Fritz B. Simon

Zirkuläres Fragen


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(Bruder und Schwester lachen)

      FRITZ SIMON(zur Schwester) Was noch?

      SCHWESTERWas noch? Ja, so das Gefühl: Eigentlich kann ich’s angehn! Neue Situationen können mich gar nicht so aus der Bahn werfen, daß sie nicht bewältigbar sind … Einfach so dieses Stück: Ich kann! Ja, ich probier’s!

      FRITZ SIMONUnd was wird Ernst dann tun, wenn er das Gefühl hat: Mich kann nichts aus der Bahn werfen?

      SCHWESTERWas wird er tun? Ja, das sind zwei Situationen. Einmal schauen, was sind die positiven Aspekte der Arbeitssituation, die mir eigentlich auf den Nerv geht. Was hab ich da eigentlich? Ist es nur nervig, oder kann ich dem auch etwas abgewinnen? Und das andere wär halt, mal wirklich zu schauen, wo sind Freunde? Oder wen kann ich ansprechen und es dann auch tun?

      Der Indikativ in den Fragen des Therapeuten ist grammatikalisch natürlich falsch. In gutem Deutsch hätte hier der Konjunktiv verwendet werden müssen. Der Indikativ hat aber eine gewisse suggestive Wirkung, er nimmt das, was sein könnte, als bereits geschehen voraus.

      Die Antworten der Schwester zeigen, daß sie die „Einladung“ zum Perspektivwechsel angenommen hat. Ihre Aussagen über die potentielle Sichtweise des Bruders sind in der Ichform, das heißt, sie nimmt die Position des Bruders ein und spricht für ihn.

      FRITZ SIMONWird er es in erster Linie im Arbeitsbereich merken, im Umgang mit irgendwelchen Kollegen und Chefs, oder eher im Bereich mit Freunden?

      SCHWESTERIch vermute mal, daß es jetzt vordergründig mehr Auswirkung im Arbeitsbereich hätte und in der Familie. Bei Freunden kenn ich mich zu wenig aus. Also ich seh momentan keine …

      FRITZ SIMONJa, würde er es eher daran merken, daß er etwas anders macht oder daß die anderen etwas anders machen?

      SCHWESTERDaß er es anders macht.

      FRITZ SIMONUnd wie säh es aus?

      SCHWESTERDas Sehen von etwas Positivem oder das Schauen auf etwas Positives …

      FRITZ SIMONDas heißt, er würde eine rosa Brille tragen, damit man das Gelb im Auge nicht mehr sieht?

       (Schwester lacht, Bruder schmunzelt)

      Der Umgang mit den körperlichen Symptomen ist hier eher locker flockig und wahrscheinlich nicht der tatsächlichen Lebensbedrohung, die damit verbunden ist, angemessen. Aber ein ängstliches Nicht-drüber-Sprechen eröffnet im allgemeinen keine neuen Optionen. Daher empfiehlt sich eher der respektlose Umgang mit ansonsten respekteinflößenden Themen.

      FRITZ SIMONAlso, er würde eher optimistisch, positiv …?

      SCHWESTER(zustimmend) Hm!

      FRITZ SIMONAha. (zum Sohn) Hat Ihre Schwester da nun über sich geredet oder über Sie, was die Wünsche an die Sitzung angeht? Erkennen Sie sich da wieder in dieser Beschreibung?

      ERNSTTeilweise ja.

      FRITZ SIMONWo da?

      ERNSTIrgendwann hat man keine Lust mehr, die Leute anzurufen. Also, in der Beziehung war ich schon sehr tätig, aber dann ist keine Rückmeldung gekommen. Und dann heiraten die Burschen und sitzen den ganzen Tag daheim. Und dann irgendwie … geht man nicht mehr irgendwohin. Da ist eigentlich nur noch einer gekommen, und der hat gesagt: Komm, wir gehen ein Bier trinken! Und das war mir zu blöd!

       Die Antworten von Ernst und seiner Schwester legen die Idee nahe, daß Ernst im Moment eher isoliert zu sein scheint. Der Kontakt zu seinen früheren Freunden ist reduziert. Diese Antwort zeigt, daß man auf die Frage nach dem Ziel häufig Hinweise auf die gegenwärtige Lebenssituation erhält, zu der durch die Therapie ein Unterschied hergestellt werden soll. Also, eine gute Antwort, wenn auch nicht auf die gestellte Frage …

      FRITZ SIMONJa, dann frag ich Sie doch noch einmal direkt. Nehmen wir an, dieses Gespräch hier läuft gut oder auch weitergehende Gespräche laufen gut, wie sieht es denn am Ende einer Serie von gut gelaufenen Gesprächen aus?

