Wo sind nur die Anstalten, z.B. auf dem laufenden gehaltene statistische Büros, um ihnen dabei behilflich zu sein? Aber was schlimmer ist, der einzige Fühler des Marktes ist der Preis, sein Steigen und Fallen. Aber er ist nicht wie ein Barometer, das die Temperatur des Marktes vorhersagt, sondern wie ein Thermometer, das sie nur mißt. Fällt der Preis, so ist schon die Grenze überschritten und das Übel bereits da."115 Diese zweifellos gegen Sismondi gerichtete Polemik zeigt, daß zwischen beiden in der Auffassung der Krisen sehr wesentliche Unterschiede lagen; wenn deshalb Engels im "Anti-Dühring" sagt, die Erklärung der Krisen aus Unterkonsumtion rühre von Sismondi her und von diesem habe sie Rodbertus entlehnt, so ist das, streng genommen, nicht genau. Gemeinsam ist Rodbertus wie Sismondi nur die Opposition gegen die klassische Schule sowie die Erklärung der Krisen im allgemeinen aus der Verteilung des Einkommens. Aber auch hier folgt Rodbertus seiner eigenen Privatschrulle. Nicht die Niedrigkeit des Einkommens der Arbeitermasse bewirke die Überproduktionen und auch nicht die beschränkte Konsumtionsfähigkeit der Kapitalisten, wie bei Sismondi, sondern lediglich die Tatsache, daß das Einkommen der Arbeiter mit dem Fortschritt der Produktivität einen immer geringeren Teil des Produktenwertes darstellt. Rodbertus weist seinem Widerpart ausdrücklich nach, daß nicht aus der Geringfügigkeit der Anteile der arbeitenden Klassen Absatzstockungen entspringen: "Stellen Sie sich", belehrt er v. Kirchmann, "diese Anteile so klein vor, daß die Berechtigten nur das nackte Leben dabei haben, halten Sie die Anteile aber nur in der Quote, die sie am Nationalprodukt einnehmen, fest, und lassen Sie dann die Produktivität zunehmen, so haben Sie auch das feste Wertgefäß, das einen immer größeren Inhalt aufzunehmen imstande ist, so haben Sie den immer zunehmenden Wohlstand auch der arbeitenden Klassen ... Umgekehrt stellen Sie sich die Anteile der arbeitenden Klassen so groß vor, wie Sie wollen, lassen Sie sie aber unter der Zunahme der Produktivität zu einer immer kleineren Quote des Nationalprodukts herabsinken, so werden diese Anteile zwar bis dahin, daß sie auf ihre heutige Geringfügigkeit zurückgebracht sind, immer noch vor übergroßer Entbehrung schützen, denn ihr Produktinhalt wird noch immer bedeutend größer als heute sein, aber sie werden dennoch sofort, als sie zu sinken beginnen, jene zu unsern Handelskrisen sich steigernde Unbefriedigung nach sich ziehen, die ohne Verschulden der Kapitalisten ja nur deshalb eintritt, weil die Kapitalisten den Umfang ihrer Produktion nach der gegebenen Größe der Anteile einrichteten."116
Also die "fallende Lohnquote" ist die eigentliche Ursache der Krisen und das einzig wirksame Mittel gegen sie - die gesetzliche Bestimmung, wonach der Anteil der Arbeiter am Nationalprodukt eine feste und unabänderliche Quote darstellt. Man muß sich in diesen bizarren Einfall gut hineindenken, um seinen ökonomischen Inhalt nach Gebühr zu würdigen.
Siebzehntes Kapitel.
Rodbertus' Analyse der Reproduktion
Was soll es vor allem bedeuten, daß die Verringerung des Anteils der Arbeiter "sofort" Überproduktion und Handelskrisen hervorrufen müsse? Diese Auffassung wird nur begreiflich., wenn man voraussetzt, daß Rodbertus sich das "Nationalprodukt" aus zwei Teilen bestehend vorstellt, aus dem Anteil der Arbeiter und dem Anteil der Kapitalisten, also v + m, wobei sich etwa der eine Teil gegen den anderen austauscht. In der Tat spricht Rodbertus stellenweise beinahe in diesem Sinne, so, wenn er im "Ersten socialen Briefe" sagt: "Die Armut der arbeitenden Klassen läßt niemals zu, daß ihr Einkommen ein Bett für die anschwellende Produktion abgebe. Das Übermaß von Produkten. das in den Händen der Arbeiter nicht bloß deren Lage verbessern, sondern zugleich ein Gewicht abgeben würde, um den Wert des bei den Unternehmern verbleibenden Restes zu steigern und diesen damit die Bedingung der Fortsetzung ihrer Betriebe in dem bisherigen Umfange zu gewähren, drückt auf seiten der Unternehmer den Wert des ganzen Produkts so tief, daß jene Bedingung verschwindet, und überläßt im besten Falle die Arbeiter ihrem gewohnten Mangel.117 Das "Gewicht", das in den Händen der Arbeiter "den Wert" des bei den Unternehmern "verbleibenden Restes" steigert, kann hier nur Nachfrage bedeuten. Damit wären wir glücklich angelangt in dem famosen "Ort" v. Kirchmanns, wo