Viola Maybach

Der neue Dr. Laurin Box 1 – Arztroman


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… ist er überfallen worden?«

      »Er hat sich geprügelt, und der andere hat schließlich ein Messer gezogen. Soll ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen, soweit wir sie bis jetzt kennen?«

      Eva nickte stumm, während sie sich langsam wieder zurücksinken ließ.

      Marie hatte sich zuvor gut überlegt, was sie sagen würde, und so musste sie nicht lange nach Worten suchen. Evas Reaktionen auf das, was sie sagte, waren eindeutig. Wenn sie noch Zweifel an den Gefühlen der jungen Frau für Marco Friedrich gehabt hatte, so verschwanden sie nun restlos.

      Als sie ihren Bericht beendet hatte, blieb es still. Eva weinte, ohne einen Laut von sich zu geben. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht, aber sie achtete nicht darauf. Sie lag einfach da und weinte, und Marie hatte das Gefühl, dass es das Beste wäre, sie weinen zu lassen. Da hatte sich so viel angestaut in den letzten Monaten, es war sicher gut, wenn zumindest ein Teil der Verzweiflung, der Erschütterung, der Angst und des Kummers einfach weggespült wurde von dieser Tränenflut.

      Marie blieb bei der jungen Patientin sitzen, bis die Tränen versiegten. Die anderen wussten, dass sie hier war und würden nur nach ihr rufen, wenn sie anderswo gebraucht wurde. Aber zum Glück schien es eine eher ruhige Nacht in der Notaufnahme zu werden.

      »Kann ich zu ihm?«, fragte Eva. »Ich meine, jetzt gleich? Ich muss mit ihm reden, Schwester Marie. Ich … ich hätte ihn niemals wegschicken dürfen, das weiß ich doch längst. Aber ich dachte, er will mich bestimmt nicht mehr, nachdem ich ihn so schlecht behandelt hatte. Und als ich ihn dann noch mit einer anderen gesehen habe …«

      »Fragen Sie ihn danach«, riet Marie. »Fragen Sie ihn und hören Sie sich an, was er dazu sagt. Wenn Sie schon reinen Tisch machen wollen, dann müssen Sie alles ansprechen, was Sie bekümmert oder beunruhigt.«

      Eva nickte. »Dass Tom sich so verhält, wundert mich nicht«, sagte sie leise. »Ich kann ihn nicht ausstehen. Er hält sich für den Größten, aber wenn ihm jemand sagt, dass er das nicht ist, kann er das nicht aushalten. Er hat einen miesen Charakter.« Sie richtete sich auf. »Aber ich will mir was anziehen, wenn ich Marco besuche.«

      »Ich helfe Ihnen«, sagte Marie.

      *

      Robert Semmler war von seinem Kollegen Hannes Baumgarten über die Verbindung von Eva Maischinger und Marco Friedrich informiert worden – und auch über den Plan, das verhinderte Liebespaar wieder zusammenzubringen. Nun wartete er gespannt darauf, dass sich etwas tat, aber vorläufig geschah leider nichts.

      Es war überhaupt wenig los bislang, was ihm ebenfalls nicht gefiel. Er wurde müde, wenn er nichts zu tun hatte. Zu Beginn der Nacht ging es noch, aber je später es wurde, desto mehr sehnte er sich nach Arbeit, die ihn wach hielt. Jetzt war es noch früh am Abend, aber er musste bereits dauernd gähnen.

      Nur der Ärger über Tom Fröbel hielt ihn einigermaßen wach, denn der ließ seine Übellaunigkeit vor allem an den Schwestern und Pflegern aus. Gut, dass er am nächsten Morgen entlassen werden sollte. Auf Patienten wie ihn konnten sie hier gut verzichten. Er hoffte von ganzem Herzen, dass die Polizei ihm den Messerstich noch nachweisen konnte. Dafür hatte er eine empfindliche Strafe verdient – und wahrscheinlich auch noch für einiges andere.

      Marco Friedrich hingegen wurde ihm immer sympathischer. Er hoffte nur, es gelang, ihn mit seiner Ex-Freundin zu versöhnen, denn diese Geschichte schien schwer auf ihm zu lasten.

