Paul Keller

Die fünf Waldstädte


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gewissen Liebe und Achtung von dem Igel, dem allein dieses fröhliche Fest zu verdanken war.

      Eichenhofen.

      Der grosse Baum, der Eichenhofen seinen Namen gab, war so schön und gewaltig, dass mein Freund Heinrich behauptete, das sei dieselbe Eiche, die Bonifacius einst bei den alten Hessen umgehauen habe. Ich glaubte dies eine Zeitlang, dann aber kam mir der Gedanke, unsere Eiche werde vielleicht doch nur der Sohn von jener berühmten Donarseiche sein. „Nein,“ sagte Heinrich, „Sohn ist viel zu jung; wenn sie es nicht selbst ist, dann ist sie ihr Vater!“

      Dabei blieb es, und das war nun historisch.

      Eine grimmige Feindschaft hegten wir gegen vier Waldarbeiter, die einst, um uns zu verspotten, sich die Hände reichten und einen gemütlichen Tanz um unsere Eiche ausführten, wo wir doch bestimmt festgestellt hatten, dass der Baum von sieben Männern nicht zu umspannen sei. Wir setzten uns über das höchst ärgerliche Vorkommnis nur dadurch hinweg, dass wir uns sagten, die Arbeiter seien betrunken gewesen und darum „gelte“ ihr Tanz nicht.

      Eichenhofen war rings von Brombeer- und Himbeerhecken eingefasst; auch viele wilde Rosen blühten an seinen Grenzen. Da dachten wir oft an Dornröschens Schloss, und jeder brach gern und kühn durch die Dornenhecke, zumal zur Spätsommerzeit, wenn die Beeren reiften. —

      Die „Traumstadt“ nannten wir Eichenhofen auch manchmal. Da gab es einen Moosplatz, auf dem die Käferlein stolzierten und eitel ihre funkelnden Röcke zeigten, eine Rosenstrasse, wo unter lauter lieblichen Heckenröslein sich das Volk der hastenden Bienen und der sammetröckigen, vornehmen Hummeln tummelte, eine Hirschstrasse, die tief ins Dunkel des Waldes ging und auf der wir einmal zu seinem und unserem Schrecken dem König des Waldes begegneten.

      In Eichenhofen ersann ich mein erstes Märlein, dort klangen die ersten Verse in meiner Seele. Ich erfand eine Geschichte von dem Brünnlein, dessen Wasser im Mondschein zu goldgelbem Wein wird, von dem die Gnomen ihr Schöpplein trinken, und wenn Heinrich und ich fortan aus dem Brünnlein tranken, sahen wir uns oft an und sagten: es schmeckt wirklich wie Wein. Ich konnte das um so eher sagen, als ich damals noch nie einen richtigen Tropfen Wein getrunken hatte.

      Einmal, als ich ein Gedicht gemacht hatte, das ich Heinrichs Mutter, unserer „Fee“, vorlas, küsste sie mich auf die Stirn, flocht einen Eichenkranz, setzte ihn mir auf den Kopf und sagte: „Gott segne dich!“ Da war es wirklich, als ob ein tiefer Segenstrom von dem grünen Kranz aus durch meine Seele ränne; ich stand ganz still da und ging dann bald nach Hause. Dort hängte ich das Kränzlein über mein Bett, rund um das kleine Kreuz herum, das dort war, und wenn ich fortan mein Abendgebet sprach und den Kranz sah, betete ich immer einen Satz mit: „Lieber Gott, lass mich ein Dichter werden.“ Ich sprach aber die Worte nie aus, ich dachte sie nur; ich schämte mich, sie zu sprechen.

      Heinrich war mein treuer Freund. Er neidete mir meinen Kranz nicht; aber er sehnte sich danach, auch einen zu erhalten. Er bekam ihn erst, als er sich ihn verdient hatte. Ehrlich verdient! Er hatte ein kleines Mädchen mit Gefahr seines eigenen Lebens aus dem Wasser gezogen. Damals hatte die Fee wohl ihren glücklichsten Tag, als sie ihrem Jungen den Eichenkranz flocht. —

      Sonst war es mit unserer Tapferkeit nicht übermässig gut bestellt; ja, es gab Fälle, wo wir eine traurige Rolle spielten.

      Einmal machten wir einen schauerlichen Fund. Wir entdeckten im Dorngestrüpp die Leiche eines Eichkätzchens. Erschüttert betrachteten wir das herrliche Tier, seufzten laut und lange und zergrübelten uns die Köpfe, was seinem jungen, lustigen Leben ein so jähes Ende bereitet haben könne.

      „Vielleicht hat es der Marder gefressen,“ sagte Heinrich tiefsinnig.

      „Oder eine Eule hat es fortgeschleppt,“ meinte ich bedächtig.