die Arbeiter mit den Kapitalisten einen Austausch ihrer Löhne gegen das Mehrprodukt ausführen und wo die Krisen deshalb entstehen, weil das variable Kapital klein und der Mehrwert groß ist. Diese seltsame Vorstellung ist schon oben besprochen worden. An anderen Stellen gibt jedoch Rodbertus eine abweichende Auffassung zum besten. Im "Vierten socialen Brief" deutet er seine Theorie so, daß die ständige Verschiebung im Verhältnis der Nachfrage, die durch den Anteil der Arbeiterklasse dargestellt, und derjenigen, die durch den Anteil der Kapitalistenklasse bewirkt wird, eine chronische Disproportion zwischen Produktion und Konsumtion hervorrufen müsse: "Aber wie, wenn sich nun die Unternehmer zwar immerfort in den Grenzen jener Anteile zu halten suchen, aber diese Anteile selbst sich bei der großen Mehrzahl der Gesellschaft, den Arbeitern, nach und nach mit unvermerkter, aber unwiderstehlicher Gewalt immerfort verkleinerten? Wenn sie sich bei diesen Klassen immerfort in demselben Maße verkleinerten, als sich deren Produktivität vergrößerte?" "Ob deshalb nicht die Kapitalisten, während sie nur nach der bisherigen Große der Anteile die Produktion einrichten und einrichten mußten, um den Reichtum allgemein zu machen, dennoch immerfort über die bisherigen Anteile hinaus produzieren und also eine stete Nichtbefriedigung, die sich zu einer Absatzstockung ... steigert, veranlassen?"118
Demnach haben wir uns die Krisen folgendermaßen zu erklären: Das Nationalprodukt besteht aus einer Anzahl "ordinärer Waren", wie v. Kirchmann sagt, für die Arbeiter und feinerer Waren für die Kapitalisten. Die Menge jener wird durch die Summe der Löhne, dieser durch den Gesamtmehrwert dargestellt. Richten sich die Kapitalisten bei ihrer Produktion danach ein und schreitet dabei die Produktivität fort, so muß sich schon im nächsten Augenblick ein Mißverhältnis herausstellen. Denn der Anteil der Arbeiter von heute ist nicht mehr der von gestern, sondern geringer; bildete gestern die Nachfrage nach "ordinären Waren", sagen wir, sechs Siebentel des Nationalprodukts, so bildet sie heute nur noch fünf Siebentel, und die Unternehmer, die sich auf sechs Siebentel "ordinärer Waren" eingerichtet haben, werden zu ihrer schmerzlichen Überraschung konstatieren müssen, daß sie um ein Siebentel deren zuviel hergestellt haben. Wollen sie aber, durch diese Erfahrung gewitzigt, morgen ihre Produktion so einrichten, daß sie nur fünf Siebentel des gesamten Wertes des Nationalprodukts in ordinären Waren herstellen, so laufen sie damit nur einer neuen Enttäuschung in die Arme, denn übermorgen wird der Lohnanteil am Nationalprodukt sicher nur noch vier Siebentel darstellen usw.
Diese originelle Theorie ruft sofort eine Menge gelinder Zweifel wach. Wenn unsere Handelskrisen lediglich daher rühren, daß die " Lohnquote" der Arbeiterklasse, das variable Kapital, einen immer geringeren Teil des Gesamtwerts des Nationalprodukts ausmacht, dann birgt ja das fatale Gesetz in sich selbst auch die Heilung des von ihm angerichteten Übels, da doch die Überproduktion einen immer geringeren Teil des Gesamtprodukts betrifft. Rodbertus liebt zwar die Ausdrücke von "übergroßer Mehrzahl" der Konsumenten, von der "großen Volksmasse" der Konsumenten, deren Anteil immer mehr sinke, doch kommt es nicht auf die Zahl der Kopfe bei der Nachfrage an, sondern auf den durch sie dargestellten Wert. Und dieser Wert bildet nach Rodbertus selbst einen immer geringfügigeren Teil des Gesamtprodukts. Die ökonomische Basis der Krisen wird damit immer schmaler, und es bleibt nur die Frage, wie es kommt, daß die Krisen trotzdem, wie Rodbertus feststellt, erstens allgemein und zweitens immer heftiger sind. Bildet ferner die "Lohnquote" den einen Teil des Nationalprodukts, so der Mehrwert, nach Rodbertus, den anderen. Was an Kaufkraft der Arbeiterklasse abgeht, wächst als Kaufkraft der Kapitalistenklasse an, wird v immer geringer, so m dafür immer größer. Nach dem eigenen kruden Schema von Rodberrus kann dadurch im ganzen die Kaufkraft der Gesellschaft nicht alteriert werden. Sagt er doch selbst: "Ich weiß wohl, daß schließlich dasjenige, um welches der Anteil der Arbeiter fällt, den Anteilen der Rentenbezieher (bei Rodbertus "Rente" gleich Mehrwert - R. L.) zuwächst, daß also auf die Dauer und im ganzen die Kaufkraft sich gleichbleibt. Aber in bezug auf das zu Markt gebrachte Produkt ist schon immer