Dietrich Schulze-Marmeling

Lew Jaschin


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hatte ein entwaffnendes Lächeln, küsste seine weiblichen Fans und wirkte alles in allem verdammt cool.“

       Olaf Edig / Daniel Meuren / Nicole Selmer, Autoren des Buches „Fußballweltmeisterschaft 1966 England“

      „Jaschin ist der Übertorwart der 60er.“

       11Freunde

      „Russlands ewiger Fußballstern heißt Lew Jaschin.“

       Christoph Diekmann (Die Zeit)

      „Er war ein fantastischer Mensch. Auffällig waren seine großen Hände, die waren wie Toilettendeckel, so groß waren die. Er war ein toller Junge, nicht nur, dass er ein großer Kerl war, er war, wie die guten Fußballer so sind. Es gibt ja schlechte und eingebildete, aber es gibt auch große und Weltklasseleute so wie er, die völlig normal und mit den Füßen am Boden waren.“

       Willi Schulz

      „Von seiner Leistung her war er ein Weltklassetorhüter. Er hatte eine Begabung, die kann man gar nicht beschreiben. Er galt damals nicht umsonst als Torhüter Nummer eins. Sein ganzes Verhalten war vorbildlich. Große Ausstrahlung. Er hatte immer ein großes Verständnis vom Sport, vom Fußball, von Fairness. Aber er war nicht nur ein guter Torwart, sondern auch ein toller Mensch. Jaschin war ohne Zweifel absolute Spitzenklasse – als Fußballer und als Mensch.“

       Uwe Seeler

      „Lew Jaschin war eine Persönlichkeit, wie wir im Fußball nur wenige hatten. Er strahlte eine menschliche Wärme aus, die in unserer Branche nicht häufig zu spüren ist. (…) Immer hatte ich den Eindruck: Hier spielt ein Herr.“

       Franz Beckenbauer

       Von Lew Jaschin

      „Wie jeder Schauspieler, so muss auch ein Spitzenfußballer in seinem Fach ein Künstler sein.“

      „Der Fußball erfordert einen ganzen Komplex guter menschlicher Eigenschaften.“

      „Der Pulsschlag des Torwarts ist der Pulsschlag der ganzen Mannschaft.“

      „Die Freude, Juri Gagarin durch das All fliegen zu sehen, wird nur durch die Freude über einen gut gehaltenen Elfmeter übertroffen.“

      „Im Fußball können nur diejenigen bestehen, die Mut und Willenskraft haben. Die ununterbrochen an ihrer Meisterschaft arbeiten, die sich ständig die Erfahrung anderer zu eigen machen, die nicht scheuen, die Erkenntnisse zu übernehmen, die die früheren Fußballgenerationen angehäuft haben. Die nicht nach den ersten Misserfolgen aufhören und in sich die Kraft finden, ihre Fehler auszumerzen. Die nicht vor den Kameraden oder dem Kollektiv die Nase rümpfen, die immer bescheiden und entgegenkommend auftreten, sich kritisch sich selbst und den Mannschaftskameraden gegenüber verhalten.“

      „Ich stehe auf dem Standpunkt, dass alle Menschen in Frieden und Freundschaft miteinander leben können. Einer sollte dem anderen glauben und vertrauen können. Auf den Fußballplätzen in aller Welt habe ich viele Freunde gefunden. Aus diesem Grunde liebe ich den Fußballsport ganz besonders, denn es ist schön, überall Freunde zu haben.“

Image

       Wandbild von Jaschin in der Narodnaya-Straße in Moskau. Das Gemälde befindet sich auf dem Haus direkt gegenüber vom Fußballverband der Russischen Föderation. Es handelt sich um ein Werbebild der VTB-Bank, die seit 2009 Sponsor des Fußballvereins Dynamo Moskau ist.

       Prolog

       Auf den Spuren einer Legende

      Lew Jaschin war einer der ganz Großen des Weltfußballs. 1963 war er der erste (und bis heute auch letzte) Torwart, der den Ballon d’Or gewann, mit dem damals der beste Fußballer Europas ausgezeichnet wurde. Und 1999 kürte ihn die FIFA zum Torwart des 20. Jahrhunderts. Jaschin ist nicht nur der berühmteste Fußballer in der Geschichte der Sowjetunion, sondern der berühmteste Sowjetathlet überhaupt. Denkmäler wurden ihm nicht nur im eigenen Land errichtet, wie in Moskau vor dem Stadion von Dynamo und dem Olympiastadion Luschniki, sondern beispielsweise auch in Rio de Janeiro.

