Paul Keller

Die fünf Waldstädte


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und brennend rote Regenschirm der alten Frau, der die Verwunderung der ganzen Gemeinde bildete, wenn die Alte noch einmal zur Kirche gehumpelt kam.

      „Gnädige Frau — gnädige Frau —“ stammelte der Förster.

      Er sah greulich aus. Der weite blumige Rock war ihm viel zu kurz, so dass seine groben Stiefel zum Vorschein kamen, das altmodische Leibchen war ihm viel zu schmal, so dass man seine Weste sah, und die alte Schleifenhaube sass ihm ganz windschief auf seinem struppigen Kopf. Den roten Schirm hatte er nun zugeklappt und quetschte ihn wie ein brennendes dickes Gebund in höchster Verlegenheit unter den Arm.

      Die Fee blickte halb streng und halb lächelnd auf den sonderbaren Geist und sagte:

      „Schämen Sie sich denn nicht, Förster, solche Faxen zu machen? Denken Sie nicht daran, was den Kindern vor Schreck passieren kann?“

      Die Pilzbäuerin raffte in tödlicher Scham an ihrem Kleid herum.

      „Gnädige Frau, weil halt — weil halt die beiden solche Schlingel sind.“

      „Es gibt viele Schlingel auf der Welt, grosse und kleine,“ sagte die Fee.

      Der Förster kraute sich die Schleifenhaube.

      „Nun werd’ ich wohl gar meine Stellung verlieren,“ sagte der trostlose Hüter des Waldes. Die Fee lächelte milde.

      „Etwas werden Sie schon verlieren: Sie werden den Jungen zur Strafe Ihre Dohle schenken!“

      „Können sie kriegen, können sie kriegen!“ schrie da das Zauberweib voll Entzücken und haschte nach der Hand der guten Fee, die sich abwenden musste, weil es wohl mit ihrer Fassung vorbei war.

      „Gnädige Frau,“ sagte der Förster, „wenn es erlaubt ist, möcht’ ich mich aus dieser sehr fatalen Begebenheit empfehlen.“

      „Gehen Sie nur, gehen Sie nur!“ sagte sie und blieb immer mit dem Gesicht abgewandt.

      Da machte er eine Verneigung, wobei ihm der geblümte Rock bis über die Kniekehlen emporrutschte, und dann ging er davon. Als er an den Bach kam, wollte er, wie er’s gewöhnt war, hinüberspringen; aber die Feiertagszier seiner Grossmutter wickelte sich um seine Beine und er plumpste dicht am Rande in die Flut. Das war für uns Kinder der glänzendste Spass. Gleich darauf pudelte er sich ans Ufer und jagte in fliegendem Gewande und mit flatternden Haubenschleifen davon. —

      Die Dohle haben wir bekommen; da sie aber tagaus, tagein nichts anderes zu erzählen wusste als: „Beatrice! Beatrice!“, wurde sie uns langweilig.

      Heinrichsburg.

      Die Stadt lag auf einer Insel, die ringsum von dem Wasser eines Stromes umgeben war. Wenn ein starker Regen fiel, wurde dieser Strom so tief, dass wir uns die Hosen aufstreifen mussten, um ihn durchwaten zu können. In trockenen Zeitläuften blies der Wind den Staub vom Flussgrunde bis in unsere Stadt. Wir warfen uns dann platt auf die Erde und redeten vom Samum.

      Die Insel war mehrere Steinwürfe lang und fast eben so breit. Ihr Gebiet umfasste die Hohkönigsburg, die Stadt selbst, das Felsengebirge, einen Kriegs- und einen Handelshafen, ein Jagdschloss, eine Meierei und eine Hundehütte. In der Stadt gab es ein Rathaus, eine katholische, evangelische, jüdische und heidnische Kirche, ein Museum, ein Hotel, sehr viele Geschäfts- und Wohnhäuser und einen Reichstag.

      Die grössten Gebäude waren die Hohkönigsburg, das Hotel und die Hundehütte. Die Burg war im 19. Jahrhundert vom Zimmermann Schadel erbaut, und der Bau hatte über 70 Mark verschlungen. Dafür war er aber auch prächtig und stattlich. Die Burg umfasst nur den Thronsaal; für mindere Räume war kein Platz. Eine stolze Fahne wehte vom Dache, und an der Pforte zeigten zwei angeklebte Bilder grimmiger Löwen, von denen der eine ein Tiger war, dass hier im Schloss Macht und Grösse wohne und jeder ein Kind des Todes sei, der sich den hier herrschenden Gewalten widersetze. Bei Regenwetter wurden sämtliche Hauptteile der Stadt mit Wachsleinwand überdeckt.

      Das Hotel hatte früher dem Pächter einer Kirschenallee gehört, der darin sein Wächteramt ausgeübt hatte. Kinder unter vier Jahren konnten erhobenen Hauptes durch seine Pforten schreiten, und auch wir brauchten uns nicht sonderlich zu bücken, wenn wir eintraten. Es hiess „Hotel Bristol“ und trug an seiner Front viele Schilder, als: „Zivile Preise“, „Warme und kalte Speisen zu jeder Jahreszeit“, „Eintritt verboten!“ und was etwa sonst noch an ein gutes Hotel an Anschlägen gehört.

