von Haus zu Haus. Auf Krokengaard erstand sie Eier und Butter, beim Krämer geräucherten und rohen Lachs, Anschovis, fetten Hering. Sie kaufte rote Rüben und Zwiebeln, Olivenöl, Essig und Pfeffer; Knäckebröd mit Anis gewürzt; Sillsalat aus mariniertem Hering; sie feilschte um Gammalost, den schärfsten alten Käse, für den der Maler Henrik Tofte seinen letzten Pfennig anlegte, und liess sich die Flaschen füllen mit Pomerans und Finkelbränvin. Sie verstaute in ihrem Korb Brot aus feinem Mehl und Gänsebrust und Kaviar ... Oh, dem „Smörgasbord“ von Nane Thord konnte kein Mensch nachsagen, dass dieser kleine Vorspeisentisch nicht zu aller Zeit mit Umsicht und Liebe gerüstet stünde! Was ein Smörgasbord eigentlich wäre, wussten die beiden landfremden Hochzeitsmenschen noch gar nicht. Sie kamen sich bei ihrer Strandwanderung ein wenig entwurzelt und sehnsüchtig vor; denn sie waren an ihrem Reiseziel und waren es doch nicht. Sie hätten hinüberrufen können zu der Insel der Auferstehung, und dennoch lag die in dem dunkeln Wasser wie ein fernes, fernes Land. Es war, als müssten sie erst die Schneegefilde vom Folgefond, die sich vor ihnen in der Flut des Fjords spiegelten, überschreiten in langer, mühsamer Wanderung, um hinzugelangen. Aber als Nane Thords Boot gegen den Strand stiess, sprangen sie herzu wie Kinder, die ihre Mutter erwarten, und als wäre das Schifflein das Spielzeug, das sie ihnen mitgebracht hatte.
Nane Thord aber wunderte sich an der leuchtenden jungen Frau Do über die Massen. „Es wachsen viele blonde und hohe Mädchen an diesem Strande,“ sagte sie, „aber so hell ist keine von uns.“ Do sah aus wie ein Maitag, der über die Zinnen der Berge blüht. Dann redeten sie von Hanna und fanden sich darüber gleich gutbekannt zueinander.
Während Nane Thord ihren Einkäufen nachging, blieben die beiden im Boot. Sie machten es los und glitten vor dem sachten Morgenwind uferhin. Es dauerte zwei Stunden. Da lernten sie das Boot wenden und die Leinwand in den Wind stellen. Sie wurden kecker und fuhren ein wenig hinaus.
Es hatte sich nämlich ein Mensch zwischen dem Gesteine der Insel halb aufgerichtet und schaute ihnen unverwandt zu. „Ich glaube, dieser steinerne Gast ist Rolf Krake,“ sagte Do.
„Ach so — der Dichter, Träumer, Maler, Lautenschläger und Drechsler?“ fragte Jockele. Sie kannten seinen Namen und seine wunderliche Art von Hanna. Die hatte ihnen sein Bild nicht ohne Teilnahme gezeichnet und hatte gesagt, Rolf Krake wäre die einzige der Sturmschwalben, die Nane Thord über den Winter hätte Gesellschaft leisten wollen. Das einsame Eiland gehörte ihr, und ausser ihr wohnte niemand dort.
Von Rolf Krake stammte der Name der Insel und der Vereinigung. Von ihm rührte auch der Anbau aus Stämmen her, der dem kleinen Blockhause des Fischers Thord im vorigen Jahr angefügt worden war.
Dieser Anbau hatte, wie das alte Haus, ein Rasendach, tief herabgezogen und auf geschälte Birkenrinde gelegt. Aber während der Rasen auf dem alten ganz von Moos und Flechten übersponnen war und nun in der Morgensonne leuchtete wie dunkles Gold, blühte das neue wie ein Frühlingsanger von Gänseblumen, blauem Gundermann, roten Taubnesseln und Schaumkraut. „Man kann von den Dächern dieser Blockhäuser die ganze norwegische Flora zusammenstellen,“ sagte der Naturforscher Jockele.
Da sahen sie Nane Thord von der Sägemühle her wieder über das kurze Gras des Vorlands herabschreiten. Sie arbeitete mit dem freien Arm wie eine Windmühle mit ihren Flügeln; denn sie wollte sich den beiden bemerkbar machen. Also fuhren sie hinüber. Nane Thord ergriff Steuer und Segelleine. Und wie ein Renner, der sich wieder in sicheren Händen weiss, eilte das Fahrzeug nun über den Fjord.
Der Mann zwischen den Steinen kroch hervor und machte das Boot fest. Es war aber nicht Rolf Krake, sondern Henrik Tofte, der Maler, der auf seinen alten Käse gewartet hatte. „Nane Thord hat mir den Tag zerdonnert,“ sagte er. „Wissen Sie, auf mich haben alte Käse die Wirkung wie auf Ihren Dichter Schiller die faulen Äpfel. Eigentlich wollte ich heute das Bild für Johnny fertigkriegen — es ist nämlich eine Sonnenstimmung aus dem frühen Tage ... Nun bin ich den Vormittag über zu Stein geworden.“ Dabei schob er einen halben Laib Brot aus der Hand Nane Thords in die Tasche seines Malkittels, nahm den Steinnapf mit dem Käse in Empfang und stieg wieder seinem vorigen Sitz in den Zacken entgegen.
