Erforschung des menschlichen Herzens, er legt Windeier und trägt sie zu Markte.
Natürlich kann jeder die alten Stile und Techniken nutzen, aber nicht wirklich ernst gemeint. Wer es dennoch tut, bringt unweigerlich Kitsch hervor, das sattsam Bekannte zu Sonderangebots-Preisen, mühelos produziert, gedankenlos konsumiert. Das lässt die figurative Malerei zum Weihnachtskarten-Sujet verkommen, Musik allzu eingängig und sentimental klingen und die Literatur ins Klischee abkippen. Kitsch ist vorgetäuschte Kunst, die falsche Gefühle ausdrückt, was deren Konsumenten glauben machen soll, dass sie tief und wahrhaftig empfinden, während sich tatsächlich nicht das geringste Gefühl regt.
Kitsch zu vermeiden, ist allerdings gar nicht so leicht, wie es scheinen mag. Zwar könnte man versuchen, sich als ganz und gar wild gewordener Avantgardist zu gebärden, etwas tun, was nie zuvor ausgeheckt oder gar als Kunst bezeichnet wurde, indem man beispielsweise auf wertgehaltenen Idealen oder religiösen Gefühlen herumtrampelt. Aber auch damit landet man beim So-tun-als-ob, nämlich bei vorgetäuschter Originalität und Bedeutsamkeit und einem neuen Klischee, wie in der jungen britischen Kunst geschehen. Sich als Modernist zu gerieren wird nicht zwangsläufig zu Leistungen führen, die denen eines Eliot, Schönberg oder Matisse vergleichbar wären, denen es ihrerseits gelungen ist, in die verborgensten Regionen des modernen Fühlens und Denkens vorzudringen. Der Modernismus ist eine anspruchsvolle Angelegenheit, er erfordert gleichermaßen Kompetenz in einer künstlerischen Tradition, wie die Fähigkeit des Künstlers, sich von ihr zu lösen, um etwas Neues auszudrücken.
Hierin liegt einer der Gründe für das Aufkommen eines völlig neuen künstlerischen Vorgehens, das ich als Präventiv-Kitsch bezeichnen möchte. Die Strenge der Modernisten ist schwierig zu verdauen und also unpopulär, weshalb einige Künstler irgendwann aufgehört haben, einen großen Bogen um den Kitsch zu machen, um sich seiner vielmehr zu bedienen, wie zum Beispiel Andy Warhol, Allen Jones und Jeff Koons. Wenn das schlimmste Vergehen darin besteht, sich unwissentlich der Produktion von Kitsch schuldig zu machen, sieht es bei weitem besser aus, ihn mit voller Absicht zu schaffen, denn in diesem Fall wird das Produkt kein Kitsch mehr sein können, sondern womöglich eine geistreiche Parodie. Der Präventiv-Kitsch setzt den tatsächlichen Kitsch in Anführungszeichen und hofft, damit seine künstlerische Reputation zu wahren. Man nehme eine Porzellan-Figur von Michael Jackson, wie er seinen Schimpansen Bubbles liebkost, gebe dem Ganzen geschmacklose Farben und ein Hochglanzfinish, lasse die Figuren die Haltung einer Madonna mit Kind einnehmen, verleihe ihnen einen schmachtenden Ausdruck, auf dass der Betrachter mit Brechreiz zu kämpfen habe, und herauskommen wird ein solcher Ausbund an Kitsch, dass er damit fast schon transzendiert sein dürfte. Wir argwöhnen, dass Jeff Koons etwas anderes gemeint haben muss, irgendetwas Tiefes und Ernsthaftes, das wir nicht ganz mitbekommen haben. Vielleicht stellt dieses Werk tatsächlich einen kritischen Kommentar zum Kitsch dar, indem es sich in all seiner ausdrücklichen Kitschigkeit sozusagen zum Meta-Kitsch aufschwingt.
Ein anderes Beispiel ist Allen Jones, in dessen Werken-Frauenähnliche Figuren zu Möbelstücken verrenkt werden, Puppen, deren Reizwäsche ihre Geschlechtsmerkmale in aller Deutlichkeit ausstellt, vulgäre, kindisch fiese Visionen von Frauen, mit dem durch und durch gezierten Ausdruck irgendwelcher Models. Wieder scheint der übertriebene Kitsch kein wirklicher Kitsch zu sein. Der Künstler wird uns etwas über uns selbst sagen – über unsere Begierden und Gelüste – und uns damit konfrontieren, dass wir an diesem dick aufgetragenen Kitsch, den er mit Hohn übergießt, durchaus Gefallen finden. Statt gold-gerahmter Ideale serviert er veritablen Mist in Anführungszeichen.
