Robert Heymann

Die Hölle um Maria Giotti


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sprach für sie. Wenn sie den Quälereien ein Ende setzte — er konnte sie nicht tadeln.

      Plötzlich erklärte die Gräfin, sie reise nach Rimini. Allein. Für zwei Tage. Die Kinder blieben unter Adeles Obhut.

      Pichi war verwirrt. Er wagte einzuwenden: „Wenn der Herr Graf zurückkehrt, die Frau Gräfin nicht vorfindet —“

      „Mein Mann ist in Bologna, Pichi! Ich bin rechtzeitig wieder dal“

      Er wagte nicht, weitere Fragen zu stellen.

      Frieda erzählte ihm, die Gräfin hätte eine Depesche erhalten und sie sofort verbrannt.

      Die Gräfin reiste fort, blieb zwei Tage aus, kam zurück. Sie schien verjüngt, war frisch, bester Laune, scherzte den ganzen Tag mit den Kindern. Inzwischen waren fünf Tage seit der Abreise des Grafen Martini verflossen, ohne daß er Nachricht gegeben hätte.

      „Ist das Schweigen des Herrn Grafen nicht auffallend?“ fragte Pichi die Gräfin. „Ich sollte doch noch verschiedene Dispositionen von dem gnädigen Herrn erhalten! Das ist noch nie vorgekommen, daß der Herr Graf so lange nichts von sich hören ließ!“

      „Warten wir“, antwortete Maria gleichmütig, fast heiter.

      Pichi verstand das nicht.

      Wußte sie denn etwas? Was wußte sie? Die Bemerkung Friedas fiel ihm ein, die in wenigen Tagen das Haus verlassen sollte. Aber ebenso schnell strich er die abscheulichen Worte dieser Intrigantin aus der Erinnerung.

      Doch am nächsten Tage konnte er seine Unruhe nicht mehr meistern.

      Es war der 1. September, am 23. August war der Graf abgereist. Pichi telephonierte nach der Wohnung in Bologna. Aber das Gespräch konnte nicht zustande kommen. In der Wohnung antwortete niemand. Die Unruhe des Kammerdieners wuchs.

      Warum reist die Gräfin nicht? dachte er. Sie wollte fliehen — der Graf müßte längst zurück sein — worauf wartet sie?

      „Der Herr Graf wollte doch von Bologna aus noch nach Carvarzere reisen“, erklärte ihm die Gräfin. „Kann er sich nicht verspätet haben?“

      Aber ganz plötzlich überfiel Bestürzung auch die Gräfin Maria.

      Ist sie über Nacht zur Besinnung gekommen? dachte Pichi.

      Wie dem auch war: Sie befahl, nach allen Seiten, an alle Freunde Depeschen zu senden. Pichi rannte aufgeregt zur Post. Noch zweimal versuchte er, mit der Wohnung in Bologna telephonisch zu sprechen. Schließlich alarmierte die Gräfin die Polizeibehörde von Bologna.

      *

      Inzwischen war Marias Mutter in Venedig eingetroffen.

      „Was soll das alles bedeuten?“ fragte sie. „Du depeschierst, du willst fliehen, erst zu uns, dann in die Schweiz, und jetzt kehrt dein Gatte nicht zurück zu dir, und du bist noch hier? Francesco ist doch in Bologna eingetroffen, die Bonetti, die ich auf der Straße getroffen habe, hat telephonisch mit ihm gesprochen!“

      Frau Professor Giotti war noch viel unruhiger als ihre Tochter. Sie war immer noch eine schöne, mädchenhafte Erscheinung, eine Eigenart, die Maria von ihr geerbt hatte. Trotzdem — wie verschieden waren diese beiden Frauen! Die Mutter düster, melancholisch, den meist abwesenden Blick mit schmerzlichem Ausdruck ins Leere gerichtet, als lese sie im Buche des Schicksals.

      Sie ist nervös und reizbar. Seitdem sie eines ihrer Kinder in sehr jugendlichem Alter unerwartet verloren hat, neigt sie dazu, den kleinsten Begebenheiten die schlimmste Bedeutung beizumessen.

      Anders Maria! Trotz der unglücklichen Ehe, die sie bisher geführt hat, ist sie heiter, schwärmerisch. Obgleich von zarter Gesundheit, ist sie keinen Launen unterworfen, allem Schönen zugeneigt. Von schlankem Körperbau, schmalhüftig, mit edlen, hohen Beinen und sehr kleinen Füßen, gleicht sie eher einem schönen Knaben als einer Frau von dreißig Jahren. Erst in letzter Zeit hat die Furcht, ihre über alles geliebten Kinder zu verlieren, einen Zug schmerzlicher Erwartung um ihren frischen Mund gelegt.

