Fritz B. Simon

Zirkuläres Fragen


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sind, sollte immer nach Verhaltensweisen gefragt werden. Da individuelles Verhalten fast immer als Element von Interaktionsmustern betrachtet werden kann, kommen so auch die Mitspieler und Beziehungspartner ins Blickfeld, die für den Therapieerfolg von Bedeutung sind.

       Abb. 2: Veränderungsrichtung bei positiv definiertem Therapieziel

      Solch eine Ziel- oder Auftragsklärung sollte nicht mit einem juristischen Kontrakt verwechselt werden, da sich im Laufe der Therapie die Ziele verändern können. Sie stellt aber einen Maßstab zur Verfügung, an dem gemeinsam überprüft werden kann, ob überhaupt Bewegung in der Therapie ist. Die Fokussierung auf ein hypothetisches Ziel, das obendrein in der Zukunft liegt, hilft auch deutlich zu machen, daß therapeutische Beziehungen aufgabenorientiert und zeitlich begrenzt sind.

      Zur Illustration solch eines Zielklärungsprozesses hier einige Ausschnitte aus dem Erstinterview mit Familie Bastian.

      Zum Gespräch erscheinen drei Familienmitglieder: Frau Bastian, 64 Jahre alt, ihr Sohn Ernst, 33 Jahre alt, und ihre Tochter Helga, 42 Jahre, das älteste Kind der Familie. Der Vater und zwei weitere Brüder sind nicht zum Gespräch erschienen. Sie wissen zwar davon, aber der Mutter erschien es besser, erst einmal nur mit dem Sohn und der Tochter zu kommen. Die drei sind von weit her angereist: Mutter und Sohn leben zusammen mit dem Vater im elterlichen Haus in Norddeutschland. Die zwei nicht anwesenden Brüder wohnen in derselben kleinen Stadt, nicht weit vom Elternhaus entfernt. Die Schwester, das älteste Kind, lebt mit ihrer eigenen Familie (sie hat zwei Kinder) in der Schweiz.

      Überweiserin ist die Schwester, die einen psychosozialen Beruf ausübt und vor einiger Zeit Teilnehmerin an einem Seminar über Psychosen-Therapie bei FS war. Sie hat telefonisch einen Termin vereinbart, weil sie sich solche Sorgen um ihren Bruder macht. Er habe vor einigen Jahren eine Lebertransplantation erhalten; da er immer wieder Alkohol trinke, befürchte sie das Schlimmste; sie sei mit ihrem Latein am Ende; wenn er nicht aufhöre zu trinken, sei sein Leben ernsthaft bedroht – wie ihr die behandelnden Ärzte mitgeteilt hätten. Ernst, der identifizierte Patient, ist das dritte von vier Kindern.

      Der hier wiedergegebene Ausschnitt des Interviews beginnt nach der Klärung des Überweisungskontextes (Was hat die Schwester über den Therapeuten erzählt? Welche „Versprechungen“ hat sie gemacht, die der Therapeut jetzt halten soll? Welche Vorerfahrungen gibt es mit Therapeuten? Antwort: „Schlechte, die zwei bislang aufgesuchten Psychologen waren immer nur an der Frage der Honorierung interessiert“ usw.) mit Fragen zum Ziel dieses Gesprächs. Bis dahin war bereits deutlich geworden, daß die Mutter von allen Anwesenden die größten Hoffnungen an das Gespräch knüpft.

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      FRITZ SIMON(zur Schwester) Ja, ich fange einmal bei Ihnen an. Das haben Sie nun davon, daß Sie da so aktiv waren! (Mutter lacht) Also, wenn das hier optimal liefe, woran würde Ihre Mutter es merken? Also, was wäre das Wunschziel Ihrer Mutter für das Gespräch hier und heute? Was denken Sie?

       Wer Informationen gewinnen will, muß nach Unterschieden fragen. Nur wer eine Vorstellung davon hat, was der Unterschied zwischen dem Zustand oder der Situation vor und nach bzw. mit und ohne Therapie sein soll, kann entscheiden, ob er sich darauf einlassen will. Das gilt für die Familienmitglieder ebenso wie für Therapeuten. Durch Fragen nach diesem Unterschied wird außerdem stillschweigend mitgeteilt, daß Therapie ein begrenztes Unternehmen ist. Wenn es Merkmale der Unterscheidung für den Therapieerfolg gibt, so droht keine unendliche Behandlung, und beide Seiten, Klienten wie Therapeuten, können gemeinsam überprüfen, wie weit man auf dem Weg zu diesem Ziel schon fortgeschritten ist. Das gilt natürlich nur, wenn solch ein Ziel konkret auf einer beobachtbaren Ebene, d. h. im allgemeinen: auf der Verhaltensebene, beschrieben wird und nicht in irgendwelchen Abstraktionen verschwimmt (z. B. „Bessergehen“, „Glück“, „Reife“). Deswegen empfehlen sich Fragestellungen wie „Wenn ich jetzt eine Videokamera einschalten würde und Ihre Situation filmen würde und wenn ich dasselbe nach einer erfolgreichen Therapie machen würde, was wäre der Unterschied zwischen den beiden Filmen?“ oder „Wenn heute nacht eine gute Fee käme und Sie an Ihr Ziel brächte, was wäre morgen früh anders?“

