Patricia Vandenberg

Familie Dr. Norden Box 1 – Arztroman


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»Werden nicht immer wieder bittere Erinnerungen kommen, wenn Patrick heranwächst und sie an seinen Vater erinnert?«

      »Warum sollte er das? Er hat doch jetzt schon keine Erinnerung an ihn. Nun kann sie guten Gewissens und ohne zu lügen sagen, daß er tot ist. Sie kann ihm von seinem Großvater erzählen, der ein großherziger, vom Schicksal geschlagener Mann war und den Glauben an das Gute nicht verlieren wollte, wie Maxi auch. Es liegt in ihrer Hand, ihren Sohn in dem Glauben zu erziehen, daß er zwei große Vorbilder in seinen beiden Großvätern hat. Ich denke, daß Maxi aus ihren Erfahrungen gelernt hat. Vielleicht begegnet ihr eines Tages auch ein Mann, vor dem sie wieder Achtung haben kann, der ihr ein verständnisvoller Freund werden könnte. Sie ist noch so jung, und das, was sie erlebt hat, ließ sie reifen. Wenn sie vor der Ehe schon Erfahrungen gesammelt hätte, wäre sicher alles anders gekommen.«

      »Ich weiß aber nicht, ob es so gut ist, negative Erfahrungen vor der Ehe zu sammeln. Es kommt immer auf die Menschen selbst an. Man soll Kinder nicht zu sehr behüten und abschirmen. Sie sollten beizeiten lernen, daß sie mit den unterschiedlichsten Menschen auskommen und auch abschätzen müssen, wie man Gefahren erkennt.«

      »Ich meine, daß die Schulen schon ein breites Feld dafür bieten, daß Geld und Designer-Kleidung kein Freibrief und ganz gewiß keine Empfehlung sind. Das haben unsere Kinder ja hoffentlich schon begriffen, wenn sie manches auch sehr gern haben würden.«

      »Zum Beispiel ein Cabrio am achtzehnten Geburtstag«, sagte Fee mit leisem Lachen. »Felix hat wenigstens schon eingesehen, daß er nicht das teuerste Fahrrad bekommen wird. Man darf jetzt nämlich auch handeln.«

      »Du wirst doch nicht handeln?« staunte Daniel.

      »Warum denn nicht, es ist sowieso alles viel teurer geworden, seit wir den Euro haben. Da können sie uns sonst was erzählen, ich vergleiche die Preise, und andere tun es auch. Sag nur, daß das nicht in Ordnung sei.«

      »Es ist in Ordnung. Merkst du, daß wir uns jetzt auch wieder ganz normal unterhalten können, daß nicht immer dieser schwarze Schatten namens Gambill uns beunruhigt?«

      »Er wird in der Hölle schmoren. Er ist so unwürdig gestorben, wie er gelebt hat. Wie viele Menschen mögen sich hinter einer Maske verbergen und manchmal gar nicht zu durchschauen sein?«

      »Es ist wie mit manchen Krankheiten, mein Liebes. Es gibt irreführende Symptome, und dahinter verbirgt sich etwas ganz anderes. Morgen früh müssen wir gleich Anne anrufen, damit Maxi einen neuen Lebensabschnitt beginnen kann.«

      »Hätten wir das nicht gleich tun sollen?«

      »Auf der Insel schlafen sie doch längst«, meinte er lächelnd. »Nächtliche Anrufe bedeuten meistens nichts Gutes. Außerdem hat schon der neue Tag begonnen. Es ist gut, daß wir ausschlafen können.«

      Fee gab ihm einen zärtlichen Kuß. »Wir werden den Tag genießen, mein Liebster.«

      Es sollte ein strahlender Tag werden. Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel herab, und die Luft war mild und voller Blütenduft.

      Fee war früh auf den Beinen, obgleich sie hätte ausschlafen können, weil die Kinder nicht zur Schule brauchten. Aber sie konnte die Neuigkeiten nicht schnell genug weitergeben.

      Lenni schickte gleich ein Dankgebet zum Himmel, Anne stieß am Telefon einen erleichterten Seufzer aus, und wenig später konnte Fee auch Jenny Behnischs Erleichterung durchs Telefon deutlich hören.

      Daß eine Todesnachricht Erleichterung und Dankbarkeit verbreiten konnte, mochte selten genug der Fall sein, aber Ray Gambill würde keine Lücke hinterlassen. Der Himmel meinte es gut mit denen, die durch ihn gelitten hatten, denn ihnen wurde viel erspart.

      Anne hatte Maxie einen Strauß noch nicht ganz erblühter Pfingstrosen auf den Frühstückstisch gestellt. Sie setzte aber keine triumphierende Miene auf, sondern brachte es Maxi schonend bei, da sie sehr gut wußte, in welchem Zwiespalt sich die junge Mutter noch immer befunden hatte.

