Nataly von Eschstruth

Im Schellenhemd


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Stäblein, stellte selbes auf die Nase und hielt’s im Gleichgewicht. Dazu fing er an zu springen und zu tanzen, ohne dass Stock und Kappe hernieder fielen, und die Zuschauer johlten laut auf vor Lachen und vergassen all des feierlichen Ernstes, der zuvor geherrscht. Als aber der kleine Irregang mit gellendem: „Jû nârro!“ plötzlich gar wundersam wie ein Fröschlein mit verrenkten Gliedern hinter seiner Mutter hervor kugelte und sich rund in dem freigelassenen Platz der Halle herumschnellte, da sprach die dicke Schaffnerin: „Ich hol’ das Junkherrlein, auf dass er solche Kurzweil schaue!“ und wollte gravitätischen Schrittes davon. Herr Amadeus aber hielt sie sorgsam am Gewand und flüsterte: „Machet es aber fein heimlich, Frau Margaret, auf dass meine Hausehre nichts von selbem Firlefanz erfahre!“ — Und dabei sah der Vogt gar nicht mehr so herrisch aus wie zuvor und rückte den Schlapphut sänftiglich auf die Mitte des Hauptes.

      Frau Margaret aber schritt nickend davon, und da sie wiederkam, führte sie einen Edelknaben an der Hand, stark und kräftig gebaut, um eines Hauptes höher denn Jung Irregang, dem fiel ein goldblond Lockenhaar auf die Schultern, und sein Gesicht war rosig, frisch und fröhlich, mit zwei blauen, guten Augen darin. — Viel Kraft und starke Muskeln schien er zu haben, und seine Bewegungen waren von gedrungener vierschrötiger Derbheit. Er trug ein schlichtes Wämmslein von Hirschleder, aber einen linnenen Kragen darüber aufgeschlagen und ein kunstlos Wehrgehäng’ um die Hüften. Mit grossen, starren Blicken des Erstaunens schaute er auf die Gaukler, und da er neben dem Vogt niedergesessen war, und Irregang abermals seine Purzelbäume begann, da sass er wie gelähmt vor Bewunderung, und erst ganz allmählich fand er sich in die Fröhlichkeit der andern.

      Der schwarzäugige Bub, mit dem blassen, feingeschnittenen Gesichtchen, den verwilderten Locken und dem grellbunten Narrenkleide, daran die Schellen rasselten, schien ihm eine Erscheinung aus anderer Welt, und als Irregang gar die Geige spielte, voll ausgelassener Lustigkeit dazu tanzte und seine derbspasshaften Liedlein sang, da nickte er leuchtenden Auges Beifall, als der Vogt dem Bürschlein lachend winkte, ihm den Humpen reichte und sprach: „Trink, du fröhlich Kasparlein! deine Weisen werden noch ergötzlicher sein, wenn du voll des süssen Weines bist!“ —

      Irregang trank mit durstigem Zug, und während dessen streichelte der kleine Junker schüchtern sein fremdartig Gewand und betastete neugierig den glimmernden Zierrat darauf.

      Hatte Jorg von Jossa doch noch niemals fahrend Volk geschaut, denn Burg Darsberg lag fernab der Strasse in tiefster Weltvergessenheit, und solange der Ritter daheim war, blieben ihre Pforten geschlossen für jedermann.

      Der Lärm und die Lustbarkeit in der Halle hatten schon eine gute Weile gewährt, als Goykos sich abermals vor dem Vogt neigte und bat, aus seiner Karre allerhand Gerät zu holen, um nun erst die schönsten und erstaunlichsten Kunststücke zu zeigen!“ — Das ward ihm gern gewährt, und einer der Dienstbaren geleitete ihn in den Hof zurück, auf dass er den Weg zu seinem Rösslein fände. Und das war wohl gut, denn der Jagdgesell musste weidlich lachen, da er den Zigeuner so dumm und wirr im Schlosshof tappen sah, — das listige Lächeln des Gauklers aber sah er nicht dabei. Derweil hatte Zinkra Mühe gehabt, sich der Liebkosungen des Vogtes freundlich zu erwehren. Auf viel absonderliche Weise machte sie auf fremden Instrumenten Musik und hatte dann zu schallendem Gelächter aus des Lamberts spitzem Hut fünf echte Hühnereier, bunte Steinkugeln, zwei Eisenküchlein und einer Magd Brusttuch hervorgeholt. Auch an der Schaffnerin Ledertasche knusperte sie herum, und als alle schauten, zog sie zu grossem Staunen rot Band herfür, so viel, dass es nachher nimmer wieder Platz in der Tasche fand. — Da man sich aber genug des Rätsels verwundert hatte, hielt Frau Margaret das braune Weib am Rock, dass dessen Glöcklein zart erklangen, wies die Hand entgegen und sprach: „So du eine junge Freiheit bist, sage mir, was solche Linien hier verheissen!“ — Da sagte Zinkra die Zukunft, und die Matrone kreischte auf und sprach: „Hat mir schon eine andere Taterin den zweiten Eheherrn verheissen! Christe Blut, nun wird’s wahr!“ Kaum dass sie noch sprach, stand auch schon der kleine Junker Jorg neben der Zigeunerin, schaute sie treuherzig an und bat: „Künde mir auch!“ — Da schaute Zinkra lächelnd in des Knaben Hand, aber ihr Antlitz ward fahl und starr, und ihre Lippen weiss wie Schnee. Und sie wankte und griff hastig nach Irregangs Hand, — legte beider Knaben Rechte zusammen und stiess keuchend hervor: — „Da! — schaut da!“ — —

      Aller Köpfe neigten sich, und man sah ein seltsam Zeichen in beiden Kinderhänden, vier feine, rote Linien die den römischen Buchstaben W bildeten. —

      Wie gebannt hing Zinkras Blick am Antlitz des Junkers, und sie legte die zitternde Hand auf sein Haupt und murmelte: „So wirst Du des Irregangs Genosse sein!“ —

      III.

