Regina Mars

Heiße Keramik


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Wand. »Ich lese überhaupt nicht viel. Nur Menschen mit … mit Tiefgang lesen.«

      »Gar nicht wahr. Tilmanns Neuer hat eine ganze Bücherwand und so viel Tiefgang wie ein Unterteller.«

      Der Goldjunge schwieg. Gordan wartete. Mit angehaltenem Atem. Er wusste nicht, worauf, und es trat auch nicht ein.

      »Ich schätze, Tilmann ist gegangen?«

      »Ja.«

      »Wohin? Zurück nach Berlin?«

      »Nein.« Gordan räusperte sich. »Nein, es gefällt ihm hier wohl doch besser, als er anfangs dachte. Muss es ja. Sonst wäre er jetzt nicht mit Louis zusammen.«

      »Und wer ist das jetzt?«

      »Ein alter Bekannter.«

      »Klingt mehr nach einem alten Feind.«

      »Ist er auch, der Vollarsch.« Gordan befürchtete, dass der Bierkrug platzen würde, so, wie er ihn umklammerte. »Der wollte schon immer alles, was ich hatte. Der reiche Drecksack. Der hatte in der Grundschule alle Action-Octopus-Figuren, aber meine wollte er trotzdem haben. ›Gib her, du spielst eh falsch‹, hat er gesagt. Nur, weil Action-Octopus und Professor Bösius ab und zu geheiratet haben.«

      »Hast du sie ihm gegeben?«

      »Ne Maulschelle hab ich ihm gegeben.« Nach einem Blick auf Robins schockiertes Gesicht seufzte er. »Erst, als er mir den Action-Octopus wegnehmen wollte und getreten und gespuckt hat. Einfach so. Der hat immer alles gekriegt, was er wollte, aber … Ne. So ein Wichser. Mit dem hab ich mich mein ganzes Leben lang in die Haare gekriegt.«

      »Und jetzt hat er deinen Tilmann geklaut.« Robin schnalzte mit der Zunge. »Schön blöd.«

      »Der hat ihn nicht geklaut. Tilmann ist freiwillig mit zu ihm. Ich weiß nicht wie …« Er stoppte. Leider war der Kleine nicht so blöd, wie er aussah. Was auch schwer gewesen wäre.

      »Du weißt nicht, wie lange das mit denen schon lief, bevor du davon erfahren hast?«

      »Nein«, grollte Gordan. »Ist jetzt auch egal.«

      »Du bist komisch«, lallte Robin. Schwankend musterte er ihn. »Sonst bist du so ein grantiges Arschloch, aber über deinen Ex beschwerst du dich nicht mal, obwohl der dich verlassen und betrogen hat.«

      »Ich liebe ihn halt.« Schwere Trauer senkte sich auf Gordan hinab. Er fühlte sich alt und verbraucht. Seine Hände, die immer noch den Bierkrug umklammerten … Waren die schon immer so faltig und behaart gewesen?

      »Du meinst, du hast ihn geliebt?«

      »Ja. Ja, klar, das meine ich.« Dem kleinen Mistkerl würde er nicht erzählen, dass er … Mann, Gefühle änderten sich halt nicht von einem Tag auf den anderen. Und auch nicht von einem Jahr aufs andere. »Und, um endlich zum Punkt zu kommen: Die Plastiken habe ich … Ich kann mich kaum erinnern, wie ich die gemacht habe. Ich war total verzweifelt und fertig und außerdem besoffen. Ich … Ich musste irgendwohin mit dem Schmerz und da …«

      »Da bist du zum Ton gegangen.« Leise Sehnsucht klang in der arroganten Stimme. »Muss schön sein, wenn man das so verarbeiten kann. So …« Er zögerte. »Egal. Hat ja anscheinend nicht geholfen.«

      »Doch, mir geht’s viel besser. Nur davor … Da war ich wie weg. Wie ausgelöscht. Ich habe überhaupt nichts mehr hingekriegt und …« Gordan hasste es, diesem Schönling sein Herz auszuschütten. »Ich habe Schulden angehäuft. Bin nicht mehr auf die Märkte, habe getrunken und nichts getöpfert bis auf diese blöden Plastiken. Die meisten habe ich zerkloppt. Aber dann hat mein alter Agent angerufen und ich hab ihm ein Foto von denen geschickt. Die wollte er. Nicht, dass er das gezeigt hätte. Hat gesagt, er könnte mir ’nen Tausender dafür geben. Um der alten Zeiten willen. Weil er ein schlechtes Gewissen hatte, dass ich es nie bis zum großen Durchbruch geschafft hab.«

      Stöhnen. Ungläubiges Stöhnen. »Und das hast du ihm abgenommen? Mann, Gordan! Du hast die Meisterwerke, die die ganze Kunstwelt in orgasmisches Verzücken versetzen, für tausend Euro verscherbelt?«

      »Ich sag doch, ich war fertig!« Wütend starrte er in die hübschen, glanzlosen Augen. »Verkatert und … innerlich … zerbrochen.«

      »Jetzt werd nicht kitschig.« Wieder dieses blöde, arrogante Zungenschnalzen.