      2014 tauchte Jaschins Name wieder auf den Sportseiten unserer Zeitungen auf. Der Grund hieß Manuel Neuer, dem Chancen ausgerechnet wurden, als nach Jaschin zweiter Torwart den Ballon d’Or zu gewinnen, um den nun allerdings Spieler aus der ganzen Welt konkurrierten. Seit 2009 durfte sich der Gewinner des Ballon d’Or Weltfußballer des Jahres nennen. Neuers Pech war es, dass auch Cristiano Ronaldo und Lionel Messi im Rennen waren, die die Konkurrenz seit 2009 dominierten. So wurde der frischgebackene Fußballweltmeister Neuer „nur“ Dritter.

      Einige fanden das ganz in Ordnung, weil doch nicht sein könne, dass ein Torhüter zum besten Fußballspieler der Welt gekürt wird. Schließlich sei ein Torhüter nur ein Torhüter und kein richtiger Fußballspieler. Bundestrainer Joachim Löw war anderer Meinung: „Ich glaube, dass Manuel für einen Wandel im Weltfußball steht. Er ist hinten der Erste, der das Spiel eröffnet und die anderen dirigiert. Das ist die Zukunft des Fußballs. Wir hatten mit ihm bei der WM einen elften Feldspieler. Er hat eine neue Dimension des Spiels geprägt.“

      Auch Lew Jaschin war als Torhüter seiner Zeit voraus. Für viele war er der erste moderne Torhüter und gewissermaßen ein Vorläufer von Edwin van der Sar und Manuel Neuer. In den 1950ern beschrieb ihn ein französischer Journalist als einen „entsklavten Torhüter“ und „Schlussmann ganz neuen Stils“, der aus dem engen Tor in den breiten Strafraum hinausgetreten sei. Kein Torhüter vor ihm habe sich so bemüht, „Aktions- und Raumfreiheit zu gewinnen“. Jaschin ließ sich nicht auf seiner Torlinie festnageln, sondern überraschte immer wieder durch weite Ausflüge aus seinem Kasten. Und kaum ein anderer Keeper seiner Generation beteiligte sich so intensiv und gekonnt am Spielaufbau seiner Mannschaft wie Jaschin.

      Lew Jaschin hat seine Auszeichnung als Torwart des 20. Jahrhunderts nicht mehr miterlebt. Jaschin war schon seit früher Jugend ein starker Raucher. Im März 1990 erlag er 60-jährig einem Krebsleiden. Zuvor waren ihm bereits beide Beine amputiert worden. In vielen Erzählungen ist Jaschin deshalb nicht nur der größte Torhüter aller Zeiten, sondern auch der größte Quarzer unter den Helden des Spiels. Kein Gespräch über Lew Jaschin, in dem es nicht auch um seinen Zigarettenkonsum und amputierte Beine geht.

      * * *

      Meine erste „Begegnung“ mit Lew Jaschin datiert aus dem Frühjahr 1966. Im Vorfeld der WM berichteten die Zeitungen über die möglichen Stars des Turniers. So auch über Lew Jaschin, den Torwart der Sowjetunion.

      Damals war ich in Sachen Fußball noch ziemlich unbeleckt. Die Kinder, die in den Bergarbeitersiedlungen meiner Heimatstadt aufwuchsen, hatten mir eine Menge Wissen voraus. Man raunte, dieser „Russe“ sei der beste Torhüter der Welt. Ein Phänomen, nahezu unbezwingbar. Er habe Arme wie eine Krake, mit denen er in jeden Winkel des Tores gelangen würde. Wie ein Panther würde er nach dem Ball hechten. Aber nicht nur das Tor, nein, der gesamte Strafraum sei sein Revier.

      Fortan wollte ich beim Straßenfußball nicht mehr nur Hans Tilkowski sein, damals die Nummer eins der deutschen Nationalmannschaft und meines Lieblingsklubs Borussia Dortmund, sondern auch Jaschin. Auch wenn dieser „ein Russe“ (und somit „Kommunist“) war.

      Wegen Jaschin zog ich mir im Tor (genauer: zwischen zwei Hügeln von zusammengefalteten und aufeinandergelegten Jacken oder zwei in den Boden gerammten Stöckern) Handschuhe an, denn dieser Keeper war einer der Ersten, die mit Handschuhen spielten. Meine waren wattierte Fäustlinge, eben meine Winterhandschuhe, die das Fangen des Balles fast unmöglich machten. Aber Hauptsache Handschuhe. Und immerhin ließ sich mit ihnen eine Spezialität Jaschins imitieren: das weite Wegfausten des Balles.

      * * *

      Meine Kindheit war stark vom Kalten Krieg geprägt. Ich erinnere mich noch heute an Mauerbau und Kuba-Krise. Wie meine Eltern mit besorgter Miene in unserem Wohnzimmer vor dem Radio saßen;