Richard Faber

Abendland


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dem Kompensationsgesetz der Apokalyptik getreu war. 1930 war das zweitausendste Geburtsjahr Vergils. Auch auf Ideologenebene bot sich die »fundamentale Parallele« an, die Spengler, unter dem Eindruck der apokalyptischen Stimmung des August 1914 und in Erwartung eines deutschen Sieges – vergleichbar dem Roms über Karthago –, bereits während des Krieges zum hermeneutischen Ausgangspunkt seines Untergangs des Abendlandes gemacht hatte.*

      So wies Minn in seinem 1930 in der rechtskatholischen Allgemeinen Rundschau von Georg Moenius erschienenen »Vergil«-Aufsatz ausdrücklich auf »unsere schmerzhafte ›Gleichzeitigkeit‹« mit »der augusteischen Epoche« hin und beschäftigte sich ausführlich-affirmativ mit der Vergil-Ideologie des faschistischen Italien.20 Schmitt schließlich, der noch in den fünfziger Jahren »trotz aller hegelisch-stalinistischen Geschichtsdialektik […] kein anderes Mittel geschichtlichen Selbstverständnisses« kennt als eben »die große historische Parallele«21, schloß wiederholt Aufsätze mit dem verballhornten Vergil-Vers: »Ab integro nascitur ordo.« Reichsapokalyptisch einen völkerrechtlichen von 1939/40: »Die Tat des Führers hat dem Gedanken unseres Reiches politische Wirklichkeit, geschichtliche Wahrheit und eine große völkerrechtliche Zukunft verliehen. – ›Ab integro nascitur ordo.‹«22

      Bergengruen beschwört – wie selbstverständlich und in ›legitimer‹ Vergil-Rezeption – den Kaiser im Kyffhäuser: Friedrich II. von Hohenstaufen. »Selbstverständlich«, obwohl Bergengruen gerade auch in der Tradition der christlichen Vergil-Rezeption steht, aber eben in der hellenistisch-römischen Christentumstradition, wie Verse des Gedichts Das Licht im Aufgang zeigen, die gleichsam die geschichtstheologische Zusammenfassung der Bergengruenschen Reichsapokalyptik darstellen: »[…] Engelscharen tragen nieder / den neubereiteten Äon.« »Äon« und »Engelscharen« – der Hellenismus hindert Bergengruen nicht, sondern ermöglicht ihm, Augustus mit Christus zusammenzudenken und von einer »neuen Fülle der Gezeiten« zu sprechen.24

      4. Konservative Utopie des Abendlandes

      Diese Aufgabe steht vor den abendländischen Völkern als solchen; zumindest nach diesen Ausführungen Bergengruens weiß man nicht, worin sie sich wesentlich von jener Aufgabe der zwanziger bis vierziger Jahre unterscheidet. Bergengruens Sprache ist und bleibt die der Reichsvision des Zwischenkriegs; sein Nachwort von 1950 endet mit den Worten: »Es steht der Dichtung nicht zu, die Formen künftiger europäischer und übereuropäischer Zusammenschlüsse vor ihr Urteil zu laden und Erwägungen darüber anzustellen, auf was für Schultern die ehemals kaiserliche Aufgabe in Zukunft ruhen werde. Wohl aber darf sie in ihrer Weise daran erinnern, daß jene Zusammenfassungen der Völker, auf die wir hoffen, von den nämlichen seelischen und geistigen Kräften getragen sein werden, die dereinst das Bild des alten Reiches geformt haben. Und so wird etwas von ihm weiterleben und des Kaisers ewige Gestalt überall dort zugegen sein, wo Steine zum überwölbenden Bau des neuen Völkerhauses zusammengetragen werden.«29

      *Im eigentlichen Sinne geht es bei Schmitts konkreter Begriffsbildung weniger um Kampfbegriffe als um »Kampfmythen« (vgl. C. Schmitt, Hugo Preuss. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930, S. 5 sowie R. Faber, »›Begriffsgeschichte‹ und ›Mythologie‹. Methodologische Vorüberlegungen zur Kritik des ›politischen Kampfbegriffs‹ Abendland«, in: Aufmerksamkeit. Klaus Heinrich zum 50. Geburtstag, hrsg. von O. Münzberg und L. Wilkens, Frankfurt/M. 1979, S. 140–150).

      *Im zweiten Nachkrieg erringt die Abendland-Ideologie noch größere öffentliche Erfolge als im ersten, obgleich sie direkt aus ihm herrührt, immunisiert durch den Scheinheiligenschein des ›Widerstands‹.

      **Immerhin ist es gerade im Zusammenhang seiner Unterscheidung zwischen »hostis« und »inimicus«, die er zur »Entpolitisierung« von Matth. 5,44 und Luk. 6,27 verwendet, daß Schmitt schreibt, »in dem tausendjährigen Kampf zwischen Christentum und Islam« sei »niemals ein Christ auf den Gedanken gekommen, man müsse aus Liebe zu den Sarazenen oder den Türken Europa, statt es zu verteidigen, dem Islam ausliefern« (Der Begriff des Politischen, Berlin3 1963, S. 29). Und nach Denis de Rougemont stammt »die erste Erwähnung Europas nicht nur als geographische, sondern auch als menschliche Einheit, d.h. des Europäers, der diesen Kontinent verteidigt, […] aus der Chronik der Schlacht von Poitiers im Jahre 732, wo Karl Martell die Araber besiegte«. Das Reich Karls des Großen sei nur der »Höhepunkt dieses frühen Bewußtseins der europäischen Einheit« (europa. Vom Mythos zur Wirklichkeit, München 1962, S. 11). Sein Reich ist das »Abendland der Kreuzzüge« und ihre Zeit »die Zeit des Abendlandes« (E. Rosenstock, Die europäischen Revolutionen, Jena 1931, S. 40 und 39). »[…] die Geschichte lehrt uns, daß es eines gemeinsamen Feindes, einer gemeinsamen Gefahr bedarf, damit Europa ist«, wie Gonzague de Reynold, einer der Gewährsleute de Rougemonts, im Sinne Carl Schmitts generalisiert (Portugal. Gestern – heute, Salzburg/Leipzig 1938, S. 12).

      *** In Anknüpfung an den Begriff des Politischen heißt es in Schmitts Über die drei Arten des Rechts, »der höchste […] und deutscheste […] Ordnungsbegriff« sei das »›Reich‹ als eine […] konkret-geschichtliche […] Freund und Feind von sich aus unterscheidende […] politische […] Einheit« (Hamburg 1934, S. 44).

      *Otto Westphal – durchaus ein preußischer Nationalsozialist und schließlich nationalsozialistischer »Trotzkist« – meinte nach dem zweiten Weltkrieg resümieren zu müssen: »›Nicht Glaube und doch noch Glaube‹ (Bismarck): daran ist das (zweite) Reich großgeworden und gescheitert« (Weltgeschichte der Neuzeit 1750–1950, Stuttgart 1953, S. 106).

      **Oder um Albert Mirgeler zu zitieren: »Wir halten […] die Reichsordnung für die wesentliche Verkörperung einer christlichen Politik. Sie repräsentiert eigentlich die Herabkunft der Gnade