      ERNSTJa, wenn ich überzeugt davon bin, dann würde ich auch noch einmal sagen, ich ergreif noch einmal die Initiative.

      FRITZ SIMONWo werden Sie etwas anders machen? Sind Sie überhaupt derjenige, der am meisten anders machen würde?

      ERNSTIch denke mal, daß immer zwei Seiten dazu gehören. Aber dadurch, daß ich alleinstehend bin und zum großen Teil auf die Leute zugehe, und es kommt einfach nichts zurück … Ich weiß nicht, wie oft ich Leute anrufe und die sagen: Ich hab jetzt keine Zeit, ich ruf zurück! Und dann kommt nichts. Dann mache ich mir natürlich auch meine Gedanken. Warum ruft er oder warum ruft sie nicht zurück?

      FRITZ SIMONAlso, ich möchte es noch einmal zuspitzen. Sie müssen entschuldigen, wenn ich da so penetrant nachfrage. Sie haben eine lange gemeinsame Geschichte und wissen sehr vieles, was ich nicht weiß, und deswegen bin ich etwas hartnäckig. Das bin ich auch sonst, aber da ganz besonders! Also, nehmen wir an, es käme eine gute Fee, die berühmte gute Fee aus dem Märchen, Sie haben auch schon von ihr gehört … Nehmen wir an, die würde alle Probleme beseitigen, die Sie haben; die Sie in der Familie haben, nicht nur Sie als Person, sondern alles, was Sie hierhergeführt hat! Wie sähe das dann morgen früh aus? Was wäre anders im Leben der Familie, in Ihrem Leben?

      Bei der Zieldefinition ist eine gewisse Penetranz unverzichtbar, da man leicht durch irgendwelche blasigen Formulierungen abgespeist wird. Als gut erzogener Mensch würde man im Alltag nicht so beharrlich nachfragen, das gehört sich einfach nicht. In der Therapie ist es aber nötig, damit der Therapeut eine Vorstellung davon erhält, was denn eigentlich seine Aufgabe sein soll.

      ERNSTIch denke mal, daß ich dann doch … Ich bin eigentlich relativ selten richtig schlecht gelaunt, aber …

      FRITZ SIMONDas heißt, Sie wären meistens gut gelaunt?

      ERNSTNa ja, gut, normal gelaunt halt.

      FRITZ SIMONFür manche ist normal gelaunt schlecht gelaunt. Deswegen: eher normal oder gut? … (zur Mutter) Sie schütteln den Kopf?

      MUTTERJa, das „gelaunt“ gefällt mir nicht. Wir sind eigentlich Morgenmuffel, aber der Tag bringt dann eigentlich, wenn er gut läuft, die sogenannte gute Laune sowieso …

      Hier zeigt sich bereits in ersten Ansätzen, daß die Mutter eine Tendenz zum „positiven Denken“ hat – wie immer man das bewerten mag.

      ERNSTAlso ich bin normalerweise kein Morgenmuffel! Normalerweise, aber wenn es nicht so läuft … Unter der Woche ist das unheimlich schwer, weil ich schon die ganze Nacht ständig immer aufwache, da denk ich an den nächsten Tag.

      FRITZ SIMONAber wie ist dieser Tag nach der Fee … dieser Tag, wenn die Fee da war?

      ERNST(klopft sich mit beiden Händen auf die Schultern) Dann könnte er mich …!

      FRITZ SIMONWer?

      ERNSTMein Chef!

      FRITZ SIMONO. K. Also, wie läuft es dann bei der Arbeit ab? Was ist anders?

      ERNSTJa, dann würde ich ihn gar nicht sehen, ich mein …

      FRITZ SIMONWie ist er denn, was macht er denn überhaupt, daß er Ihnen so auf die Nerven geht?

      ERNSTDer redet nichts!

      FRITZ SIMONDer redet nichts.

      ERNSTÜberhaupt nichts!

      FRITZ SIMONUnd was ist daran das Problem?

      ERNSTNa ja, ich bin halt so ein Mensch, der … Die ganzen anderen Leute, die sind so nett zu mir und zuvorkommend: „Wenn du dies brauchst und wenn du jenes brauchst …“ Das ist vollkommen ideal!

      FRITZ SIMONBei der Arbeit?

      ERNSTBei der Arbeit, ja! Aber zu denen kann ich nicht den ganzen Tag gehen, die haben auch was zu tun. Und er sitzt mir halt genau im Nebenzimmer und ist ein absolut launischer Kerl, und das sind halt Sachen, die mich nerven! Normalerweise, wenn ich nicht fertig werde,