      Die Zerwürfnisse der Ehe Marias waren der Mutter nur zu wohl bekannt. Die Katastrophe schien unabwendbar — war es nun da, das Ende mit Schrecken?

      „Vielleicht ist er auf dem Wege, für die Kinder ein Institut ausfindig zu machen, um sie dir zu nehmen. Vielleicht ist er noch in Bologna und verbirgt sich, um seine Pläne zu verschleiern!“

      Maria war bei diesen Worten der Mutter totenblaß geworden.

      „Du hältst es für möglich, Mama, daß Francesco noch in Bologna ist? Hinter welche Geheimnisse will er kommen?“

      Maria wandte sich ab. Sie preßte die Stirn gegen die Fensterscheibe. Ihre schmale Hand irrte wie eine arme Seele in der Luft umher, um schließlich matt und hilflos auf ihre Brust niederzusinken.

      Frau Giotti beobachtete ihre Tochter.

      „Fürchtest du etwas, Maria?“

      „Fürchten? Ich habe die Furcht verlernt!“

      Maria wandte sich um. Ihre großen Augen irrten unruhig über das ewig ernste Gesicht der Mutter. Wie dürfte ich es ihr jemals sagen? Sie ist meine Mutter. Eine gute Mutter, aber mir völlig entfremdet.

      Maria warf den Kopf qualvoll hin und her. Ihre Hände zerknüllten ein feines Taschentuch. Nein, nie werde ich eine Vertraute an ihr haben, ewig wird das Geheimnis in meinem Herzen verschlossen sein. Wie sollte sie mich verstehen? Niemand würde mich verstehen! Steinigen würden sie mich, von der Seite meiner Kinder würde ich gerissen, in den Abgrund geschleudert!

      Die Mutter sprach nicht aus, was sie dachte. Daß sie die Unruhe ihrer Tochter nicht nur dem Ausbleiben jeder Nachricht von Francesco zuschrieb.

      „Ich habe an alle, die ihn kennen, depeschiert!“ sagte Maria endlich. „Auch an die Polizei in Bologna. Wir werden so am schnellsten erfahren, wenn Francesco — etwas zugestoßen sein sollte.“

      Aber die Antworten, die einliefen, lauteten alle unbefriedigend. Niemand hatte Francesco gesehen. Inzwischen verging die Zeit. Stunden wurden zu Ewigkeiten. Die Wohnung in Venedig war nur bis zum 31. August gemietet, die Gräfin konnte täglich damit rechnen, daß sie das Haus verlassen mußte. Sie lagerte einen Teil des Gepäcks auf dem Bahnhof in Venedig ein, bereitete ihre Abreise vor. Bestimmte, daß Pichi nach Bologna in die Wohnung zurückkehren sollte.

      Plötzlich traf eine Depesche von Professor Giotti aus Bologna ein:

      „Bleibe unbedingt in Venedig! Erwarte dort weitere Nachrichten!

      Dein Vater.“

      Was bedeutete das? Jetzt wuchs Marias Unruhe ins Unerträgliche, die Spannung war kaum mehr zu ertragen. Sie wanderte von Zimmer zu Zimmer. Die Köchin Frieda beobachtete ihre Herrin mit wachsendem Mißtrauen.

      „Wie kann sie nur so tun, als ob sie sich wegen der langen Abwesenheit des Grafen solche Sorgen machte“, sagte sie zu Pichi. „Wir werden ja wieder ein Theater erleben! Anfälle! Verzweiflung, Schreie!“

      Pichi zuckte die Achseln. Er verhielt sich reserviert.

      „Warum soll sie heucheln? Der Graf ist immerhin ihr Mann!“

      „Hat sich was! Ist er ja nicht! Nimmt sich doch immer andere!“

      „Das geht dich nichts an, Frieda!“

      „Los sein will sie ihn. Erinnerst du dich, was ich dir erzählt habe? Wer weiß, ob sie ihn nicht hat umbringen lassen!“

      Das war zu viel für Pichi. Er packte die Verleumderin wütend am Arme und zerrte sie in ihre Kammer.

      „Pack dich! Es ist Zeit! Du weißt, daß du das Haus morgen zu verlassen hast! Vorwärts! Scher dich raus!“

      *

      In dieser Nacht vom 2. zum 3. September brennt die ganze Nacht hindurch Licht im Zimmer Marias.

      So wird es morgens gegen fünf Uhr. Der Himmel liegt noch in der sanften Röte des eben angebrochenen