Rosa Luxemburg

Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band)


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hat hier fundamentale Kategorien in bezug auf die Reproduktion und Bewegung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals herausgebracht. Fixes und zirkulierendes Kapital, Privatkapital und gesellschaftliches Kapital, Privateinkommen und gesellschaftliches Einkommen, Produktionsmittel und Konsummittel sind hier als große Kategorien herausgehoben und zum Teil in ihrer wirklichen, objektiven Durchkreuzung angedeutet, zum Teil ertränkt in den subjektiven theoretischen Widersprüchen der Smithschen Analyse. Das knappe, strenge und klassisch durchsichtige Schema des Physiokratismus ist hier aufgelöst in einen Wust von Begriffen und Beziehungen, die auf den ersten Blick ein Chaos darstellen. Aus diesem Chaos treten aber bereits halb und halb neue, tiefer, moderner und lebendiger als bei Quesnay gepackte Zusammenhänge des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses hervor, die in dem Chaos unfertig steckenbleiben, wie Michelangelos Sklave in seinem Marmorblock.

      Das ist das eine Bild, das Smith zum Problem liefert. Gleichzeitig aber faßt er es von einer ganz anderen Seite - von der Wertanalyse an. Gerade dieselbe über die Physiokraten hinausführende Theorie von der wertschaffenden Eigenschaft jeder Arbeit sowohl wie die streng kapitalistische Unterscheidung jeder Arbeit in bezahlte (den Lohn ersetzende) sowie unbezahlte (Mehrwert schaffende) Arbeit wie endlich die strenge Spaltung des Mehrwerts in seine zwei Hauptkategorien Profit und Grundrente - lauter Fortschritte über die physiokratische Analyse hinaus -, verleiteten Smith zu jener merkwürdigen Behauptung, der Preis jeder Ware bestehe aus Lohn + Profit + Grundrente oder kürzer, im Marxschen Ausdruck, aus v + m. Daraus folgte, daß auch die Gesamtheit der von der Gesellschaft jährlich hergestellten Waren in ihrem totalen Wert in diese zwei Teile: Löhne und Mehrwert, restlos zerfalle. Hier verschwand plötzlich die Kategorie des Kapitals gänzlich, die Gesellschaft produziert nichts als Einkommen, nichts als Konsumartikel, die auch von der Gesellschaft ganz verzehrt werden. Die Reproduktion ohne Kapital wird zum Rätsel, und die Analyse des Problems im ganzen macht einen gewaltigen Schritt hinter die Physiokraten zurück.

      Die Nachfolger Smith' fassen seine Doppeltheorie just von der falschen Seite an. Während die wichtigen Ansätze zu einer exakten Darstellung des Problems, die er im zweiten Buch gibt, bis auf Marx unberührt blieben, wurde die im ersten Buch gegebene grundfalsche Preisanalyse von den meisten seiner Nachfolger als teure Erbschaft gehoben und entweder unbekümmert akzeptiert, wie bei Ricardo, oder zum flachen Dogma fixiert, wie bei Say. Wo bei Smith fruchtbare Zweifel und anregende Widersprüche waren, tritt bei Say die anmaßende Unerschütterlichkeit des Vulgrarus. Für Say wird die Smithsche Beobachtung, daß, was für den einen Kapital, für den anderen Einkommen sein könne, zum Grund, jede Unterscheidung zwischen Kapital und Einkommen auf gesellschaftlichem Maßstab überhaupt für absurd zu erklären. Die Absurdität hingegen, daß der Gesamtwert der jährlichen Produktion in lauter Einkommen eingehe und konsumiert werde, wird von Say zum Dogma von absoluter Gültigkeit erhoben. Da die Gesellschaft somit jedes Jahr ihr Gesamtprodukt restlos verkonsumiert, so verwandelt sich die gesellschaftliche Reproduktion, die ja ohne Produktionsmittel ins Werk tritt, in eine ähnliche Wiederholung des biblischen Wunders einer Weltschöpfung aus nichts.

      In diesem Zustand blieb das Reproduktionsproblem bis auf Marx.

      Drittes Kapitel.

       Kritik des Smithschen Analyse

       Inhaltsverzeichnis

      Fassen wir die Ergebnisse zusammen, zu denen die Analyse bei Smith vorgedrungen war. Sie lassen sich in folgenden Punkten darstellen.

      1. Es gibt ein fixes Kapital der Gesellschaft, das in keinem Teil in das Reineinkommen der Gesellschaft eingeht. Dieses fixe Kapital bilden "Rohstoffe, mit denen die nützlichen Maschinen und Industriewerkzeuge instand gehalten werden müssen", und "das Produkt der zur Umwandlung dieser Rohstoffe in die verlangte Gestalt erforderlichen Arbeit". Indem Smith die Produktion dieses fixen Kapitals noch ausdrücklich der Produktion direkter Lebensmittel als besondere Art entgegenstellt, verwandelt er tatsächlich fixes Kapital in das, was Marx konstantes genannt hat, d.h. den Kapitalanteil, der in allen sachlichen Produktionsmitteln, im Gegensatz zur Arbeitskraft, besteht.

