UdSSR die Türkei in Ankara mit 2:1.
Aber die Sbornaja kickte nicht nur gegen die offizielle Nationalmannschaft, sondern auch gegen Teams der türkischen Arbeitersportverbände. Die FIFA verdächtigte die UdSSR, den Ausbau ihrer 1921 gegründeten Roten Sportinternationale (RSI) zu betreiben und Arbeitersportorganisationen anderer Länder zum Austritt aus den neutralen Verbänden zu bewegen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, spielten die Sowjets nun nur noch gegen politisch befreundete Teams der internationalen Arbeitersportbewegung – so u. a. 1927 zweimal gegen Mannschaften des deutschen Arbeiter-Turn- und Sportbundes (ATSB). Zwischen 20.000 und 30.000 Zuschauer wollten jeweils in Leipzig und Hamburg die Sbornaja sehen. Beide Begegnungen, die als „Russenspiele“ in die Annalen eingingen, endeten mit klaren Siegen – 8:2 und 4:1 – für die Sowjets.
Fußball-Ballett
Ende der 1920er begann die kommunistische Partei ihre kritische bis ablehnende Haltung zum Sport und zum Fußball zu überdenken. Zu groß war die Begeisterung für das Spiel, das bis zu 70.000 Menschen in die Stadien lockte. Allerdings waren Stalin-Porträts am Eingang der Stadien Pflicht.
Vor allem Mannschaftsportarten wurden nun gefördert. „Es entstand ein gesellschaftliches Subsystem der Fußball-Ligen, Stadien, Pokale, Meisterschaften, der Paraden und Festzüge, der Beliebtheitswahlen und des Heldenkults. All dies sollte ein Gemeinschaftsgefühl des Sowjetmenschen erzeugen und dem Ausland demonstrieren, wie glücklich und sorgenfrei es sich ‚unter der Sonne der stalinistischen Verfassung‘ (so ein Slogan von 1936) leben ließ. Wichtige Fußballspiele wurden nun vorzugsweise auf politische Feiertage gelegt (1. Mai, Tag der Verfassung, Jahrestag der Oktoberrevolution). Auf diese Weise sollte die Öffentlichkeit mit der Regierung, der Partei und natürlich mit Stalin selbst versöhnt werden, mit dessen Porträt auch im Sport Kult getrieben wurde.“ (Jim Riordan)
Auch der Fußballer änderte sich: „Gegen Ende der 1920er hatten (…) viele ‚Gentlemen-Amateure‘, wie auch jene Ausländer (Briten, Franzosen, Deutsche usw.), die die Revolution überlebt und weiterhin Fußball gespielt hatten, ihre aktive Laufbahn beendet. Die neuen Spieler kamen fast durchweg aus der Industriearbeiterschaft.“ (Riordan)
Der Komponist und der Ball
Ein glühender Fan des Spiels war der Pianist und Komponist Dimitri Schostakowitsch, der aus einer bürgerlich-liberalen Familie stammte. Die Eltern engagierten sich für die Bewegung der Narodniki, die für die Befreiung der Bauern kämpfte. Die Bemühungen der Narodniki, den Bauern Schulbildung zu vermitteln, stieß auf den heftigen Widerstand der orthodoxen Kirche.
Dimitri Schostakowitsch ließ kaum ein Spiel seines Klubs Zenit St. Petersburg aus. Die Publizistin, Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Katja Petrowskaja, 2013 Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises, hat sich eingehender mit Schostakowitschs Fußballleidenschaft beschäftigt: „Es gibt eine Reihe von Fotos, wo Schostakowitsch am Fußballfeld sitzt. Er ist wie ein Kind, die Augen leuchten. Man hat wirklich das Gefühl, dass sich Schostakowitsch im Fußballstadion ausgetobt hat. Er fuhr buchstäblich zu fast allen Spielen. Nicht nur die in Leningrad stattfanden, sondern auch in Moskau. Ein paar Mal kam er nach Tblissi, um Spiele seiner Lieblingsmannschaft zu sehen.“ Als seine Frau mal auf Reisen war, nutzte er die Sturmfreiheit, um die Mannschaft von Zenit zum Abendessen einzuladen und mit einem Privatkonzert zu beehren.
