Ida Pfeiffer

Ida Pfeiffer: Ausgewählte Werke


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Dieß ist eine eigenthümliche Gewohnheit der Türken, daß alle ihre Feste, Spaziergänge, Unterhaltungen und Wohnungen in Mitte der Grabesstätten sind. Nicht leicht wird man dieß bei einer andern Nation finden. Überall, in Konstantinopel, Pera, Galata u.s.w., kann man kaum einige Schritte gehen, ohne auf einzelne oder mehrere Gräber zu stoßen, die mit Cypressen umgeben sind. Hier wandelt man beständig zwischen Todten und Lebendigen, eine Sache, an welche man sich in den ersten vier und zwanzig Stunden gewöhnt. Ich ging in der Nacht mit derselben Ruhe und Gleichgiltigkeit an den Gräbern vorüber, wie an den Häusern. Von der Ferne verleihen diese zahlreichen Cypressenhaine den Städten einen eigenthümlichen, feenartigen Zauber, den man mit nichts vergleichen kann. Man sieht nur überall Bäume hervorragen, die Monumente sind dem Blicke verborgen.

      Weniger schnell konnte ich mich an die vielen herrenlosen Hunde gewöhnen, die in allen Ecken, auf Plätzen und Straßen den Fremden entgegentreten. Sie sind von einer auffallend häßlichen Race, dem Schakal ganz ähnlich. Bei Tage machen sie zwar wenig Ungelegenheit; sie sind zufrieden, wenn man sie ruhig in der Sonne liegen oder ihre Beute verzehren läßt. Bei Nacht geht es freilich nicht so gelassen her. Sie bellen und lärmen beständig, sowohl unter sich, als gegen den Menschen, packen aber Niemanden an, besondes wenn man einen Diener bei sich hat, der mit einem Stocke und einer Laterne versehen ist. Unter sich haben sie oft Händel und Raufereien, wobei es manchmal sogar Todte gibt. Sie leiden durchaus nicht, daß ein fremder Hund ihr Gebiet, nämlich die Gasse oder den Platz betrete, den sie inne haben. Über einen solchen Fremdling fallen alle her, und verfolgen ihn, bis er den Platz räumt, oder todt liegen bleibt. Darum sieht man höchst selten, daß Jemand einen Haushund mit sich nimmt, man müßte das Thier beständig tragen, und dessen ohngeachtet würden diese ungebetenen Gäste nachlaufen und immerwährend bellen und heulen. — Die Hundskrankheit, die Wuth, kennt und fürchtet man bei diesen herumirrenden Thieren nicht, obwohl Niemand für ihre Nahrung sorgt. Sie nähren sich von den eckelhaftesten Excrementen, die sie im Überflusse auf allen Straßen finden, da jeder Unrath aus den Häusern hinausgeworfen und hinausgeschüttet wird. Vor einigen Jahren wollte man sie aus Konstantinopel verbannen, und gab sie auf zwei unbewohnte Inseln im Meere von Marmora, und zwar die Männchen auf die eine, die Weibchen auf die andere. Allein der Unrath nahm nun in der Stadt dermaßen überhand, daß man sie gerne wieder zurückberief.

      Die Stadt ist nicht beleuchtet. Jedermann, der Nachts ausgeht, muß eine Laterne mit sich tragen. Wird er von der herumstreifenden Wache ohne diese ertappt, so muß er ohne Gnade und Barmherzigkeit auf's nächste Wachhaus wandern, und die Nacht dort zubringen. Die Stadttheile werden nach Sonnenuntergang geschlossen.

      So sehr ich von der himmlischen Lage Konstantinopels entzückt war, in eben dem Grade mißfiel mir das Innere. Der Schmutz und Gestank, den man überall trifft, die engen, häßlichen Gassen, das ewige Bergauf- und Bergabsteigen auf den schlechtesten Wegen verleidet nur zu schnell den Aufenthalt in dieser Stadt. Und alles dieses wird noch durch die beständige Angst vor Feuersgefahr überboten.

      In jedem Hause sind große Koffer und Körbe bereit, damit man, wenn irgendwo Feuer ausbricht, seine Habseligkeiten schnell hineinwerfen und fortschaffen kann. Zu diesem Zwecke macht man mit zwei oder drei Türken einen Vertrag, zahlt ihnen alle Monat eine Kleinigkeit, und dafür müssen sie zur Stunde der Noth erscheinen, um die gepackten Kisten und Koffer an sichere Orte zu schaffen und überall helfend zur Hand zu sein. Auf die Ehrlichkeit der Türken kann man sicherer bauen, als auf die der Christen und Griechen. Höchst selten soll ein Beispiel vorkommen, daß der Türke von dem ihm anvertrauten Gute Etwas entwendet. Die ersten Nächte erschrack ich vor jedem Lärm, besonders wenn der Wächter durch die Straße zog und mit dem Stocke auf die Steine stieß. Im Falle einer Feuersgefahr schlägt er an jedes Hausthor und schreit: „Feuer! Feuer!" — Gott sei Lob und Dank! ich erlebte keines.

      Scutari.

      Ich wählte zu dem Ausfluge nach diesem berühmten Begräbnißorte der Türken einen Freitag, um zugleich die schreienden Derwische besuchen zu können.