      »Soll ich dir doch den Arsch versohlen, Kleiner?«

      »Na klar.« Besoffenes Lachen. »Ich hab dir doch gesagt, dass ich darauf stehe. Aber nur, wenn ich danach deinen haarigen Affenarsch ficken kann. Ich hatte seit ….« Schweres Überlegen. So schwer, dass Robins Kopf langsam auf die Tischplatte sank. »Seit über zehn Stunden keinen Sex mehr.«

      »Grauenvoll. Du Armer. Wie hältst du das nur aus?« Gordan verdrehte die Augen.

      »Und du?« Der besoffene Blick musterte ihn interessiert. »Wer war der Erste nach Tilmann?«

      »Keiner.« Gordan hob seinen Krug und trank ihn in einem Zug leer. Als er ihn absetzte, sah er in ein zutiefst schockiertes Gesicht. Die Augen des Schnösels waren groß wie der Mond. Mindestens.

      »Keiner? Aber das heißt ja, dass … Das sind ja Monate!«

      »Fast zwei Jahre.« Gordan wiegte den Kopf hin und her. »Doch, im September sind’s zwei …«

      »Zwei Jahre?!« Die Stimme des Schnösels überschlug sich fast. »Aber … Und da lebst du noch?!«

      Wie dumm war der eigentlich? »Ich hab doch gesagt, dass ich ihn liebe.«

      »Ja, aber selbst … damals, im Internat, als Eduard aus dem Volleyballteam mich nicht wollte, also nur körperlich, da … da war ich verdammt traurig, aber ich hab sofort was mit einem aus dem Rugbyteam angefangen. Sofort. So lange … Als erwachsener Mensch kommt man so lange gar nicht ohne aus. Also, außer als alter Mensch. Als sehr alter Mensch. Und so alt bist du auch nicht.«

      »Dafür bist du so dumm.« Gordan schüttelte den Kopf. »Strunzdumm.«

      Zungenschnalzen. Eingebildetes Mundverziehen. »Ich bin nicht halb so dumm, wie ich aussehe.«

      »Das ist auch unmöglich, würde ich mal behaupten.«

      »Jungs. Haut ab. Ich will abschließen.« Lisbeths Hände landeten auf ihren Schultern. Eine auf Robins, eine auf Gordans. »Ich bin so scheißmüde, ich fall gleich tot um.«

      »Sollen wir noch mit was helfen?«, fragte Gordan. »Beim Aufräumen?«

      »Ihr.« Sie lachte höhnisch. »Ne. Lass mal. Wenn ihr abhaut, ohne auf den Boden zu kotzen, bin ich schon glücklich.«

      »Schaffen wir.« Gordan nickte. »So viel haben wir auch nicht getrunken.«

      »Sicher.« Sie seufzte. »Geht gleich nach Hause, ja? Und kommt nicht auf blöde Ideen.«

      Was für blöde Ideen denn?, dachte Gordan und hatte eine Idee.

      »Kleiner«, sagte er, als sie aus der Tür taumelten. »Ist dir auch so heiß?«

      »Heiß nicht mehr, aber ich klebe. Wie ein … Kleber.« Missmutig zupfte der Blonde an seinem hellen Hemd. Es pappte nicht unerotisch auf seiner Haut. »Schlägst du vor, dass wir duschen? Gemeinsam?«

      »Besser.« Gordan legte einen Arm um seine Schultern. »Komm mit.«

      7. Gefährliche Mitte

      Es dröhnte. Und … wuschte. Ja, doch. Er kannte das Geräusch. Irgendwoher. Erst so ein anschwellendes Surren, ein hoher Ton, wie eine schlecht gestimmte Flöte oder so. Und dann Booom! Als würde ein Laster an ihm vorbeifahren.

      »Moment mal«, krächzte Robin. »Das ist ein Laster.«

      Er öffnete ein Auge und war blind. Mist. Helle Sterne funkelten hinter seinem Augenlid. Genau in die Sonne geschaut. Scheiß-Sonne. Nun, immerhin wärmte sie seine Haut. Das Gestrüpp unter seinem nackten Rücken war