      Darauf war eine Pause. Plötzlich machte ich ein spöttisches Gesicht und sagte: „Wie kann es dein Marder gefressen haben, wenn es doch noch hier liegt?“ Worauf sich Heinrich höhnisch an die Stirn tippte und sprach: „Kann es wohl deine Eule weggetragen haben, wenn es noch hier liegt?“

      So machten wir uns gegenseitig unsere Überlegenheit klar, und einer ärgerte sich über die Dummheit des anderen. Endlich glaubte ich es zu haben: „Es ist jedenfalls fehlgetreten, heruntergestürzt und hat den Hals gebrochen.“

      „Nein,“ sagte Heinrich, „der Hals ist noch ganz. Es hat gewiss einen giftigen Pilz gefressen.“

      Da schrie ich: „Nein, siehst du, es ist totgeschossen!“

      Das Eichkätzchen war wirklich erschossen; wir sahen nun deutlich die Schusswunde.

      Heinrich erbleichte.

      „Das ist ein Wilddieb gewesen,“ sagte er.

      Ich sah ihn an, nickte mit dem Kopfe und rannte ohne weiteres davon. Und er rannte hinterher. Wir rannten so lange, bis wir in der Nähe von Feldarbeitern waren, und blieben dann mutig stehen.

      „Wir müssen den Mörder fangen,“ sagte Heinrich ganz laut.

      „Ja, wir müssen ihn fangen,“ rief ich und ballte die Faust. Darauf beschlossen wir, zum Förster zu gehen und ihm die verbrecherische Tat zu melden. Wir rieten, wo der Förster zu dieser Stunde sein könne, und fanden die grösste Wahrscheinlichkeit schliesslich darin, dass er in der Schenke sei. Und so war es auch. Er hörte unseren fast atemlosen Bericht an und machte ein bitterernstes Gesicht.

      „Der Wilddieb muss augenblicklich gefangen werden,“ meinte er zornig, spielte mit zwei anderen Männern noch eine halbe Stunde lang Karten und ging dann mit uns.

      Ganz in der Nähe hatte Heinrich seine Vogelflinte und ich meine Armbrust aufbewahrt. Diese Waffen holten wir, nahmen sie schussbereit unter den Arm und folgten dem Förster, der sagte, nun sei ihm vor dem Wilddieb weiter nicht bange.

      Ich für meinen Teil gestehe, dass ich diese lobende Anerkennung meiner Männlichkeit und Tapferkeit nur mit gemischten Gefühlen aufnahm. Eine Armbrust einem mörderischen Wilddieb gegenüber ist immer so eine eigene Sache. Man muss aufs Auge oder vielleicht auch auf die Schläfe zielen, wenn man einen Erfolg haben will. Aber ich war nun einmal eine Person, auf die sich der Förster in seinem schweren Beruf verliess, und so wollte ich in der Stunde der Gefahr nicht kneifen.

      Wir durchsuchten den ganzen Busch. Ein paarmal entdeckten wir Fussspuren, den Wilddieb aber fanden wir nicht. Von Minute zu Minute wuchs unser Mut, und in grosser Tollkühnheit riefen wir laut, er solle nur zum Vorschein kommen, der elende, feige Kerl. Er kam nicht, und schliesslich sagte der Förster: „Wahrscheinlich ist der Wilddieb mal auf einen Augenblick weggegangen. So’n Mann hat ja auch mal was anderes vor.“

      Das bedauerten wir sehr, und wir verachteten den Wilddieb, der nicht auf seinem Posten geblieben war. Der Förster machte den Vorschlag, wir könnten ja unterdes das Eichhorn beerdigen. Darauf gingen wir mit Freuden ein. Das tote Tierchen wurde in eine Erdgrube gelegt, und wir drei standen mit feierlichen Angesichtern an seinem Grabe. Der Förster befahl mir, mit meiner Armbrust den Trauersalut zu schiessen. Darauf schoss ich meinen Rohrpfeil über das Grab hinweg, und der Förster machte mit seinem Munde „Plaff!“ dazu. Das veranlasste mich, ihn scharf anzusehen, ob er die ganze Sache auch ernst nehme.

      Er nahm sie aber sehr ernst. Mit geradezu verbissenem Gesicht stand er da, und mit dumpfer Stimme sprach er:

      „Heinrich, halte eine Leichenrede! Aber vergiss das ‚Amen!’ nicht.“ Heinrich und ich waren beide ausgezeichnete Redner. So war es kein Wunder, dass Heinrich, ohne sich’s erst lange zu überlegen, folgende schöne Rede hielt:

      „Liebes Eichhörnchen, du bist leider tot. Von wegen eines Schuftes! Er hat jetzt gerade etwas anderes zu tun, sonst täten wir ihn erschiessen. Liebes Eichhörnchen, du warst das schönste Tier auf der ganzen Welt. Du hast so niedliche Pfoten. Jedes Jahr zu Weihnachten werde ich dir drei grosse, vergoldete Nüsse in dein Grab stecken. Amen.“

      Der Förster drückte die Augen zu, dann wies er auf mich.

      „Jetzt halte du eine Leichenrede!“

      Ich