Richard Faber

Abendland


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bedeutenden und zu Unrecht vergessenen österreichischen Universalhistoriker Friedrich Heer, der mit Adorno und Bloch ebenso befreundet war wie mit Schneider. Ich nenne hier nur seine Habilitationsschrift von 1949, Aufgang Europas, und seine beiden Bücher aus den Jahren 1968 bzw. 1969, Der Glaube des Adolf Hitler und Kreuzzüge – gestern, heute, morgen?.9

      Heer ist um so interessanter, als zeitweise selbst er, der so früh wie kaum ein anderer Katholik das »Gespräch der Feinde« gefordert hatte, an der »Karolingischen Internationale« partizipierte und damit seinerseits »reichsdienstpflichtig« blieb. Ich thematisiere nicht zuletzt das karolingische West- bzw. Rheineuropa, also das – noch für die EU zentrale – Deutsch-Französische Europa, war und ist doch die »deutschfranzösische Verständigung« die conditio sine qua non der Europäischen Vereinigung: der Ausgleich zwischen »Germanismus« und »Latinité« bzw. der Abbau der jahrhundertealten jeweiligen Hegemonialbestrebungen. Natürlich ist auch das Konzept eines Französischen Europa ihnen zuzurechnen gewesen; denn Germanozentrik und Frankozentrik waren – im Abstand betrachtet – weithin identisch, mit der Pointe, daß die jeweiligen Extremisten voneinander lernten. Ich beschließe dieses Kapitel mit der Analyse des »Gaullistischen« Europa-Konzepts der sechziger Jahre, nicht zuletzt, weil in ihm Schmittsche Überlegungen nochmals eine bedeutende Rolle spielten: eine spezifische Vorstellung vom »Europäischen Großraum«, wie ihn der NS-Völkerrechtler zuerst entworfen und damit noch den Widerständler Goerdeler und den ersten EWG-Präsidenten Walter Hallstein inspiriert hatte, wie später dann die »deutschen Gaullisten« um Franz Josef Strauß.

      Im letzten Kapitel stelle ich schließlich die Wandlungen des Reichsgedankens im Nationalsozialismus dar. In seiner Entstehungsphase diente Schmitts sich so defensiv gebende »Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte« den nationalsozialistischen Weltreichsambitionen an, also dem »Dritten Reich« – das sich nach den ersten Blitzsiegen nur noch »Das Reich« nannte und somit unverhohlen seinem Monopolanspruch Ausdruck gab. Römisch bzw. vergilisch auf nationalsozialistische Art formulierte Schmitt damals: »Die Tat des Führers hat dem Gedanken unseres Reiches politische Wirklichkeit, geschichtliche Wahrheit und eine große völkerrechtliche Zukunft verliehen. – ›Ab integro nascitur ordo.‹« Konsequent knüpfte das (Dritte) Reich aber auch an das mittelalterlich-deutsche, selbst römische Reich an. Heer hatte nur zu sehr recht, als er, früh die abendländische Restauration der Adenauer-Zeit erkennend, urteilte: »Der Totalstaatsversuch Hitlers läßt sich nur von reichischen Bezügen her verstehen – aus der Perversion, gewiß, aber auch aus der echten Nachfolge des alten Sacrum Imperium.« Jenes Sacrum Imperium, dessen »erster Dichter-Prophet« Vergil war: der »Prophet des Weltimperiums«. Mit dieser Passage endet das Buch, so wie es mit einem Carl-Schmitt-Zitat aus dessen Begriff des Politischen medias in res geht. Dies ist nur eine stilistische Eigenschaft, die den Band als wissenschaftlichen Essay ausweist. Unter anderem sein Materialreichtum macht ihn zum Collage- Essay, eine Darstellungsform, die ich 1979 in meinem in Hildesheim erschienenen Buch Der Collage-Essay. Eine wissenschaftliche Darstellungsform. Hommage à Walter Benjamin entwickelt und begründet habe.

      Auch neuere Sekundär-Literatur habe ich kaum in die Zweitauflage eingearbeitet. Um so mehr möchte ich hier nachdrücklich hinweisen auf: Dagmar Pöpping, Abendland. Christliche Akademiker und die Utopien der Antimoderne 1900–1945, Berlin 2002 sowie last not least auf: Noam Chomsky, War against people. Menschenrechte und Schurkenstaaten, Hamburg/Wien 2001.

      Richard Faber

      Aus Anlass der dritten Auflage verweise ich auf: Volker Weiß, Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes, Stuttgart, 2017; Richard Faber und Olaf Briese (Hrsg.), Heimatland, Vaterland, Abendland. Über alte und neue Populismen, Würzburg, 2018; Richard Faber, Hopfen und Pfalz, Gott erhalts. Historische Reflexionen und persönliche Erinnerungen aus Anlass europaweiter Reregionalisierung und Renationalisierung, Würzburg, 2019.

      *Was den Kulturbetrieb angeht, verweise ich auf die drei großen ›abendländischen‹ Ausstellungen (und ihre Kataloge): »Europas Mitte um 1000«, »Otto der Große. Magdeburg und Europa« und – bereits im Jahr 2000 – »Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos«.

      *Die ersten zwanzig Jahre nach dem 2. Weltkrieg waren unverhältnismäßig katholisch bestimmt. Vgl. H. Maier (Hrsg.), Deutscher Katholizismus nach 1945. Kirche – Gesellschaft – Geschichte, München 1964 sowie kritisch G. Kraiker, Politischer Katholizismus in der BRD, Stuttgart 1972.

      *Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi erklärte sogar am 26. September 2001 in Berlin: »Der Westen wird weiterhin Völker erobern, so wie es ihm gelungen ist, die kommunistische Welt und einen Teil der islamischen Welt zu erobern« (zit. nach Frankfurter Rundschau vom 28.9.2001).

      I. Einleitung oder: »Das neue Reich«

      »Die reichische Idee wird in Gestalt

      der europäischen Einigung neu erstehen.«

      (Otto von Habsburg, 1977)

      Sicherlich, die Interpretationen und Inhalte sind verschieden: Was Oswald Spengler im Untergang begriffen zu sein scheint, das wird für die katholisierenden Gegenrevolutionäre zum Kristallisationspunkt eines neuen Aufgangs: das »christliche« Abendland. Zwar stehen auch sie unter dem Eindruck der »fundamentalen Wende« von Aktium2, aber im Gegensatz zu Spengler und Schmitt, die eine neopagane, ja antichristliche Ordnung mit vorbereiten wollen, geht es ihnen, wie den Hoch- und Spätromantikern des 19. Jahrhunderts, um die Restauration der »integralen Tradition« Europas (Leopold Ziegler), das heißt einer tendenziell christ-katholischen.

      Auch der junge Schmitt war ihr einmal verpflichtet, freilich nicht zuletzt deshalb, weil er schon in ihr das römisch-imperiale Element als bestimmend erkannt hatte. Im Gefolge Spenglers brauchte er es nur