Weisheit genügt ihm vollständig, um ihn für alle komplizierten Verhältnisse der Kapitalproduktion und der Kapitalbewegungen völlig blind zu machen. Da Kapital durch Arbeit entsteht, so ist Kapitalakkumulation, d.h. "Sparen", Kapitalisierung des Mehrwertes - bloßer Humbug.
Um diesen verworrenen Knäuel von Irrtümern "der Nationalökonomen seit A. Smith" zu entwirren, nimmt er sich, wie sich von selbst versteht, einen "isolierten Wert" vor und weist in einer langen Vivisektion an dem unglücklichen Wurm alles nach, was er braucht. So findet er hier schon das "Kapital", d.h. natürlich den berühmten "ersten Stock", womit die Nationalökonomie "seit A. Smith" die Früchte ihrer Kapitaltheorie vom Baume der Erkenntnis schlägt. Entsteht der Stock etwa aus "Sparen"? fragt Rodbertus. Und da jeder normale Mensch versteht, daß aus "Sparen" kein Stock entstehen kann, sondern daß sich Robinson den Stock aus Holz verfertigen muß, so ist auch schon bewiesen, daß die "Spartheorie" ganz falsch sei. Weiter: Der "isolierte Wert" schlägt sich mit dem Stock eine Frucht vom Baume, diese Frucht ist sein "Einkommen". "Wenn Kapital die Quelle von Einkommen wäre, so müßte sich dies Verhältnis schon an diesem ursprünglichen und einfachsten Vorgange nachweisen lassen. Aber kann man, ohne den Dingen und Begriffen Gewalt anzutun, den Stecken die Quelle des Einkommens oder eines Teils des Einkommens nennen, das in der herabgeschlagenen Frucht besteht, dieses Einkommen ganz oder zum Teil auf den Stecken als seine Ursache zurückführen. ganz oder zum Teil als Produkt des Steckens betrachten?"130 Sicher nicht. Und da die Frucht das Produkt nicht "des Steckens", womit sie abgeschlagen, sondern des Baumes, auf dem sie gewachsen, so hat Rodbertus auch schon bewiesen, daß alle Nationalökonomen "seit A. Smith" sich gründlich irrten, wenn sie behaupteten. das Einkommen rühre vom Kapital her. Nachdem so an der "Wirtschaft" Robinsons alle Grundbegriffe der Nationalökonomie klargelegt sind, überträgt Rodbertus die so gewonnene Erkenntnis zuerst auf eine fingierte Gesellschaft "ohne Kapital- und Grundeigentum", d.h. mit kommunistischem Besitz, sodann auf die Gesellschaft "mit Kapital- und Grundeigentum", d.h. auf die heutige Gesellschaft - und siehe da: Alle Gesetze der Robinsonwirtschaft bewähren sich Punkt für Punkt auch in diesen beiden Gesellschaftsformen. Hier stellt Rodbertus eine Theorie vom Kapital und Einkommen auf, die seiner utopischen Phantasie die Krone aufsetzt. Da er entdeckt hat, daß bei Robinson "das Kapital" schlicht und einfach die Produktionsmittel sind, so identifiziert er auch in der kapitalistischen Wirtschaft Kapital mit Produktionsmitteln, und hat er so das Kapital mit einer Handbewegung auf konstantes Kapital reduziert, so protestiert er im Namen der Gerechtigkeit und der Moral dagegen, daß die Existenzmittel der Arbeiter, ihre Löhne, auch als Kapital betrachtet werden. Gegen den Begriff des variablen Kapitals kämpft er hitzig, denn dieser Begriff sei an allem Unheil schuld! "Möchten doch die Nationalökonomen", fleht er, "mir hier Aufmerksamkeit schenken und unbefangen prüfen, ob sie oder ich recht haben! Hier liegt der Knotenpunkt aller Irrtümer des herrschenden Systems über das Kapital, hier der letzte Grund der theoretischen wie praktischen Ungerechtigkeit gegen die arbeitenden Klassen."131 Die "Gerechtigkeit" fordert nämlich, daß man die "realen Lohngüter" der Arbeiter nicht zum Kapital, sondern zur Kategorie Einkommen rechne. Rodbertus weiß zwar sehr wohl, daß für den Kapitalisten die von ihm "vorgestreckten" Löhne ein Teil seines Kapitals sind, ganz so wie der andere in toten Produktionsmitteln vorgestreckte Teil. Allein das bezieht sich nach Rodbertus nur auf das Einzelkapital. Sobald er das gesellschaftliche Gesamtprodukt und die Gesamtreproduktion ins Auge faßt, erklärt er die kapitalistischen Kategorien der Produktion für ein Trugbild, eine boshafte Lüge und eine "Ungerechtigkeit". "Etwas ganz anderes als das Kapital an sich, die Kapital gegenstände, das Kapital vom Standpunkt der Nation, ist das Privatkapital, das Kapital vermögen, das Kapital eigentum, das, was gewöhnlich heute unter 'Kapital' verstanden wird."132 Die Einzelkapitalisten produzieren kapitalistisch, die Gesamtgesellschaft aber genauso wie Robinson, d.h. als ein Gesamteigentümer, kommunistisch: "Daß jetzt das gesamte Nationalprodukt auf allen verschiedenen Produktionsstufen zu größeren oder kleineren Teilen einzelnen Privatpersonen, die zu den