Robert Heymann

Die Hölle um Maria Giotti


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Riccardo Giotti, der Onkel, und Nino Giotti, ihr Bruder, sind bereits eingetreten. Sehr erregt, bleich, Riccardo noch mehr als Nino, der schweigend stehen bleibt und seine Schwester groß und mitleidig ansieht —. Pichi, in der Ecke des Raumes, weiß schon, daß ein Unglück geschehen ist. Er liest es deutlich genug in den Gesichtern der Besucher.

      „Onkel!“ stammelt Maria bestürzt, die Worte hervorpressend. „Onkel! Was ist vorgefallen? Was ist mit Francesco?“

      „Francesco ist nicht wohl und konnte deshalb nicht zurückkehren!“

      „Warum hat man mich nicht benachrichtigt?“

      „Er konnte nicht sprechen —“

      „Was heißt das: Er konnte nicht sprechen?“

      Warum nur, denkt Pichi, will sie nicht begreifen, daß er tot ist?

      „Er wurde gefunden, man wußte zunächst nicht, wer er war“, fährt Riccardo Giotti fort. „Er hatte keine Visitkarten bei sich! — Doch nein, was erzähle ich da! Er war allein zu Haus! Ich irre mich! Er konnte sich nicht bemerkbar machen. Ein Schlaganfall hat ihn vor vier oder fünf Tagen getroffen!“

      „Ein Schlaganfall? Nein, ihr sagt nicht die Wahrheit! Ich flehe dich an, Riccardo —“

      Bei diesen Worten blickt Maria Pichi an, der mit gesenktem Kopf dasteht und längst alles erraten hat. Der Schrecken raubt ihm die Sprache. — Sollte Frieda recht haben? denkt er. Sollte das eine Komödie sein? Sollte die Gräfin noch nicht begriffen haben? Aber wenn sie Komödie spielte, dann müßte sie doch schon längst wissen, was geschehen ist!

      Auf welche Ideen bringen einen die klatschsüchtigen Weiber!

      Aber dann werden seine Gedanken unterbrochen durch einen lauten Aufschrei der Gräfin.

      Riccardo hat endlich die Wahrheit ausgesprochen.

      „Ja, Francesco Martini ist tot!“

      Alle begeben sich in das große Empfangszimmer des Hauses. Pichi beeilt sich, ein kleines Frühstück aufzutragen. Frieda horcht an der Tür.

      Sie hört, wie der ältere Giotti, gleich Nino Advokat, an die Gräfin die Frage stellt:

      „Hast du deinen Schmuck mit nach Venedig genommen, Maria, oder ist er in Bologna zurückgeblieben?“

      „Schmuck? Mein Schmuck ist in Bologna, der wertvollste wenigstens. Auch Silberzeug. Geld? Nein, ich glaube nicht, wenigstens waren es nicht nennenswerte Beträge. Warum fragst du mich nach solchen Dingen — in diesem Augenblick?“

      Der Onkel überhört die Frage. „Kannst du den Wert dieser Schmuckstücke angeben? Weißt du ungefähr, wie kostbar sie waren?“

      „Warum richtest du nur so sonderbare Fragen an mich, Onkel Riccardo? Francesco ist gestorben, es ist vorbei, was hat mein Schmuck mit seinem Tode zu tun?“

      „Weil zur selben Zeit, in der er starb, Diebe im Hause gewesen sind. Ich schätze den Wert der Schmucksachen auf wenigstens 5000 Lire. Mag das stimmen, Maria?“

      „Das mag stimmen, Onkel!“

      Mit diesen Worten begibt sich Maria, heftig weinend, in das Schlafzimmer der Kinder. Sie sind durch die Stimmen im Nebenzimmer erwacht.

      Frieda, die hinter der Tür steht, hört die Kinder laut aufjauchzen. Sie haben erfahren, daß sie sofort abreisen sollen, daß die Reise nach Bologna geht, sie wissen nichts von dem Tod ihres Vaters, für sie ist dieser Tag voll Freude und Jubel. Maria klingelt. In ihrer Verwirrung kommt Frieda in das Zimmer. Sie stellt mit innerer Befriedigung fest, daß die Gräfin ganz ruhig ist, keineswegs fassungslos, wie eine Frau, der man eben, ohne jede Vorbereitung, den Tod ihres Mannes mitgeteilt hat.

      „Rufe Adele!“ sagt die Gräfin, ohne das Mädchen anzusehen.

      Die Zofe kommt. Maria beauftragt sie, ihr sofort ein schwarzes Kleid zu besorgen. „Ich besitze keins. Gehe zu Bocconi!“

      Adele hat schon die näheren Umstände des Mordes erfahren. Die ersten Morgenblätter sind voll davon. Der Milchmann kolportiert bereits alle Einzelheiten.

