Erich Schneider

Kleine Geschichte Unterfrankens


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ganz Frankens zwischen lediglich zwei Buchdeckel zu pressen.

      Dabei macht die Beschränkung auf Unterfranken – respektive Ober- und Mittelfranken – das Vorhaben nicht einfacher. Genauso, wie sich die Frage danach, was denn Franken sei, nur annähernd beantworten lässt, verhält es sich mit dem politischen Gebilde Unterfranken bzw. den Gebietskörperschaften, aus denen es entstanden ist. „Unterfranken“ gibt es erst seit dem 9. April 1946. Es löste den am 1. Juni 1938 von den Nationalsozialisten eingeführten, räumlich annähernd identischen Gau „Mainfranken“ ab. Dafür fiel 1946 der bis 1938 gepflegte Zusatz „und Aschaffenburg“ einfach weg. Davor hatte die Region etwas mehr als 100 Jahre den Namen „Unterfranken und Aschaffenburg“ mit Würzburg als Hauptstadt getragen. Die in dieser etwas sperrigen Wortschöpfung sich äußernde Unterscheidung ergab Sinn, als das am unteren Main gelegene Aschaffenburg bis zum Ende des Alten Reiches zum Erzstift Mainz gehört hat. Sprachlich sind die „Aschebercher“ keine Unterfranken. Bei Schollbrunn verläuft nämlich die Grenze zwischen dem rheinfränkischen und dem mainfränkischen Dialekt, der sogenannte „Äppeläquator“: Dort lässt der Rheinfranke das „f“ in Äpfel nämlich weg. Wem das zu kompliziert wird, der sei daran erinnert, dass das heutige Unterfranken im Rahmen der Gründung des Königreichs Bayern seit dem 2. Februar 1817 rund elf Jahre lang Untermainkreis hieß, in Analogie zum Obermainkreis, dem jetzigen Oberfranken.

      Hervorgegangen war dieser Untermainkreis aus dem Großherzogtum Würzburg und aus Aschaffenburg. Während Aschaffenburg bis 1803 zum Erzstift Mainz, dann auch zum Großherzogtum für Dalberg gehörte, war das Würzburger Gebiet davor Teil des gleichnamigen Hochstifts und ein souveräner Staat im Alten Reich. Die Würzburger Fürstbischöfe hatten nämlich aus der im Jahr 1168 von Kaiser Friedrich I. Barbarossa an Bischof Herold verliehenen „Güldenen Freiheit“ einseitig das Recht abgeleitet, den Titel eines Herzogs von ganz Franken zu tragen. Damit konnten sie sich bis 1803 jedoch nie völlig durchsetzen. Allerdings erfuhren sie im Nachhinein so etwas wie Genugtuung, weil der fränkische Rechen als Teil ihres hochstiftischen Wappens durch die königlich bayerische Verwaltung wie selbstverständlich zum Symbol für ganz Franken gemacht worden ist (und nicht das in Silber und Schwarz gevierte Wappen der fränkischen Hohenzollern). Wenn dann sogar der fränkische Rechen heute über der Nürnberger Kaiserburg weht, dann freut das den Unterfranken sogar noch ein klein wenig mehr.

      Weiter sollen die hier in groben Zügen skizzierten komplizierten politischen Verhältnisse nicht aufgeschlüsselt werden. Es muss aber daran erinnert werden, dass vor 1803 eine Vielzahl von selbstständigen oder nach Selbstständigkeit strebenden Herrschaften des Adels, der Reichsritter, der Klöster oder der Reichsstädte die politische Landschaft in Unterfranken in die sprichwörtlichen Duodez-Fürstentümer fast zerstückelt haben. Das wirkt bis in die Gegenwart nach. Waren es 1818 etwas mehr als 500.000 Einwohner, so stieg deren Zahl im Laufe des 19. Jhs. gegen 1860 auf über 600.000, um dann in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg mehr als 1.000.000 Menschen zu zählen. Ihren Höhepunkt erreichte die Zahl der Unterfranken zu Beginn des 21. Jhs. mit etwa 1,35 Mio., um in den folgenden zehn Jahren stetig auf rund 1,25 Mio. Einwohner abzuschmelzen; Tendenz weiter fallend.

      Dieses Büchlein ist von einem Kunsthistoriker und Museumsmann verfasst worden. Deshalb wird das darin angesprochene historische Geschehen nicht alleine aus den Schriftquellen destilliert, sondern es werden häufiger auch Sachzeugnisse als Belege herangezogen. Die Publikation fußt selbstverständlich auf der von zahlreichen Autorinnen und Autoren vor mir erarbeiteten wissenschaftlichen Literatur. Einen Generalüberblick bietet die zwischen 1989 und 2002 von Peter Kolb und Ernst-Günther Krenig mit Unterstützung zahlreicher weiterer Fachkollegen im Auftrag des Bezirks Unterfranken in fünf Bänden herausgegebene Unterfränkische Geschichte. Da der Verlag in der Reihe, in der diese Arbeit erscheint, keine Fußnoten vorgesehen hat, muss ich hinsichtlich der verwendeten Literatur auf die knappen Angaben am Ende verweisen. Da sich die hier vorgelegte Kleine Geschichte Unterfrankens nicht als bloßes Kondensat der bisherigen Literatur versteht, danke ich zahlreichen Gesprächspartner*innen, dass sie ihr Wissen mit mir geteilt und mich in Einzelfragen beraten, ja häufig genug verbessert oder vor Fehlern bewahrt haben: Namentlich nenne ich die Herren Prof. Dr. Klaus Arnold (Kitzingen), Dr. Peter Kolb (Würzburg) sowie Dr. Hans Steidle (Würzburg) und nicht zuletzt auch die sensible Lektorin des Pustet-Verlags, Frau Christiane Tomasi, die sich der Mühe des kritischen Korrekturlesens unterzogen haben.