      Der einzige ständig bewohnte Raum von Heinrichsburg war die Hundehütte. Hier hauste Pluto, der Wachhund. Er war von strengem Charakter, aber gutem Appetit, deswegen geriet er in Verlegenheit, wenn ihm einer, den er eigentlich bekämpfen sollte, einen Knochen anbot. Auf diese Weise hat Pluto es leider nicht verhütet, dass uns eines Nachts das Hotel gestohlen wurde. Er stand am Morgen nach der Unglücksnacht mit albernem Gesicht auf der leeren Baustelle, wedelte verlegen mit dem Schwanze und bellte nach dem Ufer hin, wie einer bellt, der kein gutes Gewissen hat. Den Bestechungsknochen hatte er an einer leicht kenntlichen Stelle verscharrt.

      Bei der letzten Volkszählung in Heinrichsburg wurde Plutos Flohbestand in Fell und Hütte auf zusammen 250 Stück lebend angegeben. Natürlich nur schätzungsweise, wie es bei wilden Stämmen immer geschieht. All dieses Kleinvolk hielt Pluto in guter Zucht; Übergriffe ahndete er mit scharfer Kralle.

      Pluto war sehr vielseitig von Beruf: des Nachts musste er wachen, am Tage zog er als prächtig aufgeschirrtes Ross den Triumphwagen des Königs, Sonntags trat er in der Stierkampfarena mit grimmem Mute als Bulle auf, und oft spielte er im Felsengebirge den Drachen oder fing in der Stadt Mäuse, welche sehr lästig waren, weil sie uns bereits die Rathaustreppe und einen Nachtwächter aufgefressen hatten. Nur als Delphin hatte Pluto kein Talent; denn allemal, wenn wir auf seinem Rücken durch die Fluten des Stromes ziehen wollten, warf er uns ab, sprang ans Ufer und schüttelte sein Fell, was kein Delphin tun darf.

      Das Felsengebirge war ein Steilgebirge von durchaus alpinem Charakter. Seine grösste Erhebung, die Adlerkoppe, hatte eine relative Höhe von 2500 Zentimetern; sie war im Winter mit „ewigem Schnee“ bedeckt und fiel steil zum Flusse ab, von dessen Seite her sie nur von den geübtesten Bergsteigern mit Nagelschuhen, Eispickel und nach vorangegangener Anseilung zu erreichen war. Ein prächtiger Aussichtsturm von 30 Zentimeter Höhe krönte ihren stolzen Gipfel, und wer sich auf die Erde legte und über diesen Aussichtsturm hinweg in die Ferne sah, genoss die herrlichsten Landschaftsbilder. Dicht unter ihm das wildzerklüftete Gebirge, an dessen Fuss der Strom mit seinen weissen Segelbooten und seinem Spiritusdampfer brandete, dann die Stadt, die „wie eine Spielzeugschachtel“ ausgebreitet lag, die trotzige Hohkönigsburg, die dunkel aufragende Hundehütte, der weite Wald und das grüne Wiesenland bis weit hinaus an den Horizont in das Gebiet von Geistergrund und Ameisenfeld.

      Wie ich inzwischen auch herumgekommen bin in fremden Landen und Erdteilen: die Aussicht von der Adlerkoppe bei Heinrichsburg ist die einzige, die ich in dem Reisebuch meines Lebens mit drei Sternen bezeichnen mag.

      Der Abstieg von der Adlerkoppe nach der Stadt bot nur mässige Schwierigkeiten und war ohne Lebensgefahr zu bewerkstelligen. Er führte an einer grünen Alm vorüber, auf der eine Herde buntgescheckter Kühe weidete und ein Hirtenbub vor seinem Alpenhäuslein sass und lieblich auf einer Schalmei spielte. Nur eine drohende Kuppe ragte noch auf. Dort legte ein kühner Alpenjäger eben auf eine Gemse an. Wenn man sich die hohlen Hände als Fernglas vor die Augen hielt, konnte man die aufregende Szene so oft beobachten, wie man vorbeikam.

      Etwa in halber Höhe des Gebirges war der „Gebirgsbahnhof“ angelegt. Er hatte einen sehr schmuck eingerichteten Wartesaal, eine Wegeschranke und eine Telegraphenstange ohne Draht. Der Zug bestand aus einer Lokomotive und drei allerliebsten Aussichtswagen. Die Passagiere waren immer dieselben: ein Engländer, ein Professor mit einer Botanisiertrommel und eine Köchin mit einem Korb am Arm, die jedenfalls auf der Höhe nach Suppengemüse gesucht hatte. Wenn nun auch der Zug nicht übermässig besetzt war, so war es doch herrlich anzusehen, wenn er in die Tiefe fuhr. Er machte die kühnsten Kurven, setzte über Viadukte, die über schauerliche Abgründe gespannt waren, raste durch pechdunkle Tunnel, durchbrauste die Ebene und fuhr endlich donnernd in