      Die Gräfin will um 8 Uhr nach Bologna reisen.

      „Aber dann kann ich unmöglich ein schwarzes Kleid besorgen, Frau Gräfin. Bocconi öffnet nicht vor 8 Uhr, wenn wir auf das Kleid warten, werden wir den Zug versäumen!“

      „Aber ich muß ein Trauerkleid haben! Soll ich etwa in einem meiner hellen Kleider in Bologna ankommen?“

      Adele fragt schüchtern, ob die Frau Gräfin sich nicht einstweilen mit einem Kleid von ihr selbst begnügen wolle. Maria nimmt es an.

      Frieda, die mit Adele zurückgekommen ist, hat, von niemand beachtet, eine Weile herumgestanden. Sie geht mit Adele wieder hinaus und stößt auf Pichi, der eben mit dem Frühstück kommt.

      „Was habe ich dir gesagt? Was habe ich dir prophezeit? Sie hat ihn umbringen lassen. Ihr größter Schmerz ist, daß sie nicht gleich eine schwarze Toilette zum Anziehen hat!“

      Pichi stellt das Tablett mit dem Frühstück in eine Fensternische und schlägt Frieda heftig ins Gesicht. Sie schreit wie eine Irrsinnige, er schleift sie, während Nino und Riccardo Giotti entsetzt hinausstürzen, zum Haustor.

      „Raus! Canaille! Immer raus!

      Adele! Den Koffer Friedas! Den Mantel! Den Hut!“

      Adele, froh, die Person los zu werden, eilt in Friedas Kammer, schleppt den Handkoffer, Hut und Mantel herunter. Pichi wirft die Verleumderin kurzerhand aus dem Haus. Draußen steht sie noch eine Weile vor dem verschlossenen Tor und wartet schimpfend auf die Gondel, die sie zum Bahnhof bringen soll. Sie fährt nach Ala zu ihrer Mutter.

      Was soll die Gräfin? denkt Pichi, nach oben gehend. Schreien? Alles ist so unerwartet gekommen! Sie ist betäubt von dem Schmerz. Ist der Graf nicht der Vater ihrer Kinder? Sie betrauert ihn, das ist sicher. Freilich! Warum denkt sie jetzt nur an Kleider?

      Er tritt in das Zimmer. Es kommt ihm vor, als wären Riccardo und Nino Giotti weit mehr erschüttert als die Witwe. Ninos Gesicht ist spitz, die Farbe fast grün. Durch die Mattscheibe der Verbindungstür sieht Pichi die Silhouette der Gräfin. Sie probiert Adeles Kleid an, ihre Bewegungen sind ruhig, er hört sie sagen:

      „Es sitzt sehr schlecht, Adele! Wie sehe ich bloß darin aus!“

      Adele antwortet nichts. Aber nach einer Weile hört Pichi, der die Herren am Frühstückstisch bedient, die Zofe sagen:

      „Ist es nicht ganz entsetzlich, Frau Gräfin? Dreizehn Messerstiche?“

      Im nächsten Augenblick wird die Tür aufgerissen, Gräfin Maria steht mit großen, erschreckten Augen vor den Männern.

      „Dreizehn Messerstiche? Diebe? Schmucksachen? Was soll das heißen? Oh, mein Gott, er ist ermordet worden!“

      Riccardo Giotti, der aufgesprungen ist, antwortet leise:

      „Ja, Maria! Dein Gatte wurde ermordet!“

      Pichi fühlt: Ich bin durch Friedas Gemeinheiten unsicher geworden. Er beobachtet die Gräfin. Auch ihm fällt ihre Ruhe auf. Sie schreit nicht auf. Sie sieht ihn an, Pichi, ja, merkwürdigerweise schaut sie gerade auf ihn! In ihrem Gesicht ist keine Bewegung. Es gleicht dem Marmor. Sie atmet schwer. Schließlich senkt sie den Kopf, ihre Augen treffen Nino. Ohne ein Wort zu sagen, dreht sie sich um und verschwindet in dem Ankleidezimmer.

      Pichi geht kopfschüttelnd hinaus. —

      Zwei Stunden später reist die Gräfin Martini mit ihren Kindern nach Bologna.

      Die Mutter versuchte, Maria zu trösten. Aber sie hatte ein starres Gesicht und schien nichts zu hören.

      Als sie in Bologna ausstieg, überkam sie eine Schwäche. Die Freunde, die sie erwarteten, mußten sie in das Auto heben. Man nannte dem Chauffeur die Via Mazzini als Adresse.

      Die Gräfin, mit verstörtem Gesicht, gleichsam als erwachte sie jetzt erst aus einem dumpfen Traum,