sparen sie ebenfalls nicht." So primitiv die Beweisführung, so kommt dabei doch der Grundgedanke v. Kirchmanns und der Alp der theoretischen Nationalökonomie ganz hübsch und klar zum Ausdruck: In einer lediglich aus Arbeitern und Kapitalisten bestehenden Gesellschaft erscheint die Akkumulation als eine Unmöglichkeit. v. Kirchmann zieht daraus die Konsequenz, indem er unumwunden die Akkumulation, das "Sparen", die "produktive Konsumtion" des Mehrwerts bekämpft, gegen die Befürwortung dieser Irrtümer durch die klassische Nationalökonomie heftig polemisiert und den mit der Produktivität der Arbeit steigenden Luxus als das Mittel gegen die Krisen predigt. Man sieht, wenn v. Kirchmann in seinen theoretischen Prämissen eine Karikatur Ricardo-Says war, so ist er in seinen Schlußfolgerungen eine Karikatur Sismondis. Es war jedoch notwendig, die Fragestellung v. Kirchmanns ganz scharf ins Auge zu fassen, um die Antikritik Rotibertus' und den Ausgang der Kontroverse würdigen zu können.
Sechzehntes Kapitel.
Rodbertus' Kritik der klassischen Schule
Rodbertus gräbt tiefer als v. Kirchmann. Er sucht die Wurzeln des Übels in den Grundlagen selbst der gesellschaftlichen Organisation und erklärt der herrschenden Freihandelsschule erbitterten Krieg. Freilich nicht gegen das System des ungehinderten Warenverkehrs oder der Gewerbefreiheit, die er voll und ganz akzeptiert, zieht er ins Feld, sondern gegen das Manchestertum, das laissez faire in den inneren sozialen Verhältnissen der Wirtschaft. Zu seiner Zeit war auf die Sturm-und-Drang-Periode der klassischen Ökonomie bereits jenes skrupellose Apologetentum zur Herrschaft gelangt, das in dem fabelhaften Vulgarus und Abgott aller Philister, dem Herrn Frédéric Bastiat mit seinen "Harmonien", den gelungensten Ausdruck fand, und bald sollten auch verschiedene Schulzes als der kümmerlich-spießerliche deutsche Abklatsch des französischen Harmoniepropheten grassieren. Gegen diese skrupellosen "Freihandelshausierburschen" richtete sich die Kritik Rodbertus'. "Fünf Sechsteile der Nation", ruft er in seinem "Ersten socialen Brief an von Kirchmann" (1850), "werden bisher durch die Geringfügigkeit ihres Einkommens nicht bloß von den meisten Wohltaten der Zivilisation ausgeschlossen, sondern unterliegen dann und wann den furchtbarsten Ausbrüchen wirklichen Elends und sind immerdar dessen drohender Gefahr ausgesetzt. Dennoch sind sie die Schöpfer alles gesellschaftlichen Reichtums. Ihre Arbeit beginnt mit aufgehender, endigt mit niedergehender Sonne, erstreckt sich bis in die Nacht hinein, aber keine Anstrengung vermag dies Los zu ändern. Ohne ihr Einkommen erhöhen zu können, verlieren sie nur noch die letzte Zeit, die ihnen für Bildung ihres Geistes hätte übrigbleiben sollen. Wir wollen annehmen, daß der Fortschritt der Zivilisation soviel Leiden zu seinem Fußgestell bisher bedurfte. Da leuchtet plötzlich die Möglichkeit einer Änderung dieser traurigen Notwendigkeit aus einer Reihe der wunderbarsten Erfindungen - Erfindungen, welche die menschliche Arbeitskraft mehr als verhundertfachen. Der Nationalreichtum - das Nationalvermögen im Verhältnis zur Bevölkerung - wächst infolgedessen in steigender Progression. Ich frage: Kann es eine natürlichere Folgerung, eine gerechtere Forderung geben, als daß auch die Schöpfer dieses alten und neuen Reichtums von dieser Zunahme irgendwie Vorteil haben? - als daß sich entweder ihr Einkommen mit erhöht oder die Zeit ihrer Arbeit ermäßigt oder immer mehrere Mitglieder von ihnen in die Reihen jener Glücklichen übergehen, die vorzugsweise die Früchte der Arbeit zu brechen berechtigt sind? Aber die Staatswirtschaft oder besser die Volkswirtschaft hat nur das Gegenteil von dem allen zustande zu bringen vermocht. Während der Nationalreichtum wächst, wächst auch die Verarmung jener Klassen, müssen Spezialgesetze sogar der Verlängerung der Arbeitszeit in den Weg treten und nimmt endlich die Zahl der arbeitenden Klassen in größerem Verhältnis zu als die der anderen. Aber nicht genug! Die hundertfach erhöhte Arbeitskraft, die schon fünf Sechsteilen der Nation keine Erleichterung zu gewähren vermochte, wird periodisch auch noch der Schrecken des letzten Sechsteils der Nation und damit der ganzen Gesellschaft." "Welche Widersprüche also auf dem wirtschaftlichen Gebiete insbesondere! Und welche Widersprüche auf dem gesellschaftlichen Gebiete überhaupt! Der