eigentlichen Produzenten gar nicht zu rechnen sind, zu eigen gehört, daß die eigentlichen Produzenten dies ganze Nationalprodukt immerfort nur im Dienste dieser wenigen Eigentümer herstellen ohne Miteigentümer an ihrem eigenen Produkt zu sein, macht von diesem allgemeinen und nationalen Standpunkt aus keinen Unterschied." Freilich ergeben sich daraus gewisse Besonderheiten der Verhältnisse auch für die Gesellschaft im ganzen, nämlich erstens "der Tausch" als Vermittler und zweitens die ungleiche Verteilung des Produkts. "Allein sowenig alle diese Wirkungen verhindern, daß nach wie vor die Bewegung der Nationalproduktion und die Gestaltung des Nationalprodukts im allgemeinen dieselbe bleibt (wie unter der Herrschaft des Kommunismus), sowenig alterieren sie auch vom nationalen Standpunkt aus in irgendeiner Beziehung den bisher aufgestellten Gegensatz von Kapital und Einkommen." Sismondi mühte sich gleich Smith und vielen anderen im Schweiße seines Angesichts ab, um den Begriff von Kapital und Einkommen aus den Widersprüchen der kapitalistischen Produktion zu entwirren; Rodbertus macht sich die Sache leichter: er sieht für die Gesellschaft im ganzen von allen Formbestimmtheiten der kapitalistischen Produktion einfach ab und nennt "Kapital" die Produktionsmittel und "Einkommen" die Konsumtionsmittel - basta! "Das Grund- und Kapitaleigentum hat nur in bezug auf die verkehrenden Individuen einen wesentlichen Einfluß. Faßt man also die Nation als eine Einheit auf, so verschwinden seine Wirkungen auf die Individuen."133 Man sieht, Rodbertus zeigt, sobald er an das eigentliche Problem, an das kapitalistische Gesamtprodukt und seine Bewegung, herantritt, die typische Geringschätzung des Utopisten für historische Besonderheiten der Produktion, und auf ihn paßt wie angegossen die Bemerkung, die Marx über Proudhon macht, daß, sobald er von der Gesellschaft im ganzen spricht, er so tut, als ob sie aufhörte, kapitalistisch zu sein. Andererseits sieht man am Beispiel Rodbertus' wieder, wie hilflos die gesamte Nationalökonomie vor Marx in ihren Bemühungen herumtappte, sachliche Gesichtspunkte des Arbeitsprozesses mit Wertstandpunkten der kapitalistischen Produktion, Bewegungsformen des Einzelkapitals mit denen des gesellschaftlichen Gesamtkapitals in Einklang zu bringen. Diese Bemühungen pendeln gewöhnlich zwischen zwei Extremen: der vulgären Auffassung à la Say, MacCulloch, für die überhaupt nur Gesichtspunkte des Einzelkapitals existieren, und der utopischen Auffassung à la Proudhon, Rodbertus, für die nur Standpunkte des Arbeitsprozesses existieren. Da lernt man erst schätzen, welches enorme Licht über die ganze Sache durch das Schema der einfachen Reproduktion von Marx verbreitet worden ist, wo alle jene Standpunkte in ihrem Einklang wie in ihrem Widerspruch zusammengefaßt und wo der heillose Wirrwarr zahlloser Bände in zwei Zahlenreihen von verblüffender Einfachheit aufgelöst ist.
Daß bei einer solchen Auffassung von Kapital und Einkommen die kapitalistische Aneignung unerklärlich wird, versteht sich von selbst. Rodbertus erklärt sie denn auch einfach für "Raub" und verklagt sie vor dem Forum des Eigentumsrechts, dessen schnöde Verletzung sie darstelle. "Wenn also ... diese persönliche Freiheit (der Arbeiter), die rechtlich das Eigentum am Wert des Arbeitsprodukts involviert, infolge des vom Grund- und Kapitaleigentum über die Arbeiter geübten Zwanges in der Praxis wieder zur Entäußerung jenes Eigentumsanspruchs führt - so ist es, als ob eine instinktive Scheu, daß die Geschichte ihre strengen, unerbittlichen Syllogismen daraus ziehen könne, die Besitzer von dem Geständnis dieses großen und allgemeinen Unrechts abhielte."134 "Daher ist endlich diese (Rodbertussche) Theorie in allen ihren Einzelheiten ein durchgängiger Beweis, daß jene Lobredner der heutigen Eigentumsverhältnisse, die sich doch wieder nicht entbrechen können, das Eigentum auf die Arbeit zu gründen, mit ihrem eigenen Prinzip im vollständigsten Widerspruch stehen. Sie beweist, daß die heutigen Eigentumsverhältnisse gerade auf einer allgemeinen Verletzung dieses Prinzips beruhen und daß jene großen individuellen Vermögen. die sich heute in der Gesellschaft anhäufen ..., mit jedem neugeborenen Arbeiter den schon von alters her sich in der Gesellschaft anhäufenden Raub vergrößern."135 Und ist der Mehrwert so zum "Raub" erklärt worden, so erscheint die steigende Mehrwertrate als "ein merkwürdiger Fehler in der heutigen nationalökonomischen Organisation".136