Robert Heymann

Die hörige Frau


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werde, daß ich mein Leben lang an keinen Mann gedacht habe, als an Euch. Mein Trost bleibt, daß dereinst ein Tag aufgehen wird, an dem meine Unschuld hervorkommen und meiner Ankläger Falschheit offenbar werden wird. Gute Nacht, gnädiger Herr, liebster Freund! Ich verzeihe Euch von Herzen. Ja, noch nach meinem Tode will ich Gott bitten, daß mein unschuldiges Blut keine Rache über Euch, noch über meine Ankläger schreie. Dies schreibe ich mit zitternden Händen und fließenden Augen, denn in meinem Herzen wohnt der Tod und erfüllt mich mit Schrecken. Eure bis in den Tod getreue und um der Treue willen zum Tode verdammte Genovefa.“

      (Nachdem die Unglückliche alles Leid der Aussetzung, der Einsamkeit und der bittersten Not tapfer ertragen hatte, kam ihre Unschuld zu Tage. Der Gatte eilte, sie zurückzuführen. Es ist zu spät. Sie fühlt den Tod in sich.)

      Doch sagte sie ihrem Gemahl nichts davon, damit er sich nicht vor der Zeit betrüben möchte. Aber die Erfüllung zögerte nicht lange. Denn bald darauf wandelte die fromme Gräfin ein Fieber an, das sie zuletzt aufs Krankenbett warf. Und gegen diese Krankheit fruchtete kein Mittel, so daß Siegfried und sein Sohn Schmerzenreich bald in trostloses Leid versanken. „Ach, geliebte Genovefa,“ rief der Graf an ihrem Lager aus, „wollt Ihr denn, kaum gefunden, so bald von mir scheiden und mein ganzes Herz wieder betrüben? Habt Mitleid mit meinem Jammer und bittet den lieben Gott, daß er Euch noch eine Weile bei mir lassen wolle!“

      Genovefa sprach freundlich darauf: „Betrübet Euch nicht so sehr wegen meines Todes, lieber Gemahl. Ihr richtet damit nichts anderes aus, als daß Ihr mich mit betrübt. Ihr seht ja wohl, daß es nicht anders sein kann. Darum gebet Euch von freien Stücken in den göttlichen Willen. Was mich in meinem Tode am meisten bekümmert, ist, daß ich Euch und meinen lieben Schmerzenreich in solcher Bekümmernis sehen muß. Wenn ihr beide getrost wäret, so wollte ich freudig sterben und dies elende Leben mit einem besseren vertauschen.“

      *

      Es muß zu denken geben, daß die Genovefafìgur nicht als eine außergewöhnliche Erscheinung, daß ihre Handlungsweise nicht etwa als (im Sinne unserer aufgeklärten Zeit) krankhaft angesehen wurde.

      Nein, Genovefas Unterwerfung unter den Willen des Mannes und später des Schicksals ist nur ein leuchtendes Beispiel für ungezählte Erscheinungen ihrer Zeit.

      Ganz eigenartig — oder natürlich? — war die Anschauung über die Liebe und über die Stellung der Frau zur männlichen libido in der Renaissance. Es gibt nichts Erschütternderes als jene Stelle aus dem „ Gastmahl in der Villa Borghese“ von Francesco Grapputo (in der Übersetzung Semeraus). Nachdem ein gewisser Cecchino die Liebe eines jungen Mädchens gewonnen hatte, wurde er durch den Widerstand seiner Eltern gezwungen, sich längere Zeit von ihr fern zu halten. Inzwischen erkaltete die Liebe jener Emilia, und als er sich eines Tages zu ihr begab, wies sie ihn mit Hohn von sich.

      Als er nun sah, daß er weder mit Bitten noch mit Klagen die Grausamkeit jenes Herzens bewältigen konnte, versuchte er mit Gewalt Sieger zu bleiben. Emilia stieß ihn zurück, aber vergebens. Als sie sich so bedrängt sah, wollte sie die Diener zu Hilfe rufen. Das brachte Cecchino aufs höchste auf, und da er daraus mit Sicherheit erkannte, daß Emilia ihn wahrhaft haßte, kam er ganz von Sinnen und griff wütend nach einem Messer, das auf einem nahen Tischchen lag und bohrte es tief in die weiße Brust seiner wortbrüchigen, unseligen Geliebten.

      Diese verabscheuungswürdige Tat ließ ihn nicht sofort erbleichen und in Entsetzen erstarren, er suchte vielmehr mit Händen und Augen jenen schönsten und geheimsten Teil ihres Leibes, als wäre sie nicht tot, und genoß mit ihr das Liebesvergnügen.