gesellschaftliche Reichtum nimmt zu, und die Begleiterin dieser Zunahme ist die Zunahme der Armut. - Die Schöpfungskraft der Produktivmittel wird gesteigert, und deren Einstellung ist davon die Folge. - Der gesellschaftliche Zustand verlangt die Erhebung der materiellen Lage der arbeitenden Klassen zu gleicherer Höhe mit ihrer politischen, und der wirtschaftliche Zustand antwortet mit deren tieferer Erniedrigung. - Die Gesellschaft bedarf des ungehinderten Aufschwungs des Reichtums, und die heutigen Leiter der Produktion müssen denselben hemmen, um nicht der Armut Vorschub zu leisten. - Nur eines ist in Harmonie! Der Verkehrtheit der Zustände entspricht die Verkehrtheit des herrschenden Teils der Gesellschaft, die Verkehrtheit, den Grund dieser Übel da zu suchen, wo er nicht liegt. Jener Egoismus, der sich nur zu oft in das Gewand der Moral hüllt, klagt als die Ursache des Pauperismus die Untugenden der Arbeiter an. Ihrer angeblichen Ungenügsamkeit und Unwirtschaftlichkeit bürdet er auf, was übermächtige Tatsachen an ihnen verbrechen, und wo selbst er seine Augen nicht vor ihrer Schuldlosigkeit verschließen kann, erhebt er die 'Notwendigkeit der Armut' zur Theorie. Ohne Unterlaß ruft er den Arbeitern nur ora er labora zu, macht ihnen Enthaltsamkeit und Sparsamkeit zur Pflicht und fügt höchstens die Rechtsverletzung von Zwangssparanstalten der Not der Arbeiter hinzu. Er sieht nicht, daß eine blinde Verkehrsgewalt das Gebet zur Arbeit in einen Fluch über erzwungene Arbeitslosigkeit verwandelt, daß ... Sparsamkeit eine Unmöglichkeit oder eine Grausamkeit ist und daß endlich die Moral stets wirkungslos in dem Munde derer blieb, von denen der Dichter weiß, 'sie trinken heimlich Wein und predigen öffentlich Wasser'."99
Konnten solche tapferen Worte an sich - dreißig Jahre nach Sismondi und Owen, zwanzig Jahre nach den Anklagen der englischen Sozialisten aus der Ricardoschule, endlich nach der Chartistenbewegung, nach der Junischlacht und, last not least, nach dem Erscheinen des Kommunistischen Manifests - keinen Anspruch auf bahnbrechende Bedeutung erheben, so kam es letzt um so mehr auf die wissenschaftliche Begründung dieser Anklagen an. Rodbertus gibt hier ein ganzes System, das auf die folgenden knappen Sätze zurückgeführt werden kann.
Die geschichtlich erreichte Höhe der Produktivität der Arbeit zusammen mit den "Institutionen des positiven Rechts", d.h. dem Privateigentum, haben dank den Gesetzen eines "sich selbst überlassenen Verkehrs" eine ganze Reihe verkehrter und unmoralischer Erscheinungen hervorgerufen. So
1. den Tauschwert, an Stelle des "normalen", "konstituierten Werts" und dadurch das heutige Metallgeld an Stelle eines richtigen "seiner Idee entsprechenden" "Papierstreifen"geldes oder "Arbeitsgeldes" "Die erste (Wahrheit) ist, daß alle wirtschaftlichen Güter Arbeitsprodukt sind oder, wie man dieselbe auch wohl noch sonst auszudrücken pflegte, daß die Arbeit allein produktiv ist. Dieser Satz bedeutet aber weder schon, daß der Wert des Produkts immer der Kostenarbeit äqual ist, mit anderen Worten, daß die Arbeit heute schon einen Maßstab des Wertes abgeben könne." Wahrheit ist vielmehr, "daß dies noch keine staatswirtschaftliche Tatsache, sondern nur erst staatswirtschaftliche Idee ist".100
"Sollte der Wert nach der Arbeit, die das Produkt gekostet hat, konstituiert werden können, so läßt sich noch ein Geld vorstellen, das gleichsam aus den losgerissenen Blättern jenes allgemeinen Kontobuches, aus einer auf dem wohlfeilsten Stoff, auf Lumpen, geschriebenen Quittung bestehen würde, die jedermann über den von ihm produzierten Wert erhielte und die derselbe wieder als Anweisung auf ebensoviel Wert an dem zur Verteilung kommenden Nationalproduktteil realisierte ... Kann indessen der Wert aus irgendwelchen Gründen nicht oder noch nicht konstituiert werden, so muß das Geld denjenigen Wert, den es liquidieren soll, selbst schon als Gleichwert, als Pfand oder Bürgschaft mit sich herumschleppen, d.h. selbst schon aus einem wertvollen Gut, aus Gold oder Silber, bestehen."101 Sobald jedoch die kapitalistische Warenproduktion da ist, wird alles auf den Kopf gestellt: "Die Konstituierung des Wertes muß aufhören, weil er nur noch Tauschwert sein kann."102 Und "weil nicht der Wert konstituiert werden konnte, kann auch das Geld nicht bloß Geld sein, nicht vollständig seiner Idee entsprechen"