon in ganz ungewöhnlichen Sprüngen, aber diesmal blieb er doch auf den Füßen, denn jetzt trieb ihn nicht der Schrecken davon, sondern eine Freude, wie der Peter noch gar keine gekannt hatte sein Leben lang. Alle Angst und Schrecken waren vergangen, und jede Woche hatte er einen Zehner zu erwarten sein Leben lang.
Als später die Gesellschaft vor der Almhütte das fröhliche Mittagsmahl beendet hatte und nun noch in allerlei Gesprächen zusammensaß, da nahm Klara ihren Vater, der ganz strahlte vor Freude und jedesmal, wenn er sie wieder anschaute, noch ein wenig glücklicher aussah, bei der Hand und sagte mit einer Lebhaftigkeit, die man nie an der matten Klara gekannt hatte:
»O Papa, wenn du nur wüßtest, was der Großvater alles für mich getan hat! So viel alle Tage, daß man es gar nicht nacherzählen kann, aber ich vergesse es in meinem ganzen Leben nicht. Und immer denke ich, wenn ich nur dem lieben Großvater auch etwas tun könnte oder etwas schenken, das ihm so recht Freude machen würde, auch nur halb soviel, wie er mir Freude gemacht hat.«
»Das ist ja auch mein größter Wunsch, liebes Kind«, sagte der Vater. »Ich sinne schon immer darüber nach, wie wir unserem Wohltäter unseren Dank auch nur einigermaßen dartun könnten.«
Herr Sesemann stand jetzt auf und ging zum Öhi hinüber, der neben der Großmama saß und sich ausnehmend gut mit ihr unterhalten hatte. Er stand aber jetzt auch auf. Herr Sesemann ergriff seine Hand und sagte in der freundschaftlichsten Weise: »Mein lieber Freund, lassen Sie uns ein Wort zusammen sprechen! Sie werden es verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß ich seit langen Jahren keine rechte Freude mehr kannte. Was war mir all mein Geld und Gut, wenn ich mein armes Kind anblickte, das ich mit keinem Reichtum gesund und glücklich machen konnte? Nächst unserm Gott im Himmel haben Sie mir das Kind gesund gemacht und mir, wie ihm, damit ein neues Leben geschenkt. Nun sprechen Sie, womit kann ich Ihnen meine Dankbarkeit zeigen? Vergelten kann ich nie, was Sie uns getan haben, aber was ich vermag, das stelle ich zu Ihrer Verfügung. Sprechen Sie, mein Freund, was darf ich tun?«
Der Öhi hatte still zugehört und den glücklichen Vater mit vergnügtem Lächeln angeblickt.
»Herr Sesemann glaubt mir wohl, daß ich meinen Teil an der großen Freude über die Genesung auf unserer Alm auch habe; meine Mühe ist mir wohl dadurch vergolten«, sagte jetzt der Öhi in seiner festen Weise. »Für die gütigen Anerbietungen danke ich Herrn Sesemann, ich habe nichts nötig. Solange ich lebe, habe ich für das Kind und für mich genug. Aber einen Wunsch hätte ich; wenn mir der erfüllt werden könnte, so hätte ich für dieses Leben keine Sorge mehr.«
»Sprechen Sie, sprechen Sie, mein lieber Freund!« drängte Herr Sesemann.
»Ich bin alt«, fuhr der Öhi fort, »und kann nicht mehr lange hierbleiben. Wenn ich gehe, kann ich dem Kinde nichts hinterlassen, und Verwandte hat es keine mehr; nur eine einzige Person, die würde noch ihren Vorteil aus ihm ziehen wollen. Wenn mir der Herr Sesemann die Zusicherung geben wollte, daß das Heidi nie in seinem Leben hinaus muß, um sein Brot unter den Fremden zu suchen, dann hätte er mir reichlich zurückgegeben, was ich für ihn und sein Kind tun konnte.«
»Aber, mein lieber Freund, davon kann ja niemals eine Rede sein«, brach Herr Sesemann nun aus. »Das Kind gehört ja zu uns. Fragen Sie meine Mutter, meine Tochter; das Kind Heidi werden Sie ja in ihrem Leben nicht anderen Leuten überlassen! Aber da, wenn es Ihnen eine Beruhigung ist, mein Freund, hier meine Hand darauf. Ich verspreche Ihnen: Nie in seinem Leben soll dieses Kind hinaus, um unter fremden Menschen sein Brot zu verdienen; dafür will ich sorgen, auch über meine Lebenszeit hinaus. Nun aber will ich noch etwas sagen. Dieses Kind ist nicht für ein Leben in der Fremde gemacht, wie auch die Verhältnisse wären; das haben wir erfahren. Aber es hat sich Freunde gemacht. Einen solchen kenne ich, der ist noch in Frankfurt; da tut er seine letzten Geschäfte ab, um dann nachher dahin zu gehen, wo es ihm gefällt, und sich da zur Ruhe zu setzen. Das ist mein Freund, der Doktor, der noch diesen Herbst hier ankommen wird und, Ihren Rat dazu in Anspruch nehmend, sich in dieser Gegend niederlassen will, denn in Ihrer und des Kindes Gesellschaft hat er sich so wohl befunden wie sonst nirgends mehr. So sehen Sie, das Kind Heidi wird fortan zwei Beschützer in seiner Nähe haben. Mögen ihm beide miteinander noch recht lange erhalten bleiben!«
»Das gebe der liebe Gott!« fiel hier die Großmama ein, und den Wunsch ihres Sohnes bestätigend, schüttelte sie dem Öhi eine gute Weile mit großer Herzlichkeit die Hand. Dann faßte sie auf einmal das Heidi um den Hals, das neben ihr stand, und zog es zu sich heran.
