Brigitta Schröder

Blickrichtungswechsel


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Anti-Aging-Haltung, von der Zauberformel »Für ewig jung« verabschieden. Anti-Aging ist Anti-Living. Die Aufgabe im Alter ist, Veränderungen an Körper, Seele und Geist bejahend anzunehmen, ihnen Raum zu geben, um unbekannte Dimensionen zu entdecken, um auf das Lebensende hin zu wachsen und zu reifen. Äußere Eingrenzungen können zur inneren Weite führen, wenn die Bereitschaft vorhanden ist, diesen Blickrichtungswechsel vorzunehmen.

      Menschen mit Demenz, so tönt es immer wieder, sind für die Gesellschaft kostenintensiv, für die Angehörigen und das Betreuungspersonal eine drückende Belastung, was zum Burn-out-Syndrom der Beteiligten führen kann. Solchen Gedanken und Sichtweisen ist kein Raum zu geben. Ältere Menschen, auch solche mit Demenz, geben unserer Gesellschaft wertvolle Beiträge und Impulse durch ihr Sosein. Der ungewohnte Blickrichtungswechsel ermöglicht, die Lebensphase des Alters sowie Menschen mit Demenz neu zu entdecken, zu erleben und von ihnen zu lernen.

      Die Schwierigkeit, Menschen mit Demenz zu verstehen, liegt darin, dass über den Verlust der geistigen Fähigkeiten auch die Wahrnehmung, das Erleben und das Verhalten beeinträchtigt werden. Die Persönlichkeit dieser Menschen ändert sich ebenso wie die innere Vorstellung von der Welt, der Umgebung und den Mitmenschen. Je fortgeschrittener die Demenz ist, desto mehr befinden sich diese Menschen in ihrer eigenen Welt. Sie haben ihre innere Uhr verloren. Es setzt eine starke Persönlichkeit voraus, sich in die Welt dieser Menschen, sich auf ihre Daseinsebene zu begeben, um sie adäquat zu begleiten. Wer diesen Weg wagt, beginnt zu staunen und wird dankbar für Kleinigkeiten. Im täglichen Umgang mit dementen Menschen sollten sich die Bezugspersonen bewusst sein, dass sie selbst noch die Kompetenzen haben, die bei diesen Menschen bereits versiegt sind.

      Begleitende

      • haben Erinnerungsvermögen

      • besitzen Urteilsfähigkeit

      • können Strukturen entwickeln und planen

      • haben Überblick

      • sind vorausschauend

      • verwenden Erfahrungen

      • steuern und kontrollieren Emotionen

      Menschen mit Demenz

      • agieren impulsiv, spontan

      • sehen nur den Augenblick, leben in der Gegenwart

      • vergessen Vergangenheit und Zukunft

      • handeln ohne Kontrollinstanzen, z. B. Gewissen, Schamgefühl

      • reagieren auf der Basis ihrer Gefühle, nicht auf der Basis von Überlegungen

      • leiden unter Gedächtnis- und Orientierungsstörungen

      • verlieren ihr Kurzzeitgedächtnis, sowie Denk- und Urteilsvermögen

      • haben eine gestörte Körperwahrnehmung

      • verlieren die Fähigkeit zu abstraktem Denken, z. B. rechnen, schreiben, planen

      • erleben Störungen in der räumlichen Wahrnehmung (Sturzgefahr)

      • erleben Störungen in der akustischen Wahrnehmung (Schreckhaftigkeit)

      • können sich immer weniger konzentrieren

      • können ihr Leben im Alltag immer weniger selbst gestalten

      In den ersten Phasen der Demenz reagieren betroffene Menschen unterschiedlich stark auf die Abnahme ihrer Fähigkeiten und der Zunahme von Unzulänglichkeiten. Solche Veränderungen führen zu Identitätskrisen. Werden die neuen Begrenzungen nicht beachtet und Defizite nicht ausgeglichen, kommt es zu Symptomen wie Unruhe, Ängstlichkeit und auffallendem Verhalten. Das ist der Nährboden für beginnende Depressionen.

      Menschen mit Demenz sind sozialisiert und haben individuelle Prägungen. Sie brauchen keine Erziehung und Zurechtweisung, sondern eine vorurteilsfreie, einfühlsame, wohlwollende und verständnisvolle Zuwendung und eine tolerante, akzeptierende Haltung mit familiären Strukturen, in denen sie sich geborgen fühlen.

