Anke Stelling

Grundlagenforschung


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in den Nussbaumbetten lagen, und Christian war sicher, dass sie selbst enttäuscht war. »Ja«, sagte er. Aber da schlief sie schon.

      Wenn die andern vom Spaziergang kommen, muss das Feuer brennen. Ohne das Feuer wäre der ganze Urlaub nichts wert. Christian versucht es mit den Resten des Osterstraußes, den seine Schwester zum Vertrocknen auf dem Küchentisch hat stehen lassen.

      »All die Gräser und Zweige, die man hier finden kann.« – Was für ihn das Feuermachen ist, ist für seine Schwester sorgfältige Landhausdekoration. Sie plündert die Antiquitätenläden an der Route Nationale und holzt ganze Sträucher ab, um das Ferienhaus damit vollzustopfen. Schon lange kommen sie nicht mehr gemeinsam her, auch sein Bruder nimmt lieber Freunde mit, anstatt mit Christian oder der Schwester Urlaub zu machen.

      »Wilder Thymian, hier Christian, riech mal!« – Sie ist acht Jahre älter als er und war noch nie im Krankenhaus. All die Gräser und Zweige, dazu Blutreinigungstee und Bernsteinketten, keine Zigarette, nicht mal ein Feuer in der Küche des Ferienhauses.

      »Was heizt ihr denn die ganze Zeit bis in den Hochsommer?« – Der Bruder hat den französischen Nachbarn dazu abgestellt, das Holzlager regelmäßig aufzufüllen, »Dreißig Francs billiger der Kubikmeter, Christian, also hör mal …«

      Als die Neffen noch klein waren, ist Christian gern mit seinem Bruder hier gewesen. Da ließ sich alles als Kinderprogramm behaupten: Feuermachen und Nutella-Baguette, Nachtwanderung und Spinnenjagd. Jetzt muss er aufpassen, nicht entlarvt zu werden: In Wahrheit hat er das immer schon zu seinem eigenen Vergnügen gemacht.

      Christian schiebt Stücke von Eierkarton zwischen die Weidenkätzchen.

      So ein Feuer ist besser als Fernsehen. Man guckt rein und kann an alles Mögliche denken, hier und da legt man nach und bläst und schließt mit sich selbst kleine Wetten ab, welches Ende des dicken Astes zuerst Feuer fängt. Es brennt jetzt. Er hat es zum Brennen gebracht. Es geht erst wieder aus, wenn er es nicht mehr beachtet.

      »Hier waren doch irgendwo Schnapsgläser?« Gunda hat Schlüsselblumen vom Spaziergang mitgebracht.

      Christian schneidet Salami, während Hans und Katrin den Tisch fürs Abendessen decken.

      »Schönes Feuer«, sagt Wolfgang und wirft seine Jacke auf die Bank am Kamin. »Hunger hab ich.«

      Gunda legt das Schlüsselblumensträußchen vor Christian auf den Tisch.

      »Keine Gräser und Zweige auf meinem Abendbrottisch!«, sagt Christian und hält Gunda die Salami hin. »Hier, riech mal.«

      Gunda verzieht das Gesicht. »Riecht nach Sperma. Wo sind die Schnapsgläser?«

      Christian zuckt die Achseln. »Hat jemand von den anderen weggeworfen. Außer uns trinkt hier keiner Schnaps.«

      »Ich trink keinen Schnaps, ich brauch eine Vase.« Gunda rückt einen Stuhl vors Buffet, um hinter die nicht benutzten Teekannen sehen zu können.

      Christian grinst. Die Vasen hat er selbst weggeworfen, ein halbes Dutzend winziger Zinnvasen, die das Fenstersims in der Küche zierten. An Schlüsselblumensträußchen hat er nicht mal gedacht dabei, sondern an seine Urlaubskrimisammlung, die letztes Mal, als er hier war, nicht mehr im Wohnzimmerregal, sondern in einem Karton in der Scheune gestanden hatte.

      »Guck in der Scheune nach«, sagt er zu Gunda, »und nimm diese hässlichen Kannen mit.«

      Wolfgang macht die erste Flasche Wein auf.

      »Wir haben Wildschweinspuren gesehen«, erzählt Katrin mit Salami im Mund.

      »Die sind vom letzten Jahr«, sagt Christian.

      »Woher willst du das wissen? Du warst doch gar nicht dabei.« Wahrscheinlich hat Wolfgang sich auf dem Spaziergang wieder als Wildkenner aufgespielt.

