Richard Faber

Abendland


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können. Sie stehen gleichfalls unter dem Bann des imperialistischen Fundamentalsatzes: »Du aber, Römer, gedenke mit Macht der Völker zu walten,/Dies sei deine Berufung – des Friedens Gesetze zu ordnen, / Schon den, der sich gefügt, doch brich den Trotz der Rebellen!«.3 So hatte ihn Vergil, der »Vater des Abendlands« (Theodor Haecker), in jener Zeit formuliert, die für Schmitt »zentral ist und so lange es bleiben wird, wie dieser Äon besteht«, »die Beziehung unserer Gegenwart auf die Zeitwende, mit der unser Äon einsetzt, die Zeit der römischen Bürgerkriege und des Cäsarismus.«4

      Vergils Satz ist die politische Pointe des »Alten Testaments des gesamten europäischen Westens«, als das Rudolf Borchardt Vergils apologetisches Rom-Gedicht5, die Äneis, 1930 bezeichnet. Er kann Vergil, wie Haecker in seinem Vater des Abendlands vom selben Jahr, die »anima naturaliter christiana« nennen und doch, wie der (prä-) faschistische Schmitt, auf ein cäsaristisches und imperialistisches Preußen-Deutschland hinarbeiten, das das Wilhelminische an Konsequenz und Radikalität bei weitem übertreffen soll. Schmitt-Schüler wie Christoph Steding und Robert Hepp betrachten ein solches Preußen-Deutschland als Land der »vollendeten Reformation«6, das heißt – neopagan – als den providentiellen Ort, wo die jüdisch-christliche Negation des sakrosankten und nur insofern wirklich souveränen, da totalen Staates rückgängig gemacht wird. Dieser Staat, und nur er, soll – nach dem Weimarer »Interregnum« – wieder und erst recht »Freund und Feind« bestimmen können, so wie es Schmitt im Begriff des Politischen postuliert hat.

      Daß die Weimarer Republik ein »Interregnum«, also eine »schreckliche, kaiser-« oder führerlose »Zeit« gewesen sei, diese geschichtsphilosophische ›Einsicht‹ ist noch für Armin Mohlers Interpretation der Konservativen Revolution bestimmend.7 Und Steding, dem selbst der Bolschewismus nur eine Begleiterscheinung des Verfalls Europas, das heißt des Reiches zu sein schien8, begriff die gesamte Neuzeit als einen fortlaufenden Prozeß der Dekomposition des Reiches und deswegen – Schmitt folgend – »als ein Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen«.9 Aber in diesem tiefen Verfall – in den Jahren 1931/32 kulminierend – hatte er den »unerschütterlichen Glauben«, daß sich »Deutschland […] mitten in einer neuen Reichsgründungszeit« befinde.10

      1. Deutsche Romanitas per translationem imperii

      Die gesamte konservativ-revolutionäre Akademikergeneration des preußischen Deutschland stand unter dem Eindruck von Arthur Moeller van den Brucks programmatischem Buch Das dritte Reich und seiner Losung: »Preußen muß sein«. So dichtete etwa der mit Moeller und vor allem Martin Spahn verbundene Eduard Stadtler, wie dieser ein katholischer Preuße, 1931: »Preußen muß wieder preußisch werden / Soll das Reich nicht untergehen.«11 Für andere freilich war das Reich gerade an Preußen gescheitert; Moellers Freund und Nachlaßverwalter Hans Schwarz sprach daher in gewollter Analogie zu dem von Schmitt konstatierten »antirömischen Affekt« von einem »antipreußischen Affekt«.

      2. Das Reich als »complexio oppositorum«

      Ihr Ende – in jedem Sinn – erreicht die Reichsideologie im Nationalsozialismus, der gerade auch in dieser Hinsicht eine »complexio oppositorum« ist, je nach der Situation einmal mehr hier oder dort den Akzent setzend: Begann er in Potsdam als »Drittes Reich« Wirklichkeit zu werden, so endete er – nach der kurzen »großdeutschen« Reichs-Phase – beim »Reich« einfach und schlechthin, als dem Umfang nach mittelalterliche Verhältnisse hergestellt worden waren und sich damit eine mittelalterliche Analogie überhaupt anbot. Das war Hitler, einem Romano- und Ekklesiophilen von Graden, auch ideologisch genehm. Im Zeichen des Rußland-Feldzuges fehlt in der nationalsozialistischen Propaganda sogar das Stichwort Abendland nicht; die Auseinandersetzung mit »dem Osten« wird in Analogie zu den verschiedenen »Verteidigungs«-Unternehmungen »des Westens« gesetzt.

      Die Reichs- wie dann die Abendland-Ideologie ist keine einheitliche und kann es bei den historischen Unterschieden, die ihre jeweilige Gestalt im 20. Jahrhundert bestimmen, auch gar nicht sein. Zu Beginn des Jahres 1933 werden die Unterschiede noch offen beim Namen genannt, und ein freilich gezähmter Ideologienkampf ist durchaus im Gange. Aber bereits damals tritt hinter dem »Daß« der neuerlichen Reichsgründung die ihr konkret zu gebende Gestalt zurück; sie kann es, weil weithin die historischen Kostüme nur Kostüme sind, ein quid pro quo: Was ins Gewicht fällt, ist, daß die »›Republik‹ […] in den Hintergrund getreten« ist. Positiv gewendet: »Es ist [überhaupt] wieder vom ›Reich‹ die Rede […] An voreiligen und abwegigen Antworten fehlt es gewiß nicht. Verheißungsvoll für die Zukunft aber ist die Entschiedenheit, mit der das Reich von den verschiedensten Menschen und Kreisen als die politische Aufgabe unseres Volkes schlechthin gesehen wird.«18 Diese Worte des katholischen Reichstheologen Auguste Schorn sind durchaus repräsentativ: Hinter dem unbändigen Willen zum Reich verblassen die zum Teil unversöhnlichen Differenzen der angestrebten Gestaltungen.

      3. Neo-Vergilische Reichsapokalyptik