Rosa Luxemburg

Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band)


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vom gesellschaftlichen Standpunkt (S. 39, Punkt 3). Was für den einen zirkulierendes Kapital, sei für andere nicht Kapital, sondern Einkommen, z.B. die Kapitalvorschüsse für Löhne. Diese Behauptung beruht auf einem Irrtum. Wenn der Kapitalist den Arbeitern Löhne auszahlt, so gibt er nicht variables Kapital her, das in die Hände der Arbeiter wandert, um in ihr Einkommen verwandelt zu werden, sondern er gibt nur die Wertform seines variablen Kapitals für dessen Naturalform - die Arbeitskraft - hin. Das variable Kapital ist stets in der Hand des Kapitalisten erst in Geldform, dann in Gestalt der Arbeitskraft, die er gekauft, später in Form eines Wertteils der hergestellten Waren, um schließlich aus dem Erlös der Waren in Geldform - nebst Zuwachs - zu ihm zurückzukehren. Andererseits gelangt der Arbeiter nie in Besitz des variablen Kapitals. Für ihn ist die Arbeitskraft nie Kapital, sondern sein Vermögen (nämlich Vermögen zu arbeiten, das einzige, das er besitzt). Hat er sie veräußert und hat er Geld als Lohn eingenommen, so ist dieser Lohn für ihn gleichfalls kein Kapital, sondern der Preis seiner verkauften Ware. Endlich die Tatsache, daß der Arbeiter mit den erhaltenen Löhnen Lebensmittel kauft, hat mit der Funktion, die dieses Geld als variables Kapital in den Händen des Kapitalisten gespielt hat, so wenig zu tun wie der Privatgebrauch, den jeder Verkäufer einer Ware mit dem erhaltenen Geld macht. Nicht das variable Kapital des Kapitalisten wird also zum Einkommen des Arbeiters, sondern der Preis der vom Arbeiter verkauften Ware Arbeitskraft, während das variable Kapital nach wie vor in der Hand des Kapitalisten bleibt und als solches fungiert.

      Genauso falsch die Vorstellung, das Einkommen (Mehrwert) des Kapitalisten, das z.B. in noch nicht realisierten Maschinen steckt, was beim Maschinenfabrikanten der Fall, sei fixes Kapital für einen anderen, nämlich den Käufer der Maschinen. Was Einkommen des Maschinenfabrikanten ist, sind nicht Maschinen oder ein Teil der Maschine, sondern der in ihnen steckende Mehrwert, also unbezahlte Arbeit seiner Lohnarbeiter. Nach dem Verkauf der Maschine bleibt dieses Einkommen nach wie vor in der Hand des Maschinenfabrikanten, es hat nur seine Erscheinungsform gewechselt, ist aus Maschinenform in Geldform verwandelt. Umgekehrt ist der Käufer der Maschine nicht erst durch ihren Ankauf in Besitz seines fixen Kapitals gelangt, sondern er hatte dieses vorher schon als ein gewisses Geldkapital in der Hand gehabt. Durch den Ankauf der Maschine hat er nur seinem Kapital die entsprechende sachliche Gestalt gegeben, die er brauchte, um es produktiv fungieren zu lassen. Vor dem Verkauf der Maschine wie nach ihrem Verkauf bleibt das Einkommen (der Mehrwert) in der Hand des Maschinenfabrikanten, das fixe Kapital in der Hand des anderen - des kapitalistischen Käufers der Maschine. Genauso wie im ersten Beispiel das variable Kapital stets in der Hand des Kapitalisten, das Einkommen in der Hand des Arbeiters blieb,