»Und du, mein liebes Heidi, dich muß man doch auch noch fragen. Komm, sag mir mal: Hast du denn nicht auch einen Wunsch, den du gern erfüllt hättest?«
»Ja freilich, das hab ich schon«, antwortete das Heidi und blickte sehr erfreut zu der Großmama auf.
»So, das ist recht, so komm heraus damit«, ermunterte diese. »Was hättest du denn gern, Kind?«
»Ich hätte gern mein Bett aus Frankfurt mit den drei hohen Kissen und der dicken Decke, dann muß die Großmutter nicht mehr mit dem Kopf bergab liegen und kann fast nicht atmen, und sie hat warm genug unter der Decke und muß nicht immer mit dem Schal ins Bett gehen, weil sie sonst furchtbar friert.«
Das Heidi hatte alles in einem Atemzuge gesagt vor Eifer, zu seinem gewünschten Ziel zu kommen.
»Ach mein liebes Heidi, was sagst du mir da!« rief die Großmama erregt aus. »Das ist gut, daß du mich erinnerst. In der Freude vergißt man leicht, woran man zuallererst hätte denken sollen. Wenn uns der liebe Gott etwas Gutes schickt, müßten wir doch gleich an diejenigen denken, die so viel entbehren! Jetzt wird auf der Stelle nach Frankfurt telegrafiert! Noch heute soll die Rottenmeier das Bett zusammenpacken, in zwei Tagen kann es dasein. Will's Gott, soll die Großmutter gut schlafen darin!«
Das Heidi hüpfte frohlockend rings um die Großmama herum. Aber auf einmal stand es still und sagte eilig: »Nun muß ich gewiß geschwind zur Großmutter hinunter, es wird ihr auch wieder angst, wenn ich so lang nicht mehr komme.«
Denn nun konnte das Heidi es nicht mehr erwarten, der Großmutter die Freudenbotschaft zu bringen, und es war ihm auch wieder in den Sinn gekommen, wie es der Großmutter angst gewesen, als es zuletzt bei ihr war.
»Nein, nein, Heidi, was meinst du?« ermahnte der Großvater. »Wenn man Besuch hat, läuft man nicht mit einemmal auf und davon.«
Aber die Großmama unterstützte das Heidi.
»Mein lieber Öhi, das Kind hat so unrecht nicht«, sagte sie. »Die arme Großmutter ist auch seit langem viel zu kurz gekommen um meinetwillen. Nun wollen wir gleich alle miteinander zu ihr gehen, und ich denke, dort warte ich mein Pferd ab, und wir setzen dann unseren Weg weiter fort, und unten im Dörfli wird sogleich das Telegramm nach Frankfurt aufgegeben. Mein Sohn, was meinst du dazu?«
Herr Sesemann hatte bis jetzt noch gar nicht Zeit gehabt, über seine Reisepläne zu sprechen. Er mußte also seine Mutter bitten, nicht sogleich ihr Unternehmen auszuführen, sondern noch einen Augenblick sitzen zu bleiben, bis er seine Absicht ausgesprochen habe.
Herr Sesemann hatte sich vorgenommen, mit seiner Mutter eine kleine Reise durch die Schweiz zu machen und erst zu sehen, ob sein Klärchen imstande sei, eine kurze Strecke mitzureisen. Nun war es so gekommen, daß er die genußreichste Reise in Gesellschaft seiner Tochter vor sich sah, und nun wollte er auch gleich diese schönen Spätsommertage dazu benutzen. Er hatte im Sinne, die Nacht im Dörfli zuzubringen und am folgenden Morgen Klara auf der Alm abzuholen, um mit ihr zur Großmama nach dem Bade Ragaz hinunter und von da weiterzureisen.
Klara war ein wenig betroffen über die Anzeige der plötzlichen Abreise von der Alp, aber es war ja so viel Freude daneben, und überdies war da gar keine Zeit, sich dem Bedauern hinzugeben.
Schon war die Großmama aufgestanden und hatte Heidis Hand erfaßt, um den Zug anzuführen. Jetzt kehrte sie sich plötzlich um.
»Aber was in aller Welt macht man nun mit Klärchen?« rief sie erschrocken aus, denn