      Nachdem er seiner Leidenschaft freie Bahn gelassen (die Leiche also nach unseren Begriffen geschändet hatte, d. Verf.) und sein fleischliches Gelüst geschwunden war, und er das erst rosige Antlitz bleich und die anmutsvollen und glühenden Augen erblaßt gesehen, richtete er sich auf ihren noch warmen Schenkeln auf und, als wäre er völlig von den Furien ergriffen, begann er laut zu rufen:

      „O, du verbrecherischer Mensch, der du jede Liebe vergaßt und den unmenschlichen Arm antriebst, soviel Schönheit der Welt zu rauben! Ich Unseliger glaubte, mit ihrem Tode müßte jenes unselige Feuer erlöschen, das mich verzehrt, und jetzt erkenne ich, daß ich noch Holz in das Feuer geworfen und siedendes Öl in die ruhelosen Flammen geschüttet habe.“

      Eine Dienerin Emilias, die zufällig in dem benachbarten Kabinett weilte, hatte alles gehört. Sie hatte sich, da sie das Zimmer nicht verlassen und auch nicht um Hilfe rufen konnte, aus Furcht, wenn sie entdeckt würde, selbst angefallen zu werden, ruhig verhalten.

      Nun sah sie durch einen Spalt, wie der verzweifelte Cecchino sich von neuem über Emilias Leiche warf und nachdem er das engelsgleiche Gesicht geküßt hatte, sich das Eisen, das kurz vorher der Unglücklichen den Tod gebracht hatte, selbst tief in die Brust stieß.

      Bei diesem grausigen Anblick begann sie laut zu rufen. Darauf eilten alle Diener herbei, die, über die Tat rasch unterrichtet, viele, viele Tränen über den unglücklichen Liebenden vergossen und beide in einem Grabe betteten. Es heißt auch, daß alle Liebenden jener Gegend hinter der Bahre gingen und sich in Trauergewänder kleideten, um länger das bittere Andenken zu bewahren, das der Tod jener in ihren Herzen wachgerufen hatte.

      Das Mitgefühl aller Männer und Frauen (aller „Liebenden“) wandte sich also einem Manne zu, der die Geliebte nicht nur gemordet, sondern auch noch im Tode vergewaltigt hatte! So groß war der Glaube an die Unwiderstehlichkeit eines Triebes, der durch die Liebe sanktioniert wurde! Niemand dachte an das schreckliche Schicksal Emilias. Treffender kann das Hörigkeitsschicksal eines Weibes nicht gezeichnet werden als durch diese naive Geschichte des Grapputo.

      Der Keuschheitsgürtel

      Eine der interessantesten und sonderbarsten Sitten, die die Hörigkeit des Weibes etwa um das 14. und selbst noch 15. Jahrhundert dokumentieren, ist dieser phantastische Gürtel, den die Frauen in Abwesenheit der Männer tragen mußten, um eheliche Untreue zu verhindern.

      So lächerlich und brutal uns diese Einrichtung auch erscheint, so ist zweierlei zu bedenken: Erstens die teilweise sehr freie Sittenauffassung — beispielsweise in Italien, wovon uns Boccaccio genügend saftige Proben liefert. Zweitens die Tatsache, daß damals die Männer sehr oft durch Fehden Jahre hindurch von ihren Frauen fern gehalten wurden. In den Kreuzzügen kam es vor, daß Ritter erst nach zehnjähriger Abwesenheit nach Hause zurückkehrten. Viele unternahmen freiwillige Pilgerfahrten nach dem Heiligen Grabe. Aber auch bei den üblichen Fehden und Kleinkriegen jener Zeiten gerieten die Männer oft in Gefangenschaft, und wir haben Beweise, daß solche Einkerkerungen viele Jahre währten.

      „Die Keuschheitsgurte,“ schreibt Dr. Franz M. Feldhaus in seinem Buch „Polizei und Technik“, „bestehen aus einem festen, meist metallenen Leibgurt, an den sich ein oder zwei Bügel so ansetzen, daß sie zwischen den Beinen hindurchgehen. Die metallenen Gurte sind gepolstert und schließen sich fest an den Leib an. Ein Sicherheitsschloß hindert die Trägerin, den Gurt abzunehmen. Hinten haben die Gurte eine große und vorn eine siebartige Öffnung, damit die Trägerin bald diese, bald jene Notdurft verrichten kann.“

      Daß es ein schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit ist, einer Frau einen solchen Gurt anzulegen, ist selbstverständlich. Man erzählt, die wohlgesitteten, europäischen Ritter hätten diese barbarische Sitte während der Kreuzzüge im heidnischen Orient kennen gelernt ... Wahrscheinlicher ist die Nachricht, daß der verworfene Francesco Carrara, der letzte Tyrann von Padua, diese Gurte um das Jahr 1395 erfand. Florentiner Handwerker müssen solche Gurte damals angefertigt haben. Denn der Deutsche Konrad Keyser von Eichstädt erwähnt im Jahre 1405 derartige Gürtel florentinischer Frauen. Er sagt: „Dies ist ein harteisener Gürtel florentinischer Frauen, der vorn so geschlossen wird.“ Der Autor setzt Zweifel in den allgemeinen Gebrauch dieser Gürtel und nimmt an, daß es sich um Raritäten gehandelt hat. Er ist der Ansicht, daß kaum ein Mann seiner Frau ein solches Maß von Unsauberkeit zugemutet hätte.

      Dem ist freilich entgegenzuhalten, daß die Sauberkeit damals anders aufgefaßt wurde als heute. Im Übrigen war der Gebrauch von Bädern, auch Unterleibsbädern, damals auf einer Höhe, die man z. B. den Damen des vierzehnten Ludwig von Frankreich