      Als Robert wieder einmal nach ihm sah, fragte Marco: »Wissen Sie zufällig, ob es hier eine Patientin gibt, die Eva Maischinger heißt? Jemand hat sie hier gesehen und wollte sich danach erkundigen, aber … aber er hat es wohl vergessen.«

      Sascha Buder, dachte Robert, hielt aber den Mund. »Ich meine, ich hätte den Namen schon gehört«, sagte er zögernd. »Soll ich mal nachfragen?«

      »Das wäre sehr nett. Vielleicht war sie ja auch nur als Besucherin hier, aber es klang so, als … Ach, ich weiß auch nicht. Mein Kopf ist nicht besonders klar im Moment.«

      »Dann schlafen Sie doch einfach eine Runde, Schlaf ist für Sie sowieso das Beste.«

      »Mir geht zu viel durch den Kopf«, gestand Marco. »Aber wissen Sie was? Mir ist plötzlich etwas wieder eingefallen, das ich vergessen hatte.«

      »Und was?«

      »Das Messer«, sagte Marco. »Die Polizei hat mich doch dauernd gefragt, ob ich mich daran erinnern kann, an den Stich, den ich abbekommen habe, und das konnte ich nicht.«

      »Aber jetzt können Sie’s?«

      »Ich weiß plötzlich wieder, dass ich etwas habe aufblitzen sehen in Toms Hand, und dann war da dieser Schmerz in meiner Brust. Ich habe noch zugetreten, das ist mir jetzt auch wieder eingefallen. Danach muss ich ohnmächtig geworden sein.« Er stockte. »Eigentlich wollte ich Tom nicht verraten, auch nicht, wenn meine Erinnerung zurückkehren würde, aber mir ist klar geworden, dass ich keinen Grund habe, ihn zu schützen. Ich meine, er wollte mich bestimmt nicht umbringen, aber man nimmt ja kein Messer mit, wenn man nicht auch vorhat, es unter Umständen zu benutzen, oder?«

      »Sehe ich auch so. Sie sollten das unbedingt der Polizei mitteilen.«

      »Ja, das habe ich auch vor. Morgen.«

      »Ich könnte dort anrufen und schon mal ankündigen, dass Sie sich jetzt erinnern. Herr Fröbel soll nämlich morgen entlassen werden, da wäre es vielleicht gut, wenn Sie Ihre Aussage vorher machten.«

      »Stimmt. Aber jetzt ist es doch wahrscheinlich zu spät.«

      »Überlassen wir das doch der Polizei«, schlug Robert vor. »Ich sage denen jedenfalls Bescheid.« Er ging zur Tür, aber Marcos Stimme hielt ihn noch einmal auf.

      »Finden Sie es nicht feige, dass ich einen Kumpel verpfeife?«

      »Erstens: Ich hatte gar nicht den Eindruck, dass Herr Fröbel Ihr Kumpel ist. Zweitens: Wenn mein Kumpel eine Straftat begeht, hat es nichts mit verpfeifen zu tun, wenn ich der Polizei das mitteile. Drittens: Das Messer hat Ihr Herz knapp verfehlt, er hätte Sie um ein Haar umgebracht. Noch Fragen?«

      Marco lächelte. »Keine Fragen mehr, Euer Ehren.«

      Robert lächelte auch, als er das Zimmer verließ. Am Ende des Stationsflurs sah er zwei Frauen aus dem Aufzug treten. Eine davon war Schwester Marie.

      Das passt ja, dachte er, bevor er ins Dienstzimmer ging, um die Polizei anzurufen.

      *

      »Ich muss mit dir reden, Leon«, sagte Antonia.

      Ihre Stimme war so ernst, dass sein Herz ins Stolpern geriet. Er hatte es irgendwie geschafft, sich selbst zu beruhigen wegen ihrer heimlichen Treffen mit Ingo Ewert, doch jetzt waren die Ängste wieder da, schlimmer noch als zuvor. Sie lächelte nicht einmal, und ihm entging nicht, dass sie nervös war. So schlimm also war das, was sie ihm zu sagen hatte, dass sie ihm nicht einmal in die Augen blicken konnte und dass ihre Finger nervös mit den Enden des Tuchs spielten, das sie sich um den Hals geschlungen hatte?

      »Über Ingo Ewert?«, hörte er sich fragen. Er hatte diese Frage eigentlich nicht stellen wollen, sie war ihm gegen seinen Willen entschlüpft.

      Ihr Erschrecken war offensichtlich, aber sie fasste sich schnell wieder. »Eigentlich nicht über Ingo, er hat mit meinen Plänen nur indirekt zu tun.«

      »Mit deinen Plänen?« Er verstand nicht, worauf sie hinaus wollte.

      »Ich möchte wieder arbeiten, Leon.« Jetzt sah sie ihn doch an, ihr Gesicht war noch immer ernst. »Und weil mir die Berufspraxis fehlt, habe ich Ingo gebeten, bei ihm eine Art Praktikum machen zu dürfen. Es ist dann etwas mehr geworden als ein Praktikum, weil er unbedingt Unterstützung in seiner Klinik braucht.«

      Leon war fassungslos. Das war es also gewesen, was sie vor ihm verheimlicht hatte? Und er hatte sich mit wer weiß was für Gedanken gequält! Beinahe hätte er gelacht vor Erleichterung, dass es also doch keine Ehekrise gab im Hause Laurin, aber dann wurde ihm klar, was ihre Ankündigung bedeutete. »Wir haben vier Kinder«,