      Nicht ein jedes Auge vermochte allsogleich die Form der zarten Hautlinien herauszufinden. Mit gläsernem Blick starrte der Vogt darauf nieder und sprach mit einem Kuss auf der Gauklerin entblössten Nacken: „Was sollen wir denn schauen, du brauner Schatz? Dass beide Büblein ihre Finger spreizen? Dass es an jeglicher Hand deren fünfe sind? oder sonst ein Miraculum?“ und dabei legte er, auf den Füssen schwankend, den Arm keck um Zinkra. Der Magister aber nickte mit dem gelehrten Haupt und sprach gravitätisch: „Woher kommt dir eine solche Weisheit, Weib, dass du einen römischen Buchstab kennest? und wie magst du selbes Zeichen deuten?“ Da riss sich die Zigeunerin gewaltsam aus ihrem dumpfem Sinnen empor, machte sich los aus des Amadeus Armen, lachte und sprach: „Es ist nicht zum letzten Male, dass das Jungherrlein heute neben dem Irregang steht. Der Buchstab W wird beider Schicksal sein, er steht geschrieben auf der rollenden Kugel des Glücks und beide jagen danach und kämpfen darum. Wer siegt? das wird die Zeit lehren!“ und Zinkras Augen glühten wie im Fieber, sie wand sich geschickt aus den Fesseln des immer lüsterner dreischauenden Vogts, warf die Arme über das Haupt und wirbelte im Tanz in die Mitte der Halle zurück. Goykos aber, welcher just wieder in der Hoftüre erschien, legte viel haarscharfe Messer auf den Estrich umher, die Schneide noch oben, und die Zuschauer überkam ein Gruseln, da sie’s sahen. Mit den nackten Füssen sich rasend schnell im Kreise drehend, bewegte sich die junge Zigeunerin, zwischen den Klingen kaum den Platz findend, um die Fussspitzen aufzustellen, und dabei hing ihr Auge unverwandt an der gewölbten Decke, darunter die Rauchwolken des Kamins herzogen. — Lautlos starrten die Leute der Burg ein solches Schauspiel an, und da die Zigeunerin mit weitem Satz endlich aus den Messern heraussprang, vor dem Publikum das Knie beugte und die Arme über der atemlos wogenden Brust kreuzte, da erhob sich ein brüllender Beifallslärm, und Amadeus winkte der Tänzerin, zog sie mit derber Zärtlichkeit auf eine Knie und bot ihr den Humpen dar.

      „Also hat der König und edle Held Huon de Bordeaux auch das Türkenmädel Bandamor, so vor ihm den Reigen geführt, an den Tisch gezogen, hat sie gespeist mit gebratenem Galander und getränkt mit Sinôpel, wie man lesen kann in der Historie von des Richard Löwenherz Kreuzfahrt. Da unsere Galander aber noch in freier Luft fliegen und den Wildmeister Hanno mit ihrem Spottliedlein äffen, kann der Vogt Amadeus an den Pfoten saugen und muss sich den Bauch mit Hirschfleisch füllen; gebet darum der Gauklerin anstatt des Vogelbrätleins eine Schnitte Ziemer! Und dieweil mein Kellermeister das Fässlein mit Sinôpel hat leer werden lassen, zu seiner eignen Mast, so muss mir statt seiner die kleine Hexe hier die Borgeraste kredenzen! Heda! trink’s doppelt, Weib! — Galander oder Ziemer, Sinôpel oder Würzewein — Huon oder Amadeus, ist dem Beelzbub ganz einerlei!“ — und er lachte mit dröhnender Stimme und kniff Zinkra in die bleiche Wange, die sich Sträubende immer inniger herzend. — Aber weder Tanz noch Wein noch alle Lustbarkeit der Halle und alle Scherze, welche die Taterin selbst noch eingelernterweise zum besten gab, verliehen ihrem Auge den früheren Glanz zurück. — Starr und tot war der Blick geworden, das erste Flackerfeuer jäher Aufregung war erloschen, und dieweil Goykos zum Schreck der kreischenden Mägde Feuer verschlang und dann aus seinem Mund lebendige Schlänglein zog, versank Zinkra in ein regungsloses Anschauen des Junkers Jorg, just, als wolle sie gewaltsam einen Blick in die Zukunft erzwingen. Vor ihrem geistigen Auge wuchs der blondlockige Knabe empor zur hohen Rittergestalt. Der Harnisch glänzt auf seiner Brust, Federn umwallen seinen Helm, ein schnaufend Ross bäumt stolz auf unter ihm, und wo er seine Strasse zieht, weichen die Leute ehrerbietig aus und ziehen die Kappe. Die kleine Hand, welche jetzt in zitternder Aufregung das Holzschwert umklammert, wird gross werden zur starken Männerfaust, und diese wird zweischneidigen Stahl führen. — Ein W ist in diese Hand geschrieben, ein