„Man darf es mit Herrn Tofte nicht verderben,“ sagte Nane Thord geheimnisvoll. „Er ist ’n Kerl wie ’n Eichbaum; er kann malen wie der liebe Gott. Aber wenn er wild wird, geht er nieder wie eine Lawine.“
„Ein bisschen viel auf einmal,“ lachte Do. „Hat ihn eigentlich Fräulein von Fellner kennen gelernt?“
„Ah nein! Er ist doch erst mit den beiden Engländern James King und John Williams im August gekommen.“
Dann schritten sie vom Landeplatz den schmalen Steig zwischen Felsblöcken empor und traten in den neuen Teil des Blockhauses, den sie den Krakesaal nannten. Es war ein einziger grosser Raum mit zwei Reihen niederer Fenster an den Längsseiten, mit weissen Vorhängen und mit Blumen auf den Brettern. An der rückwärtigen Schmalseite lag eine Feuerstelle. Ein Kupferkessel hing an einer Kette über glimmender Torfglut. In der Mitte stand ein bedeutender runder Tisch. Dunkle geräumige Stühle waren im Kreise darum geordnet. Und beim ersten Fenster, vor der Staffelei, stand eine Malerin, die strich in heftiger Versunkenheit die goldene Dämmernis aus ihrem Pinsel. Sie dachte wohl: es ist Henrik Tofte, der mit der Fischerfrau hereinkommt. Deshalb wandte sie sich nicht um. Aber als sie Nane Thords feiertägliche Sprache hörte, wagte sie einen Blick aus ihrer Lichtfreude. Und ...
„Jockele! Do, goldene Do!“
„Gwendolin Vogelgesang!“
Es folgte ein ungeheurer Zusammensturz. Zuerst rissen sich Gwendolin und Jockele an die Herzen. Dann warf Do ihre Arme um beide. So jauchzten sie ihre Glückseligkeit von heissen Lippen und aus quellenden Augen übereinander dahin. „Gwendolin, du ewiges Licht, du Zauberin!“ Und genau wie damals in der Stube der kleinen Wirtschaft im Webicht bei Weimar, als die lange Gwendolin dem Jockele die Bilder zum „Armen Heinrich“ verkauft und ihm sein erstes selbstverdientes Geld in blauen Scheinen gebracht hatte — genau wie damals schossen diese ranken jungen Menschen durcheinander wie Waldbäume und verflochten sich mit Wurzeln und Ästen. Aber nun waren es ihrer drei. Und genau wie damals stand eine Wirtsfrau zwischen Tür und Angel, kriegte die Verklärung und schrieb unter das Bild in Lebensgrösse „Ein Wiedersehen nach langen Jahren“. Aber nun hiess die Wirtsfrau Nane Thord.
Grosser Gott, wie klein ist deine Erde!
Henrik Tofte bekam durch das offene Fenster hinaus eine Ahnung der Ereignisse. Sollte der Herr, der sich ihm als Doktor Sinsheimer vorgestellt hatte, einer der vielen sein, die Gwendolin Vogelgesang einmal schön gefunden hatten? Und einer von denen, die sie hernach gehen hiess mit hochmütigem Munde — „ich kenne diesen Menschen nicht“?
Henrik Tofte, der ährenblonde Skalde, schritt zweimal ums Haus, um sich zu überzeugen, ob es dadrinnen einen Streit gäbe oder eine ausgelassene Freude. Er entschied sich für die Freude und kam herein. „Tofte, herrlicher Tofte, das ist doch der Jockele und seine Frau Do!“ jubelte Gwendolin.
„Ach soo!“ brummte der Maler. Dann vollbrachte er eine fast ehrfürchtige Verbeugung vor Do. Aber den Jockele nahm er in seine beiden Hände ... „Herr, Herr —“
„So redet er sonst nur den lieben Gott an,“ rief Gwendolin dazwischen.
„Herr, Herr, hätten Sie sich nicht mit einem falschen Namen eingeführt drunten am Inselrande, so hätt’ ich Sie auf meinen Armen in dies Haus getragen. Ja, wenn Sie der Jockele sind, Sie Seligster unter den Menschen! Sie kennen wir hier besser als uns selber. Na, und nun können Sie ja mit Gwendolin und Ihrer blonden Frau wieder durch die Welt ziehen wie auf dem Umschlagbilde des Buches ‚Jockele und die Mädchen‘. Ein gelbes Kleid und einen Wildrosenhut hat die lange Gwendolin nämlich wieder ... Und jetzt, Mutter Thord, bringen Sie Sekt, viel Sekt! Hätten Sie heut morgen alten Käse gehabt statt Quark, so wäre mein Bild jetzt fertig, und Mister Johnny hätte mir eine Anzahlung gemacht, bis dass es trocken ist. Nun aber schreiben Sie den Sekt so lange auf.“
„Geld hat er nie,“ erklärte Gwendolin. „Und doch verdient er schrecklich viel. Ich sag’ euch: er kann malen ...“
„Wie ein Gott!“ unterbrach sie Do.
„Nein,