in einer bestimmten Tradition, eben der jüdisch-christlichen Überlieferung, welche die praktisch zu bewahrheitende Verheißung der Versöhnung, der Erlösung und universaler Vollendung einbringt.24 Glaube und Bildung werden dadurch aufeinander beziehbar und bestimmen sich gegenseitig. Bildung läuft ohne eine das Bildungsstreben sinnvoll kontextualisierende Vision wahren Lebens „letztlich ins Leere“, wie umgekehrt der Glaube eines Menschen verkümmert, wenn er nicht dadurch in die personale Identität integriert wird, dass „man ihn seinerseits bildet“25. Religiöser Bildung obliegt es dann aber auch, an der Unverfügbarkeit und Geschenktheit der Glaubensentscheidung festzuhalten und zugleich die pädagogische Relevanz von Momenten der Gratuität, der Zwecklosigkeit, der Nichtfunktionalität auszuweisen.26 Erst durch seine religiöse Dimensionierung gewinnt der Bildungsbegriff sein eigentliches „Potenzial von Widerstand“ gegenüber einer rein formalen, objektivierenden Wissenschaftsperspektive und gegenüber allen Versuchen,27 Bildung auf Qualifizierung für ökonomische Prozesse zu reduzieren.
4 Kritisch-selbstreflexive Bildung
Ein solcher Bildungsbegriff ist gerade in seinem Öffentlichkeitscharakter konstruktiv-diakonisch wie kritisch.28 Er steht im Dienst der Autonomie der Subjekte, die sich auch gegen die Institutionen Schule, Hochschule wie Kirche in Freiheit wenden können. Wo das Gegenteil intendiert würde, würde aus Bildung Dressur. Mit dem Gottesgedanken bringt ein hiervon geprägter Religionsunterricht sein inhaltliches Spezifikum in die innerschulische Öffentlichkeit der anderen Schulfächer wie der Schulgemeinschaft selber ein. Er hält damit den „Sinn für das, was fehlt und ‚anders sein könnte‘“ in der Schule offen und wirkt sich auch normativ in dessen formaler Anlage als Sprachschule der Freiheit und einem Bildungsverständnis aus,29 das keinen verloren gibt. Dies wirkt sich im unterrichtlichen Umgang miteinander aus, nimmt ideologiekritisch institutionelle Zwänge und überbordende Leistungserwartungen in der Schule in den Blick und liefert über den Unterricht hinaus einen Beitrag dazu, die Schule als Lebenshaus für alle bewohnbar zu machen. Gleichwohl weiß dieser Religionsunterricht um die „Begrenztheit des schulischen Wirkungsraumes und die Bedeutung nichtschulischer Bildungsinstitutionen“ aufgrund der strukturellen Eigenarten und zeitlichen Begrenztheit schulischen Lernens.30 So kann er überdies dem Bildungskonzept der PISA-Studie sowie der Kompetenzorientierung die kritische Frage nicht ersparen,31 wie denn unter den Bedingungen der Pluralisierung von Rationalitäten ein unbedingter Wahrheitsanspruch zu denken sei, der über das jeweilige System und Sprachspiel hinausreichte. Gerade in der christlichen Tradition liegt eine überschießende Dynamik, ein alles umgreifender Wahrheitsanspruch und eine Gerechtigkeitsverheißung für alle, die sich nicht auf bestimmte Aspekte des Lebens beschränken wollen.32
Solche konstruktiven wie kritischen Aspekte sind religionspädagogisch elementar. Um aber nicht selbstwidersprüchlich zu werden, sollte eine dritte Komponente hinzutreten: das Moment kritischer Selbstreflexivität, welche die eigenen Aporien und dunklen Seiten des Religionsunterrichts kritisch aufklärt. Bildung hat mit Macht zu tun. Michel Foucault hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich auch in solchen Praktiken der Bildung, die auf Freiheit und Autonomie abzielen, noch Machtmechanismen reproduzieren, die er Pastoralmacht nennt. Lehrerinnen und Lehrer, Professorinnen und Professoren tragen, ob sie dies wollen oder nicht, ihren Anteil daran.33 Beispielsweise zeigt sich entgegen der Intention der Lehrenden eine Benachteiligung schwächerer Lernender durch die Wahl einer Methodik. Von konstruktivistischer Didaktik favorisierte offene Lernsituationen benachteiligen in der Sicht neuerer Bildungsforschung diejenigen, welche ein eher engeres Lernsetting brauchen, weil sie bereits von daheim nicht die nötige Diskursivität und Lernbereitschaft angebahnt finden.34 Beispielsweise zeigt sich dies überdies im Interreligiösen Lernen durch Stereotypisierung, Reifizierung und Essentialisierung. Deshalb sollte religionspädagogisch in den Blick geraten, „wie – im Alltag, in den Medien, aber auch durch Angebote zum interreligiösen Lernen – Kategorien des ‚interreligiös angemessenen‘ und vor allem des religiös Differenten konstruiert und Zuschreibungspraktiken betrieben werden, die selbst entgegen der Intention der Akteurinnen und Akteure, den religiös Differenten erst zu einem solchen machen und in der Folge stereotypisierend beschreiben und stigmatisieren. Dabei wäre zudem die Frage danach zu stellen, wie der/die/das Andere zugleich in unterschiedlichen Dimensionen (Gender, Ethnizität, soziale Klasse etc.) gemacht wird“35. Was demnach der Religionspädagogik fehlt, ist eine selbstreflexive Überprüfung religiöser Bildungsprozesse auf ihre immanenten Mechanismen der Identifizierung, der verkennenden Anerkennung, der Exklusion, der Macht.36 Das beseitigt diese nicht. Jede Stunde ist von ihnen geprägt, hilft aber, diese analytisch aufzudecken und kritisch zu bearbeiten.