1929 erhielt Schostakowitsch, der sein Leben lang die Rolle des führenden sowjetischen Komponisten spielte, den Auftrag, die Musik für ein Fußball-Ballett zu schreiben. Schostakowitsch-Biograf Krzysztof Meyer: „Man rechnete damit, dass Schostakowitsch an dem sportlichen Thema der Handlung Gefallen finden würde. Er war in der Tat über den prestigeträchtigen Auftrag sehr erfreut, aber das primitive und naive Libretto dämpfte seine Begeisterung. (…) Zunächst wehrte sich Schostakowitsch gegen ein solches Libretto, aber nachdem ihm Nikolai Smolitsch und Iwan Sollertinski gut zugeredet hatten, gab er nach und machte sich an die Arbeit.“ (Smolitsch war Regisseur, Sollertinski Wissenschaftler und Kulturpolitiker und als solcher maßgeblich am Aufbau eines sowjetischen Musiklebens beteiligt.) Das Stück spielt in einer nicht näher definierten Stadt Westeuropas, in der eine Industrieausstellung mit dem Namen „Das goldene Zeitalter“ – so auch der Titel des Balletts – stattfindet. Im Zentrum des Geschehens stehen zwei Fußballmannschaften – eine westliche (faschistische) und eine sowjetische (sozialistische). Für das Spiel der kapitalistischen Kicker wählte Schostakowitsch Musik und Tanz aus der westlichen Kultur (Foxtrott und Can-Can), der sozialistische Gegner spielte zu Klängen aus der slawischen. Das sowjetische Team gewinnt natürlich. Das Finale bildet ein Solidaritätstanz der sowjetischen Sportler mit westlichen Arbeitern.*
Das Spiel wurde zunehmend ideologisiert. Sowjetunion-Experte Thomas Heidbrink schreibt: „Spätestens mit Beginn der 1930er Jahre versuchte die sowjetische Regierung, die Prinzipien des Sozialismus auch im Fußballsport umzusetzen. Besonders mit Hilfe des Kollektivismus sollte ein Spielsystem entwickelt werden, das genauso gut beziehungsweise besser sein sollte als das der westlichen Teams aus den kapitalistischen Ländern.“ Aufgrund der Isolation und Selbstisolation der UdSSR gestaltete sich dies aber schwierig.
1934 reiste eine Stadtauswahl Moskaus auf Einladung der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei nach Prag, um gegen Teams der Roten Sportinternationale anzutreten. Die Sowjets liebäugelten auch mit einem Spiel gegen eines der Prager Profiteams, Slavia oder Sparta, und besaßen hierfür die Zusage des tschechoslowakischen Verbands. Doch nach sechs hohen Siegen der Moskauer Stadtauswahl gegen Gewerkschaftsteams zog der Verband mit der Begründung zurück, die UdSSR sei kein Mitglied der FIFA. Offensichtlich fürchtete man die Stärke der Fußballer aus Moskau, denn die FIFA hatte dem Verband für diese Begegnung eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Die Stadtauswahl spielte nun stattdessen in Brünn, wo sie im ersten Spiel einer sowjetischen Mannschaft gegen ein (tschechoslowakisches) Profiteam mit 3:2 die Oberhand behielt.
Spartak und Dynamo
1922 gründete Nikolai Starostin den Moskowski kruschok sporta Krasnopresnenskowo rajona, kurz MKS. Das Team wurde nach einem Arbeiterviertel benannt. Starostin war in der Zwischenkriegszeit einer der besten Fußballer in der Sowjetunion und hatte u. a. bei den „Russenspielen“ in Leipzig und Hamburg mitgewirkt. Im folgenden Jahr, am 18. April 1923, wurde Dynamo Moskau aus der Taufe gehoben, wo später Lew Jaschin seine komplette Spielerkarriere verbrachte. Die Keimzelle des Klubs war eine 1894 entstandene Mannschaft der Morosow-Textilfabrik. Deren englischer Generaldirektor Harry Charnock stammte aus Blackburn, einem weltweiten Zentrum der Baumwollspinnerei. Charnock sah im Fußball eine Möglichkeit, seine Arbeiter vom Wodkatrinken abzuhalten. Der fußballverrückte Engländer war ein Fan seines Heimatvereins Blackburn Rovers. Von den Rovers übernahm das Team die Farben Blau und Weiß, die auch die Farben Dynamos wurden.
Dynamos Gründung erfolgte auf Geheiß von Felix Edmundowitsch Dserschinski, dem Chef der Tscheka, der ersten Geheimpolizei Sowjetrusslands. Dynamo war keine Fabrik- oder Stadtteilmannschaft, sondern eine Gründung „von oben“. Die Geheimpolizei übernahm auch die Schirmherrschaft über den Klub. (Später ging diese auf das Innenministerium über.) Dynamo Moskau war Teil einer landesweiten Dynamo-Sportorganisation, die sich nicht nur dem Fußball widmete und dazu gedacht war, die physische Gesundheit der nationalen Ordnungskräfte zu stärken. Dynamo-Klubs gab es deshalb auch andernorts. „Bis zum Ende des Jahrzehnts sollte Dynamo der am besten ausgestattete Sportverein der Sowjetunion werden, und seine Unterstützung durch den Staatshaushalt war substanzieller als für jede andere sportliche Vereinigung.“ (Robert Edelmann) Die Verbindung Dynamos mit den Sicherheitsbehörden des Landes blieb über die gesamte Lebensdauer der Sowjetunion erhalten.*
1928 wurde nordöstlich der Innenstadt, am Leningradski Prospekt, einer der Hauptverkehrsadern Moskaus, das Dynamo-Stadion eröffnet. Anlass war die von der RSI veranstaltete internationale Spartakiade, ein Konkurrenzprojekt sowohl zu den „bürgerlichen“ Olympischen Spielen wie zu den Arbeiterolympiaden der sozialdemokratischen Luzerner Sportinternationalen (LSI). Das größte Interesse mobilisierte der Fußballwettbewerb der Spartakiade, der sowohl eine Endrunde um die sowjetische Meisterschaft als auch ein internationales Turnier war. Die neue Arena trug dazu bei, dass sich der Fußball in Moskau