      2. Es gibt ein zirkulierendes Kapital der Gesellschaft. Davon bleibt aber nach Ausscheidung des "fixen" (will sagen: konstanten) Kapitalteils nur die Kategorie der Lebensmittel, die jedoch für die Gesellschaft kein Kapital, sondern Reineinkommen, Konsumtionsfonds bildet.

      3. Kapital und Reineinkommen einzelner decken sich nicht mit Kapital und Reineinkommen der Gesellschaft. Was für die Gesellschaft nur fixes (will sagen: konstantes) Kapital ist, kann für einzelne nicht Kapital, sondern Einkommen, Konsumtionsfonds sein, nämlich in den Wertteilen des fixen Kapitals, die Löhne für die Arbeiter und Profite für die Kapitalisten darstellen. Umgekehrt kann zirkulierendes Kapital einzelner für die Gesellschaft kein Kapital, sondern Einkommen sein, namentlich insofern es Lebensmittel darstellt.

      4. Das jährlich hergestellte gesellschaftliche Gesamtprodukt enthält in seinem Wert überhaupt kein Atom Kapital, sondern löst sich ganz auf in drei Einkommensarten: Arbeitslöhne, Kapitalprofite und Grundrenten.

      Wer sich aus den hier angeführten Gedankenfragmenten das Bild der jährlichen Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals und ihres Mechanismus zusammenstellen möchte, dürfte bald an der Aufgabe verzweifeln. Wie bei alledem schließlich das gesellschaftliche Kapital jährlich immer wieder erneuert, die Konsumtion aller durch das Einkommen gesichert wird und zugleich die einzelnen ihre Kapital- und Einkommensgesichtspunkte einhalten - dies erscheint noch unendlich entfernt von der Lösung. Es ist aber nötig, sich die ganze Ideenwirre und die Fülle der widersprechenden Gesichtspunkte zu vergegenwärtigen, um zu ermessen, wieviel Licht erst Marx in das Problem hineingetragen hat.

      Fangen wir mit dem letzten Dogma Ad. Smith' an, das allein genügte, um das Reproduktionsproblem in der klassischen Nationalökonomie scheitern zu lassen. Die Wurzel der bizarren Vorstellung Smith', daß das Gesamtprodukt der Gesellschaft in seinem Werte in lauter Löhne, Profite und Grundrenten restlos aufgehen müßte, liegt gerade in seiner wissenschaftlichen Erfassung der Werttheorie. Arbeit ist die Quelle alles Wertes. Jede Ware ist, als Wert betrachtet, Produkt der Arbeit und nichts mehr. Jede geleistete Arbeit ist aber als Lohnarbeit - diese Identifizierung der menschlichen Arbeit mit kapitalistischer Lohnarbeit ist gerade das klassische bei Smith - zugleich Ersatz für die ausgelegten Arbeitslöhne wie Überschuß aus unbezahlter Arbeit als Profit für den Kapitalisten und Rente für den Grundeigentümer. Was für jede einzelne Ware stimmt, muß für die Gesamtheit der Waren stimmen. Der gesamte Warenhaufen, der jährlich von der Gesellschaft produziert wird, ist als Wertquantum nur Produkt der Arbeit, und zwar sowohl bezahlter wie unbezahlter Arbeit, zerfällt also gleichfalls in lauter Löhne und Profite nebst Renten. Freilich kommen bei jeder Arbeit noch Rohstoffe, Instrumente usw. in Betracht. Allein, was sind diese Rohstoffe und Instrumente anderes als gleichfalls Produkte der Arbeit, und zwar wiederum teils bezahlter, teils unbezahlter Arbeit. Wir können so weit zurückgehen, so viel drehen und wenden, wie wir wollen, wir werden im Wert resp. Preis sämtlicher Waren nichts finden, was nicht einfach menschliche Arbeit wäre. Jede Arbeit zerfällt aber in einen Teil, der Löhne ersetzt, und einen anderen, der an die Kapitalisten und Grundbesitzer geht. Es gibt nichts als Löhne und Profite - es gibt aber doch Kapital -, Kapital der einzelnen und Kapital der Gesellschaft. Wie also aus diesem krassen Widerspruch herauskommen? Daß hier in der Tat eine äußerst harte theoretische Nuß vorlag, beweist die Tatsache, wie lange Marx selbst sich in die Materie hineinbohrte, ohne zunächst vorwärtszukommen und einen Ausweg zu finden, wie man dies in seinen "Theorien über den Mehrwert", I, S.179-252 [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Erster Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.1, S. 78-121, 158-168, 190/191 u. 202-222.], verfolgen kann. Die Lösung gelang ihm aber doch glänzend, und zwar auf Grund seiner Werttheorie. Smith hatte vollkommen recht: Der Wert jeder Ware im einzelnen und aller insgesamt stellt nichts als Arbeit dar. Er hatte ferner recht, wenn er sagte: Jede Arbeit (kapitalistisch betrachtet) zerfällt in bezahlte (die Löhne ersetzt) und unbezahlte (die als Mehrwert an die verschiedenen Besitzerklassen der Produktionsmittel wandert). Er vergaß aber oder übersah vielmehr, daß die Arbeit neben der Eigenschaft, neuen Wert zu schaffen, auch noch die Eigenschaft hat, den alten Wert, der in den Produktionsmitteln steckt, auf die neue, mit diesen Produktionsmitteln