Würzburg, im Sommer 2020 Erich Schneider

       Das Land am mittleren Main: Versuch einer Annäherung

       Landschaft und Raum

      Gespeist von seinen beiden Quellflüssen Weißer und Roter Main in Oberfranken erreicht der Main zwischen Zeil und Haßfurt Unterfranken. Er „schlendert“ dort zunächst von Osten nach Westen entlang der burgenreichen Haßberge mit dem Grabfeld um Bad Königshofen und der kuppeligen Rhön bei Bischofsheim im Norden. Bei Schweinfurt zieht es ihn nach Süden, wo er eine Ebene durchquert, die im Osten und Süden vom hügeligen Steigerwald begrenzt wird. Dem Maindreieck folgend, erreicht der Fluss das Weinland um Volkach und Kitzingen. Daran schließt sich im Süden der fruchtbare Ochsenfurter Gau an. Dort zieht der Main steil nach Nordwesten, passiert die unterfränkische Metropole Würzburg und weicht bei Gemünden dem Spessart aus. Wieder geht’s entlang des Mainvierecks nach Süden, bis der Fluss bei Urphar für etliche Kilometer erneut seine Hauptrichtung nach Westen ändert. Bei Miltenberg fließt er nach Norden in Richtung Aschaffenburg, wo er das fränkische Bayern bald verlässt, um bei Mainz in den Rhein zu münden.

      Heute sind die politischen Grenzen Unterfrankens genau definiert und dennoch historisch gesehen „fließend“. Manche Aschaffenburger sehen sich rund 200 Jahre nach der Säkularisation noch immer als „mainzisch“ an und nicht wenige Bewohner an der Tauber verstehen sich genauso als (Unter-) Franken. Von denen im südlichen Thüringen gar nicht zu reden.

      Sieht man einmal von dem bei Hörstein zutage tretenden Urgestein ab, dann ist die unterfränkische Landschaft geologisch dreigeteilt: Spessart und Odenwald werden durch den Buntsandstein geprägt, auf dem Eichen- und Buchenwälder wachsen. Vor allem die Spessart-Eichen sind wegen ihrer Qualität gefragt. Mainviereck und Maindreieck bilden die „Fränkische Platte“ mit bis zu 300 m dicken Plattenlandschaften aus Kalkgestein als Fundament. Das Ackerland darüber besteht aus Löß und Lößlehm. Südlich von Schweinfurt dominiert die Keuperstufe, in die immer wieder Sandsteinbrüche eingebettet sind. Nordöstlich des Mainvierecks erhebt sich die von einstigen Vulkanen geformte Rhön mit dem Gipfel des 927 m hohen unterfränkischen Kreuzbergs. Der dort anstehende Basalt war früher als Straßenbelag sehr begehrt. Davon zeugen riesige Steinbrüche, die sich die Natur allmählich wieder zurückerobert. Das Landschaftsbild der Rhön wird von Wiesenflächen geprägt. An den Rändern des Gebirges haben Heilquellen die Entstehung von Kurbädern gefördert.

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       In einer spektakulären Schleife ändert der Main bei Urphar nahe Wertheim seine Fließrichtung.

      Entlang den nach Süden und Westen ausgerichteten Steilhängen am Main wächst ein vorzüglicher Wein, dem die Winzer mit dem Bocksbeutel seit rund zwei Jahrhunderten ein charakteristisches Gefäß verliehen haben. Wegen der feinen mineralischen Note schätzen Kenner auch die Weine vom Steigerwald. Möchte man Unter- von Oberfranken unterscheiden, dann soll es hier mehr Wein und dort mehr Bier geben.

      Die fruchtbaren Böden bieten hervorragende Bedingungen für Spargel und Zuckerrüben. Die Kitzinger Gegend ist eine Gartenbaulandschaft. Darüber hinaus werden Zwetschgen, Äpfel oder Birnen geerntet oder häufig zu edlen Destillaten gebrannt. Zwischen Würzburg und Werneck prägen Äcker mit Weiß- und Blaukraut das Bild. Sennfeld und Gochsheim bei Schweinfurt betreiben den Anbau von Gurken („Kümmerli“), die zu Sauerkonserven verarbeitet werden. Das benachbarte Schwebheim gilt als „Apothekengarten“. Ein großer Kräuterhersteller sitzt in Abtswind. Und dann gibt es noch immer Bauern, die Viehzucht treiben: Von irgendwoher müssen zu