In dem Maße, in dem der Religionsunterricht diese konstruktiv-diakonischen, kritischen wie selbstreflexiven Momente integral zu realisieren versucht, in dem Maße wird er im Rahmen des schulischen Bildungsauftrags seine Rolle spielen können. Freilich wird dazu die konstitutive Öffnung auf die in sich höchst vielfältige Gruppe der Konfessionslosen gehören, die nach allen Prognosen in der Mitte des 21. Jahrhunderts mit Abstand die Mehrheit bilden werden. Indem die Religionspädagogik dies als Artikulationsfeld ihres Bildungsbegriffs begreift, avanciert eine solche Aufgabe zum Laboratorium der Zukunftsfähigkeit des Religionsunterrichts überhaupt.
Der Autor: Dr. theol. habil. Bernhard Grümme, Jahrgang 1962, Professor für Religionspädagogik und Katechetik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhruniversität Bochum, seit Oktober 2019 Dekan der Fakultät; wichtigste Publikationen: Vom Anderen eröffnete Erfahrung. Zur Neubestimmung des Erfahrungsbegriffs in der Religionsdidaktik, Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2007; Menschen bilden? Eine religionspädagogische Anthropologie, Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2012; Aufbruch in die Öffentlichkeit. Reflexionen zum ›public turn‹ in der Religionspädagogik, Bielefeld 2018.
Weiterführende Literatur:
– Helmut Peukert, Bildung in gesellschaftlicher Transformation, Paderborn 2015. Eine der maßgeblichen Begründungen und Konzeptionierungen religiöser Bildung, die auch an erziehungswissenschaftliche und philosophische Diskussionen anschlussfähig ist.
– Michael Domsgen, Religionspädagogik (LETh 8), Leipzig 2019. Ein Neuentwurf der Religionspädagogik, welcher den Religionsunterricht in die Konstellation anderer Lernorte des Glaubens einbettet – und dabei den zunehmend wichtiger werdenden Horizont der Konfessionslosigkeit grundlegend berücksichtigt.
1 Vgl. Michael Domsgen, Religionspädagogik (LETh 8), Leipzig 2019, 147–245.
2 Vgl. Bernhard Grümme, Religionspädagogische Denkformen. Eine kritische Revision im Kontext von Heterogenität (Quaestiones disputatae 299), Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2019.
3 Vgl. Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen (Die deutschen Bischöfe 80), Bonn 2005.
4 Vgl. Rudolf Englert / Eva-Maria Kenngott / Thorsten Knauth (Hg.), Konfessionell – interreligiös – religionskundlich. Unterrichtsmodelle in der Diskussion (Praktische Theologie heute 136), Stuttgart 2015; Jan Woppowa / Tuba Isik / Katharina Kammeyer / Bergit Peters (Hg.), Kooperativer Religionsunterricht. Fragen – Optionen – Wege (Religionspädagogik innovativ 20), Stuttgart 2017.
5 Vgl. Thomas Meckel, Grundgesetz, in: WiReLex, 2019 (online unter: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/200561/ [Abruf: 03.01.2020]).
6 Vgl. Bernhard Grümme, Öffentliche Religionspädagogik. Religiöse Bildung in pluralen Lebenswelten (Religionspädagogik innovativ 9), Stuttgart 2015, 5–100.
7 Thomas Meckel, Religionsunterricht im Recht. Perspektiven