      Eine solche Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die „Lösung“ bringt häufig erst den Prozeß der Suche nach solchen Merkmalen der Unterscheidung in Gang. Das ist oft an sich schon eine Veränderung. Meist kommen ja Personen in Therapie, die einigermaßen genau sagen können, woran sie ihr „Problem“ erkennen, nicht aber, woran sie merken würden, daß es „gelöst“ ist.

       Noch komplizierter ist die Situation, wenn sich die Therapiewünsche auf einen Angehörigen beziehen. Es gibt häufig voneinander abweichende Therapieziele, in unserem Beispiel wird die Außenperspektive der Tochter über die Wünsche der Mutter erfragt. Das Interesse des Therapeuten gilt erst in zweiter Linie den tatsächlichen Wünschen und Zielen der Mutter; im Vordergrund steht, wie diese Wünsche und Ziele von den anderen gesehen werden. Denn die Mitglieder einer Familie reagieren – das kann nicht oft genug wiederholt werden – nicht auf die Gefühle und Gedanken des jeweils anderen, sondern darauf, wie sie denken und fühlen, daß der andere fühlt und denkt …

      SCHWESTERNa, für das Gespräch heute ist das Wunschziel, würd ich sagen, daß eine ernsthafte Beschäftigung mit den ganzen anstehenden Problemen einfach ins Rollen kommt. Daß dann Schritt für Schritt einerseits das Klima zu Hause offener, freundlicher und herzlicher wird, daß der Ernst sicherer auf neue Situationen zugeht, daß er weniger Angst hat und daß sie ihn weniger antreiben muß …

      FRITZ SIMONAber das wären nicht alles Ziele für das heutige Gespräch, oder?

      SCHWESTERNein, das wär so ein Ansatz, ein Schritt in die Richtung.

      FRITZ SIMONJa, bleiben wir einmal bei dem heutigen Gespräch … Was wäre denn für Ihre Mutter ein Zeichen, daß es in die richtige Richtung geht …Woran wird es Ihre Mutter im Alltag merken? Morgen zum Beispiel! Was wird morgen anders laufen als gestern, wenn dieses Gespräch sinnvoll ist? An wessen Verhalten wird sie es merken, an (zum Bruder gewandt) Ihrem oder an wessen Verhalten?

      MUTTERSoll ich jetzt darauf antworten?

      FRITZ SIMONNein, ich frag Sie gleich, ob Sie sich da wiedererkennen und ob Ihre Tochter das richtig sieht, aber ich bin erst einmal an Außensichten interessiert!

      SCHWESTERJa, an Ernsts Verhalten.

      FRITZ SIMONUnd was wäre das für ein Verhalten, wenn das jetzt hier die sensationellste Sitzung der Welt wäre, wie wird er sich verhalten – aus Sicht Ihrer Mutter?

      SCHWESTEREr würde morgen früh ins Büro gehen. Er würde sagen: Der Chef ist zwar ein Arsch, aber mit dem komme ich schon irgendwie klar! Ich mache die Prüfung, ja, ich gehe das an. Soviel kann mir da ja gar nicht jetzt passieren. Das werde ich schon schaffen! Und für Samstag nehme ich mir dann vor, daß ich einen Freund anrufe, den ich schon lange nicht mehr angerufen habe, und gehe mit dem irgendwo spazieren, oder so was, also ich nehme mir von mir aus etwas vor für das Wochenende mit dem Freund.

      MUTTER(lacht) Das hat sie sehr schön gesagt.

       Einen Außenstehenden über die Beziehung zweier anderer zu fragen hat nicht nur den Vorteil, daß die Betroffenen eine Rückmeldung darüber erhalten, wie ihre Beziehung von außen gesehen wird, sie erhalten auch die Chance, sich verstanden zu fühlen …

      FRITZ SIMON(zur Mutter) Sie strahlen, daraus folgere ich, daß Sie sich da ganz gut beschrieben fühlen.

      MUTTERDaß ich mich sehr, sehr freuen würde, wenn dieser Erfolg schon mal eintreten würde!

      FRITZ SIMON(zur Schwester) Und Ihr Bruder, was ist für ihn ein Erfolg dieser Sitzung? Woran wird er das merken?

      SCHWESTERDaß die Augen vielleicht einmal weniger gelb sind, wenn er morgens in den Spiegel schaut, daß die Streßsituation mal einfach weg ist.

      FRITZ