      »Das sagt man so zur Beruhigung«, sagt Christian und fixiert ihn. »Und weil hier noch nie jemand ein lebendes Wildschwein getroffen hat.«

      Katrin zuckt die Schultern. »Ich steh morgen ganz früh auf und geh noch mal hin. Wenn man Tiere sieht, dann morgens.«

      Das Baguette ist zäh. Katrin sollte morgens lieber Brot holen gehen, statt auf Wildschweine zu warten, die nicht kommen werden. Christian sieht Hans auf die Zahnhälse, die die Parodontose freigelegt hat. Vorgestern ist er mit ihm im Kuhstallzimmer gelandet und weiß deshalb jetzt auch, was für Pyjamas Hans trägt. Solche aus dehnbarem Stoff, mit V-Ausschnitt und kleinen stilisierten Kronen auf dem Oberteil. Christian musste die Augen schließen und sich auf alles konzentrieren, was er an Hans mag, wofür er ihn schätzt oder gar bewundert: seine Großzügigkeit und Ruhe, sein lückenloses Wissen über die k.u.k.-Monarchie, seinen Eifer beim Holzhacken. Er hat versucht, sich Katrin vorzustellen, wie sie ihre Nase in die grauen Haare wühlt, die aus dem V-Ausschnitt vorschauen, dann tief einatmet und erregt die Decke wegstrampelt. Es half; als Christian die Augen wieder aufmachte, mochte er Hans auch im Pyjama und konnte beruhigt einschlafen. Die Zähne allerdings sind nicht zum Aushalten. Hans’ Zähne, Gundas Handrücken – die Versehrtheit, die schleichend Einzug gehalten hat.

      Christian weicht mit den Augen auf Wolfgang aus, der hebt sein Glas. Wolfgang hat keinen Körper, der ihm bei irgendwas im Weg sein könnte, Wolfgang ist trinkfest und integer.

      »Prost!«, sagt er. Und: »Habt ihr schon mal daran gedacht, einen Pool anzulegen?«

      »Pool?«, quietschen Renate und Gunda gleichzeitig.

      »Man könnte die Scheune ausschachten, das wäre doch großartig.«

      »Du spinnst«, sagt Christian, »was meinst du, was das kostet.«

      »Ach je«, sagt Wolfgang, »seit wann ist das das Problem?«

      »Hier immer«, sagt Christian, »hier geht schließlich alles durch drei.«

      Wolfgang kennt Christians Geschwisterstreitigkeiten seit zwanzig Jahren. Genau wie alle anderen am Tisch.

      »Geld haben heißt nicht, Geld ausgeben können«, sagt Gunda weise. »Im Gegenteil.«

      »Inwiefern Gegenteil?« Katrin ist sich nie zu schade, das auszusprechen, was alle wissen und auf keinen Fall mehr diskutieren wollen. »Wachsam bleiben« nennt sie das oder »Hinsehen«. Christian fixiert sie über sein erhobenes Glas hinweg, damit sie wenigstens einmal den Mund hält. Es nützt nichts.

      »Hat das Haus ohne Pool etwa nichts gekostet?«, fragt sie spitz.

      Alle hier haben Geld, auch wenn Christian nicht genau weiß, wie viel. Vielleicht hat er selbst am meisten, und sicher ist, dass seine Geschwister noch mehr haben.

      »So ein Pool wäre auch nicht teurer als der Terrakottaboden hier.« Katrin stampft unter dem Tisch auf. »Aber geht natürlich nicht. Pool! Wie neureich!«

      Christian hofft, dass niemand in die Diskussion einsteigt.

      Es steigt niemand ein.

      Ein Feuer ist besser als ein Pool. Drumrumsitzen und trinken kann man auch, muss sich aber nicht ausziehen dafür. Christian steht auf und legt Holz nach, während die anderen die Teller zusammenstellen und beschließen, heute nicht mehr abzuwaschen.

      »Als der Lukas drei war, ist er mal von der Bank hier in die Feuerstelle gefallen«, sagt Christian und setzt sich, den Schürhaken in der Hand.

      Seitdem macht auch sein Bruder kein Feuer mehr in der Küche.

      »Sehr gut«, sagt Renate und lässt sich neben ihn auf die Bank fallen. »Lasst uns über die Vorteile reden, die es hat, keine Kinder zu haben.« Sie wirft die abgebrannten Streichhölzer aus der großen Schachtel ins Feuer und zündet sich eine Zigarette an.

      Renate raucht am meisten von allen. Ihre Stimme ist heiser; manchmal denkt Christian, dass es sich bei Frauen allein für solch eine Stimme lohnt, sich die Lunge kaputt zu rauchen. Manchmal denkt er auch, dass er Renate vor allem deshalb mag, weil sie doppelt so viel raucht wie Gunda und trotzdem dick und gesund, vollständig und intakt ist.

      »Ja, wirklich«, sagt er. »Er hatte dummerweise eine