Rosa Luxemburg

Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band)


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wen produziert dieser andere, akkumulierte Teil des Mehrwerts? Nach dem Marxschen Schema geht die Bewegung von der Abteilung I aus, von der Produktion der Produktionsmittel. Wer braucht diese vermehrten Produktionsmittel? Das Schema antwortet: Die Abteilung II braucht sie, um mehr Lebensmittel herstellen zu können. Wer braucht aber die vermehrten Lebensmittel? Das Schema antwortet: eben die Abteilung I, weil sie jetzt mehr Arbeiter beschäftigt. Wir drehen uns offenbar im Kreise. Lediglich deshalb mehr Konsummittel herstellen, um mehr Arbeiter erhalten zu können, und lediglich deshalb mehr Produktionsmittel herstellen, um jenes Mehr an Arbeitern zu beschäftigen, ist vom kapitalistischen Standpunkt eine Absurdität. Für den einzelnen Kapitalisten ist freilich der Arbeiter ein ebenso guter Konsument, d.h. Abnehmer seiner Ware - falls er sie zahlen kann - wie ein Kapitalist oder sonst jemand. Im Preise der Ware, die er dem Arbeiter verkauft, realisiert jeder einzelne Kapitalist seinen Mehrwert genauso wie im Preise jeder Ware, die er einem anderen beliebigen Abnehmer verkauft. Nicht so vom Standpunkte der Kapitalistenklasse im ganzen. Diese gibt der Arbeiterklasse im ganzen nur eine Anweisung auf einen genau bestimmten Teil des gesellschaftlichen Gesamtprodukts im Betrage des variablen Kapitals. Wenn also die Arbeiter Lebensmittel kaufen, so erstatten sie der Kapitalistenklasse nur die von ihr erhaltene Lohnsumme, die Anweisung, bis zur Höhe des variablen Kapitals zurück.

      Mehr können sie nicht um einen Deut zurückgeben, eher etwas weniger, nämlich, wenn sie "sparen" können, um selbständig, um zu kleinen Unternehmern zu werden, was jedoch eine Ausnahme ist. Einen Teil des Mehrwerts verzehrt die Kapitalistenklasse selbst in Gestalt von Lebensmitteln und behält in ihrer Tasche das dafür gegenseitig ausgetauschte Geld. Wer aber nimmt ihr die Produkte ab, in denen der andere, kapitalisierte Teil des Mehrwerts verkörpert ist? Das Schema antwortet: zum Teil die Kapitalisten selbst, indem sie neue Produktionsmittel herstellen behufs Erweiterung der Produktion, zum Teil neue Arbeiter, die zur Anwendung jener neuen Produktionsmittel nötig sind. Aber um neue Arbeiter mit neuen Produktionsmitteln arbeiten zu lassen, muß man - kapitalistisch - vorher einen Zweck für die Erweiterung der Produktion haben, eine neue Nachfrage nach Produkten, die anzufertigen sind.

      Die Antwort kann vielleicht lauten: Der natürliche Zuwachs der Bevölkerung schafft diese wachsende Nachfrage. Tatsächlich sind wir bei unserer hypothetischen Untersuchung der erweiterten Reproduktion in einer sozialistischen Gesellschaft von dem Wachstum der Bevölkerung und ihrer Bedürfnisse ausgegangen. Aber hier war das Bedürfnis der Gesellschaft die ausreichende Grundlage, wie es der einzige Zweck der Produktion ist. In der kapitalistischen Gesellschaft sieht das Problem anders aus. Um welche Bevölkerung handelt es sich, wenn wir von ihrem Zuwachs reden? Wir kennen hier - im marxschen Schema - nur zwei Bevölkerungsklassen: Kapitalisten und Arbeiter. Der Zuwachs der Kapitalistenklasse ist ohnehin in der wachsenden absoluten Größe des verzehrten Teils des Mehrwertes inbegriffen. Jedenfalls kann er nicht den Mehrwert restlos verzehren, denn dann würden wir zur einfachen Reproduktion zurückkehren. Es bleiben die Arbeiter. Auch die Arbeiterklasse vermehrt sich durch natürlichen Zuwachs. Aber dieser Zuwachs geht die kapitalistische Wirtschaft als Ausgangspunkt wachsender Bedürfnisse an sich nichts an.

      Die Produktion von Lebensmitteln zur Deckung von I v und II v ist nicht Selbstzweck, wie in einer Gesellschaft, wo die Arbeitenden und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse die Grundlage des Wirtschaftssystems bilden. Nicht deshalb werden in der Abteilung II (kapitalistisch) soviel Lebensmittel produziert, weil die Arbeiterklasse von I und II ernährt werden müsse. Umgekehrt. Es können jeweilig soviel Arbeiter in I und II sich ernähren, weil ihre Arbeitskraft unter den gegebenen Absatzbedingungen verwertet werden kann. Das heißt, nicht eine gegebene Anzahl Arbeiter und ihr Bedarf sind Ausgangspunkt für die kapitalistische Produktion, sondern diese Größen selbst sind ständig schwankende "abhängige Variable" der kapitalistischen Profitaussichten. Es fragt sich also, ob der natürliche Zuwachs der Arbeiterbevölkerung auch einen neuen Zuwachs der zahlungsfähigen Nachfrage über das variable Kapital hinaus bedeutet. Das kann nicht der Fall sein. In unserem Schema ist die einzige Quelle der Geldmittel für die Arbeiterklasse das variable Kapital. Das variable Kapital begreift also im voraus den Zuwachs der Arbeiterschaft mit ein. Eins von beiden: Entweder sind die Löhne so bemessen, daß sie auch den Nachwuchs der Arbeiter ernähren, dann kann der Nachwuchs nicht noch einmal als Grundlage der erweiterten Konsumtion in Rechnung gezogen werden. Oder das ist nicht der Fall, dann müssen jugendliche Arbeiter, der Nachwuchs, selbst Arbeit liefern, um Lohn und Lebensmittel zu bekommen. Dann ist der arbeitende Nachwuchs eben in der Zahl der beschäftigten Arbeiter bereits einbegriffen. Der natürliche Zuwachs der Bevölkerung kann uns also den Akkumulationsprozeß im Marxschen Schema nicht erklären.