      »Er ist tot?« wiederholte Maxi ungläubig.

      »Die genauen Umstände kenne ich auch noch nicht, aber es war ein Unfall bei einer Rauferei.«

      Maxis Gesicht versteinerte. »Auf Raufereien hat er sich auch eingelassen – mein Gott – habe ich diesen Mann überhaupt gekannt? Er hat doch eine erstklassige Erziehung genossen, Anne.«

      »Was aber nicht besagt, daß dies auch von Erfolg gekrönt wird.«

      Maxi nickte. »Aber ich kann Patrick jetzt sagen, daß sein Vater tot ist«, flüsterte sie. »Aber wie soll ich es ihm sagen?«

      »Sie werden die richtigen Worte finden.«

      Patrick kam mit Dr. Cornelius vom Schwimmen zurück. Er erzählte stolz, daß er die Bahn dreimal hin und zurück geschafft hätte. »Und nun habe ich mächtigen Hunger, Mami.«

      »Es ist genug da«, lachte Anne.

      Er setzte sich und bewunderte die Blumen. »Gibt es was Besonderes heute?« fragte er.

      »Es ist ein wunderschöner Tag«, erwiderte Maxi.

      »Eigentlich ist doch jeder Tag schön, seit wir hier sind«, meinte er. »Wir müssen doch nicht schon wieder weg?«

      »Ich müßte eigentlich Muni besuchen«, erklärte Maxi beiläufig.

      Sein Gesichtchen überschattete sich. »Kann ich nicht hierbleiben, und du kommst dann mit Muni?« sagte er bittend.

      »Du würdest allein hierbleiben?« fragte sie stockend.

      »Ich bin doch nicht allein, Mami. Ich bin bei Anne und dem Doc Hannes.«

      »Und er könnte bei uns schlafen im Gästezimmer«, sagte Anne sofort.

      »Ich werde erst mit Dr. Behnisch telefonieren«, erklärte Maxi. »Erst sehen, wie es Muni geht, und ob sie es schon weiß.«

      »Was soll Muni wissen?« fragte Patrick, der immer hellwach war.

      »Darüber wollte ich jetzt auch mit dir sprechen, wenn du satt bist.«

      »Jetzt bin ich satt. Schau mal, wieviel ich gegessen habe, und ich kann meine Brötchen ganz allein schmieren.«

      Darüber konnte Maxi auch nur staunen und auch, wieviel er essen konnte. Er hatte sich schon sehr entwickelt in den zwei Wochen. Jetzt wurde ihr erst bewußt, wie schnell die Zeit vergangen war. Was war da schon wieder passiert! Sie erfuhr von Jenny Behnisch, daß Monika noch sehr schwach sei und sie es ihr langsam beibringen wollten, wie Gambill umgekommen war. Das erfuhr jetzt Maxi auch genauer, und ein Frösteln kroch durch ihren Körper.

      »Dr. Werling ist ein sehr einfühlsamer Arzt, er wird Ihre Mutter ganz diplomatisch unterrichten«, erklärte Jenny. »Wir sind uns einig geworden, daß sie erst schildern soll, was geschehen ist, wenn sie dazu Kraft hat. Das muß sie loswerden, der Meinung ist Dr. Norden auch, und Dr. Werling versteht es wirklich sehr gut, mit ihr umzugehen.«

      »Er ist mir nicht bekannt. Er ist doch hoffentlich kein so gutaussehender Typ, darauf fällt Muni leider schnell herein.«

      »Er ist das Gegenteil. Er hat ein schweres Schicksal. Sie werden ihn kennenlernen, aber kommen Sie erst nächste Woche. Wir telefonieren vorher noch. Wie geht es Patrick?«

      »Sehr gut, er will gar nicht von hier weg. Ich soll Muni holen, er will inzwischen hierbleiben. Es ist auch alles wunderschön und so harmonisch.«

      »Dann genießen Sie es noch, Maxi, wir passen schon auf Ihre Muni auf. Wegen Dr. Werling brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, er ist ein sehr kluger, tüchtiger Arzt und charaktervoller Mann.«

      Maxi gab sich damit zufrieden und sprach mit Anne über diesen neuen Arzt.

      »Ich kenne ihn auch nicht persönlich, aber ich weiß von Fee, daß er seine Frau und seine Tochter bei einem schweren Autounfall verloren hat, den er als einziger überlebte. Er lag lange im Koma und mußte fast Jahre therapiert werden. Es ist jetzt wieder seine erste Anstellung, aber er paßt in die Behnisch-Klinik. Jenny hat viel Verständnis für