      Was die Verwirrung bei Smith und allen seinen Nachfolgern angestiftet hat, ist, daß sie bei dem kapitalistischen Warenaustausch die Gebrauchsform der Waren mit ihren Wertverhältnissen durcheinanderwarfen, und ferner, daß sie die einzelnen Kapitalzirkulationen und Warenzirkulationen nicht auseinanderhielten, die sich auf Schritt und Tritt ineinander verschlingen. Ein und derselbe Akt des Warenaustausches kann von einer Seite gesehen Kapitalzirkulation, von der anderen einfacher Warenaustausch zur Befriedigung der Konsumbedürfnisse sein. Der falsche Satz: Was für den einen Kapital, ist für den anderen Einkommen und umgekehrt, reduziert sich also auf den richtigen Satz: Was für den einen Kapitalzirkulation, ist für den anderen einfacher Warenaustausch und umgekehrt. Dadurch wird nur die Verwandlungsfähigkeit des Kapitals in seiner Laufbahn und die Verschlingung verschiedener Interessensphären in dem gesellschaftlichen Austauschprozeß zum Ausdruck gebracht, die scharf umrissene Existenz aber des Kapitals im Gegensatz zum Einkommen, und zwar in seinen beiden markanten Gestalten als konstantes und variables, wird damit nicht aufgehoben.

      Und doch kommt Smith in seinen Behauptungen, daß sich Kapital und Einkommen der einzelnen mit diesen Kategorien der Gesamtheit nicht völlig decken, der Wahrheit sehr nahe, nur daß es zur klaren Aufdeckung des Zusammenhangs noch weiterer Zwischenglieder bedurfte.

      Viertes Kapitel.

       Das Marxsche Schema der einfachen Reproduktion

       Inhaltsverzeichnis

      Betrachten wir die Formel c + v + m als Ausdruck des gesellschaftlichen Gesamtprodukts. Haben wir es hier bloß mit einer theoretischen Konstruktion, mit einem abstrakten Schema zu tun, oder wohnt dieser Formel in der Anwendung auf die Gesamtgesellschaft ein realer Sinn inne, hat sie objektive gesellschaftliche Existenz?

      Jeder einzelne Kapitalist verwendet zur Produktion seiner Waren gewisse sachliche Produktionsmittel: Baulichkeiten, Rohstoffe, Werkzeuge. Zur Herstellung der Gesamtheit der Waren ist in der gegebenen Gesellschaft offenbar die Gesamtheit der von den Einzelkapitalisten verwendeten sachlichen Produktionsmittel notwendig. Die Existenz dieser Produktionsmittel in der Gesellschaft ist eine ganz reale Tatsache, wenn sie auch in Gestalt lauter privater Einzelkapitale existieren. Hier kommt die allgemeine absolute Bedingung der gesellschaftlichen Produktion unter allen ihren historischen Formen zum Ausdruck. Die besondere kapitalistische Form äußert sich darin, daß die sachlichen Produktionsmittel eben als c, als Kapital fungieren, d.h. als Eigentum von Nichtarbeitenden, als Gegenpol proletarisierter Arbeitskräfte, als Gegenstück der Lohnarbeit. Das v, variables Kapital, ist Summe der in der Gesellschaft während der Jahresproduktion tatsächlich gezahlten Löhne. Auch diese Tatsache hat eine reale objektive Existenz, wenn sie gleich in einer Unzahl von Einzellöhnen zum Vorschein kommt. In jeder Gesellschaft ist die Anzahl der tatsächlich in der Produktion angespannten Arbeitskräfte und ihre jährliche Erhaltung eine Frage von grundlegender Wichtigkeit. Die besondere kapitalistische Form dieser Kategorie als v, als variables Kapital, besagt: 1., daß die Existenzmittel der Arbeitenden ihnen als Lohn, d.h. als Preis ihrer verkauften Arbeitskraft, entgegentreten, als Kapitaleigentum anderer, Nichtarbeitender, Besitzer der sachlichen Produktionsmittel; 2. als eine Geldsumme, d.h. bloß als Wertgestalt ihrer Lebensmittel. Das v drückt aus sowohl, daß die Arbeitenden "frei" sind in doppeltem Sinne: persönlich frei und frei von allen Produktionsmitteln - als daß die Warenproduktion die allgemeine Form der Produktion in der gegebenen Gesellschaft ist.

      Die beiden Figuren v + m endlich stellen zusammen gleichfalls eine objektive Größe von allgemeiner Gültigkeit dar: die Gesamtsumme der in der Gesellschaft im Verlaufe eines Jahres geleisteten lebendigen Arbeit. Jede menschliche Gesellschaft, von welcher geschichtlichen Form auch, muß sich für diese