      »Alt-Sein ist eine ebenso schöne Aufgabe wie Jung-Sein. Ein Alter, der das Alt-Sein nur hasst und fürchtet, ist kein würdiger Vertreter seiner Lebensstufe. Um als Alter seinen Sinn zu erfüllen und seiner Aufgabe gerecht zu werden, muss man mit dem Alter und allem, was es mit sich bringt, einverstanden sein, man muss, ›Ja‹ dazu sagen.«

      nach Hermann Hesse

      1.3 Diagnose und Verlauf

      Im frühen Stadium einer Demenz treten häufig folgende Symptome auf:

      • Verlegen von Gegenständen

      • Vergesslichkeit

      • Lese-, Schreib- und Wortfindungsstörungen

      • Orientierungs- und Zuordnungsstörungen

      • Reduzierter Antrieb, Gemütsschwankungen, Depression

      • Persönlichkeits- und Verhaltensänderungen

      • Misstrauen, herausforderndes Verhalten

      • Störungen der Affektkontrolle

      • Störungen des Sozialverhaltens

      • Angst, Zwangs- und Wahnvorstellungen

      • Motorische Störungen, eingeschränkte Bewegung

      • Verminderung der Alltagsbewältigung

      • Schwierigkeiten bei komplexen Aufgaben

      • Reduzierung des Urteilsvermögens

      • Verminderung des logischen Denkens

      Bestehen mehrere dieser Störungen über mindestens sechs Monate und sind sie so ausgeprägt, dass sie das tägliche Leben beeinträchtigen, sind das Anzeichen für eine beginnende Demenz. Treten Störungsmerkmale einzeln oder nur vorübergehend auf, so geben sie keinen Hinweis auf eine beginnende dementielle Veränderung. Auch junge Menschen vergessen, verlegen und haben Gemütsschwankungen.

      Eine wertfreie Beobachtung seitens des Partners, der Angehörigen, der Freunde und Bekannten ist sinnvoll. Angst, Abwehr und Verdrängung helfen nicht weiter. Sich frühzeitig mit diesen Phänomenen auseinanderzusetzen führt zu Angstabbau und dient der Frühdiagnose. Erlebnisse mit besonderen Auffälligkeiten sollten mit Datum und Uhrzeit protokolliert werden, um die Diagnose zu erleichtern. Im Frühstadium der Demenz ist das Spektrum der Symptome noch unvollständig, deshalb leisten Beobachtungen und dokumentierte Situationen gute Dienste.

      Bei Beginn einer Demenz sollten die Betroffenen mit den Angehörigen in Überlegungen und Entscheidungen bezüglich ihrer Veränderungen einbezogen werden, um ihre Bedürfnisse zu erfragen und verborgene Wünsche zu erfüllen. Eine frühzeitige Diagnose ermöglicht eine verantwortungsbewusste Lebensplanung, die testamentarische Erklärungen und Vollmachten beinhaltet.

      Treten Unsicherheiten auf, so sollte vertrauensvolle Klärung durch professionelle Gesprächspartner gesucht werden. Sich beim Kaffeeklatsch über Sorgen und Ängste zu unterhalten oder von Bekannten Ratschläge entgegenzunehmen, bewirkt nur kurzfristige Entlastung.

      Es braucht Mut, den Begriff »Demenz« in die eigenen Überlegungen aufzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen. Ein möglicher erster Schritt ist, im Internet Informationen über den Verlauf einer Demenz zu recherchieren. Die Angebote im Internet sind unüberschaubar groß. Hilfreiche Informationen sind nur schwer von überflüssigen zu unterscheiden. Dies führt häufig zur Überforderung. Bedeutend mehr Mut verlangt es, Menschen in einer Beratungsstelle aufzusuchen oder sich über den Hausarzt für Tests in einer Memory-Klinik oder Gedächtnis-Sprechstunde anzumelden. Dieser entscheidende Schritt bringt oft schnelle und dauerhafte Entlastung und ist zu empfehlen.

      Eine beginnende Demenz wird oft durch emotionale Spannungen und Konflikte belastet. Das Nicht-Wahrhaben-Wollen, die Weigerung, sich auf Veränderungen einzulassen, ist ein langwieriger, oft mit zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen besetzter Prozess.

      Das