      Auf einem leichten Kaik [Fahrzeuge, die außerordentlich leicht gebaut sind und sehr gerne umschlagen, weßhalb man wie eine Statue darin sitzen muß; bei der leisesten Bewegung des Körpers, ja nur des Kopfes oder Armes, wird man von dem Fährmanne schon zurecht gewiesen.] durchschnitt ich, in Gesellschaft eines französischen Arztes, den Bosphorus. Wir fuhren an dem, einige hundert Schritte von der Küste Asiens im Meere stehenden, so viel besungenen Leander-Thurm vorüber und gelangten sehr bald an unser Ziel.

      Ein eigenes Gefühl ergriff mich, als ich zum ersten Male in meinem Leben einen andern Welttheil betrat. Es war mir, als ob ich jetzt erst getrennt — unendlich weit von meiner Heimath wäre. Später, als ich an Afrika's Küste landete, machte es nicht halb so viel Eindruck mehr auf mich.

      Nun stand ich also in dem Welttheile, aus dem der Mensch seinen Ursprung herleitet, in dem er hoch gestiegen und auch wieder so tief gefallen, daß ihn Gott in seinem gerechten Zorne bald für immer vertilgt hätte. Und hier in Asien war es wieder, wo Gottes Sohn erschien, um den gefallenen Menschen die Palme der Rettung zu reichen. Mein lang genährter, heißer Wunsch, diesen merkwürdigsten der Welttheile zu betreten, war nun erfüllt, und unter Gottes Hilfe hoffe ich mit froher Zuversicht auch jene Stellen zu erreichen, von welchen das wahre Licht der Menschheit ausging! —

      Scutari ist der Ort, nach dem der Muselmann mit dem Verlangen sieht, dort einst begraben zu werden. Kein anderer Glaubensgenosse darf da unter ihnen aufgenommen werden. Hier fühlen sie sich heimisch und ihres Propheten würdig. Es ist daher auch der großartigste Begräbnißort der Welt. Stunden lang kann man in diesem Cypressenwalde von Grab zu Grab wandeln, ohne das Ende zu erreichen.

      Auf den Grabsteinen der Männer sind Turbane, auf jenen der Frauen und Kinder sind Blumen und Früchte ausgemeißelt, meistens eine erbärmliche Arbeit.

      Die Hauptstraße und die Nebengassen sind in Scutari nicht eben, aber doch etwas besser gepflastert und nicht gar so enge, wie in Pera. — Ganz besonders schön nimmt sich die große Kaserne auf der Spitze im Vordergrunde aus, mit der wundervollen Aussicht nach dem Meere von Marmora und nach dem einzig schönen Bosphorus. Sie soll 10,000 Mann fassen.

      Die schreienden Derwische.

      Um 2 Uhr betraten wir den Tempel, ein elendes Hölzernes Haus. An der Andachtsübung kann jeder Muselmann Theil nehmen, er darf sich nicht erst zur Würde eines Derwisches emporgeschwungen haben. Ja Kinder von acht bis zehn Jahren reihten sich schon außerhalb des Kreises der Männer an, um sich bei Zeiten zu diesen Übungen geschickt zu machen.

      Der Anfang dieser Ceremonie ist eben so, wie bei den tanzenden Derwischen; sie haben Teppiche oder Thierfelle vor sich ausgebreitet und beginnen mit Bücklingen und Bodenküssen, dann stehen sie auf, und bilden mit den Laien gemischt, einen Kreis, worauf der Vorbether mit gellender Stimme die Gebete aus dem Koran vorschreit, und nach und nach die im Kreise Stehenden einfallen und mitschreien. In der ersten Stunde geht es noch etwas gelassen her, sie setzen öfters aus, um ihre Kraft nicht zu erschöpfen, die erst gegen das Ende im höchsten Anspruch genommen wird. Dann aber erscheint das Gräßlichste, was man nur sehen kann. Sie suchen einander im Schreien und Heulen zu übertreffen, und machen dabei alle nur denkbaren Bewegungen und Grimassen mit dem Körper, Kopf und Gesicht. Dieses Gebrüll, wie von wilden Thieren, diese gräßlichen Verzückungen und Verzerrungen machen diese Andachtsübung zu einem schaudererregenden Schauspiele.

      Sie stoßen mit den Füßen in den Boden, werfen den Kopf mit Blitzesschnelle vor- und rückwärts, und geberden sich gewiß ärger, als einst die vom Teufel Besessenen. Während dieser Übung legen sie die Kopfbedeckung, so wie auch nach und nach alle Kleidungsstücke, bis auf das Beinkleid und Hemd ab. Die beiden Oberpriester, welche im Kreise stehen, empfangen ein Stück nach dem andern, küssen es, und legen Alles zusammen an einen Ort. Die Priester geben mit den Händen den Takt, der nach der Entkleidung in ein immer schnelleres Tempo übergeht. Allen läuft der Angstschweiß in schweren Tropfen vom Gesichte, Einigen kommt sogar Schaum aus dem Munde. Am Ende ist das Gebrüll und Geheul so fürchterlich, daß es Ohren und Sinne betäubt.

      Einer dieser Wahnsinnigen stürzte leblos zu Boden. Die Oberpriester und einige