Präventiv-Kitsch ist das erste Glied einer Kette. Der Künstler gibt sich ernsthaft überzeugt von sich und seinem Werk, die Kritiker gerieren sich als seine Richter und das modernistische Establishment als seine Gönner. Schließlich wird das Getue irgendjemanden, der den Unterschied zwischen wirklicher und vorgetäuschter Kunst nicht wahrnehmen kann, dazu bringen, ein solches Werk zu kaufen. Erst hier ist Schluss mit der ganzen Vorgeblichkeit und es wird der tatsächliche Wert dieser Art Kunst deutlich: ihr Geldwert. Aber nach wie vor ist es wichtig, so zu tun, als ob. Der Käufer muss weiterhin überzeugt sein, dass er ein Stück echte Kunst von hohem Wert gekauft und damit ein Geschäft gemacht hat, das jeden Preis rechtfertigt. Ansonsten würde der Kaufpreis den offensichtlichen Umstand enthüllen, dass jeder, auch der Käufer, den Wert eines solchen Produkts hätte vortäuschen können. Das Wesentliche bei allem Gefälschten und Vorgetäuschten ist, dass sie nicht die Sache selbst sind, sondern Surrogate. Wie Dinge, die in gegenüberliegenden Spiegeln ad infinitum widergespiegelt werden, wiederholen sie sich und mit jeder Wiederholung steigt ihr Preis, bis ein Ballon-Hund von Jeff Koons, wie ihn sich jedes Kind vorstellen kann und viele Leute ihn produzieren könnten, den höchsten Verkaufspreis erreicht, der jemals für das Werk eines lebenden Künstlers gezahlt wurde – einmal abgesehen davon, dass dieser Künstler keiner ist.
Allenthalben sind wir umgeben von vorgetäuschter Originalität, falschen Gefühlen und verfälschenden Kritiker-Expertisen und das derart flächendeckend, dass wir kaum mehr wissen, wo wir nach etwas Echtem Ausschau halten sollen. Oder gibt es so etwas vielleicht gar nicht? Ist diese ganze Welt der Kunst einfach nur leeres Getue, bei dem wir alle mitmachen, weil alles so billig zu haben ist, außer vielleicht für Leute wie Charles Saatchi, der genug Geld hat, um Fantasiepreise für irgendwelchen Unfug zu zahlen? Vielleicht ist etwas Kunst, sobald sich jemand findet, der es zur Kunst erklärt. Vielleicht gibt es keine qualifizierten Kritiker. »Alles ist nur eine Frage des Geschmacks«, wird behauptet und weiter nicht gedacht. Gibt es darauf tatsächlich nichts zu erwidern? Ist es tatsächlich unmöglich, echte von vorgetäuschter Kunst zu unterscheiden oder zu begründen, wie und warum Kunst wichtig ist? Dazu möchte ich ein paar positive Vorschläge machen.
Zunächst müssen wir alles ignorieren, was unser Urteil in die Irre führt. Gemälde und Skulpturen kann man besitzen, kaufen und verkaufen. Also stellen sie einen großen Markt dar, und es spielt keine Rolle, ob sie einen Wert haben oder nicht, einen Preis haben sie allemal. Oscar Wilde definierte den Zyniker als jemanden, der von allem den Preis und von nichts den Wert kennt. Und der Kunstmarkt wird unvermeidlich von Zynikern bestimmt. In unseren Museen häuft sich aller möglicher Ramsch, dessen einzige Qualität oft genug darin besteht, dass er eine Stange Geld gekostet hat. Eine Symphonie oder einen Roman kann man nicht in derselben Weise besitzen wie einen Damien Hirst. Entsprechend wird bei Symphonien und Romanen sehr viel seltener hochgestapelt als in den visuellen Künsten.
Die Dinge werden weiterhin entstellt durch gezielte Manipulation seitens offizieller Fördereinrichtungen. Das Arts Council ist mit der Aufgabe betraut, bildende Künstler, Schriftsteller und Musiker zu subventionieren, deren Werk von Bedeutung ist. Aber wie urteilen Bürokraten über die Bedeutsamkeit eines Werkes? Der Kulturbetrieb sagt ihnen, dass ein Werk etwas taugt, wenn es originell ist, und das wiederum erweist sich daran, dass es dem Publikum nicht gefällt. Warum müsste es im Übrigen auch subventioniert werden, wenn es dem Publikum gefiele? Also werden von offiziellen Schirmherren unvermeidlicherweise die eher obskuren, abstoßenden oder sinnlosen Werke denjenigen vorgezogen, von denen eine wirkliche und dauerhafte Anziehungskraft ausgeht.
Was aber macht eine solche Anziehungskraft aus und wie können wir beurteilen, ob ein Kunstwerk über sie verfügt? Meine Antwort kann ich in drei Worten zusammenfassen: »Schönheit«, »Form« und »Erfüllung«.
Für viele Künstler und Kritiker ist die Idee der Schönheit in Verruf geraten. Sie ist gleichbedeutend mit süßlich-beschaulichen Szenen im grünen Walde und schnulzigen Melodien, wie sie der Großmutter gefielen. Der modernistische Leitsatz, dass die Kunst das Leben so darzustellen habe, wie es ist, veranlasst viele Leute zu glauben, dass unweigerlich beim Kitsch landet, wer sich um Schönheit bemüht. Was allerdings ein Irrtum ist. Der Kitsch macht uns weiß, was für nette Menschen wir doch seien: es geht um simple Gefühle, die billig zu haben sind. Schönheit bedeutet einem dagegen, mit der Nabelschau aufzuhören und vielmehr wache Aufmerksamkeit für die Welt um uns herum zu entwickeln. Sie sagt: schau dir das an, hör zu, betrachte es, hier ist etwas, das wichtiger ist als du. Kitsch ist ein billiges Mittel zum Zweck, Schönheit genügt sich selbst. Wir kommen der Schönheit näher, sobald wir von unseren eigenen Interessen absehen und zulassen, dass in uns die Welt aufdämmert. Es gibt viele Möglichkeiten, das zu versuchen, wobei die Kunst für uns unleugbar die bedeutendste darstellt. Sie vermittelt uns ein Bild des menschlichen Lebens –