den Menschen, der blind gewesen war, und sagten zu ihm: Gib Gott die Ehre.“ Was heißt das: „Gib Gott die Ehre“? Verleugne, was du empfangen hast. Das heißt aber fürwahr nicht Gott die Ehre geben, sondern vielmehr Gott lästern. „Gib“, sagen sie, „Gott die Ehre. Wir wissen, daß dieser Mensch ein Sünder ist. Da sprach jener: Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht; das eine weiß ich, daß ich, obwohl ich blind war, nunmehr sehe. Da sagten sie zu ihm: Was hat er dir getan? Wie hat er dir die Augen geöffnet?“ Und jener, der bereits unwillig zu werden anfing gegen die Härte der Juden und, aus einem Blinden sehend geworden, die Blinden nicht mehr ertragen konnte, „antwortete ihnen: Ich habe es euch schon gesagt, und ihr habt es gehört; warum wollt ihr es nochmals hören? Wollt etwa auch ihr seine Jünger werden?“ Was heißt das: „Wollt etwa auch ihr“, als: Ich bin es schon? „Wollt etwa auch ihr?“ Ich sehe bereits, aber ich bin nicht neidisch1248.
12.
„Da beschimpften sie ihn und sagten: Sei du sein Jünger!“ Eine solche Beschimpfung komme über uns und unsere Kinder! Eine Beschimpfung nämlich ist es, wenn du ihr Herz erforschest, nicht wenn du dich an die Worte hältst. „Wir aber sind des Moses Jünger; wir wissen, daß Gott zu Moses geredet hat, von diesem aber wissen wir nicht, woher er ist.“ O wenn ihr nur wüßtet, „daß Gott zu Moses geredet hat“, dann wüßtet ihr auch, daß Gott durch Moses verkündet wurde. Denn es ist euch bekannt, daß der Herr sagt: „Wenn ihr dem Moses glauben würdet, dann würdet ihr auch mir glauben; denn von mir hat er geschrieben“1249. So folget ihr also dem Knechte und kehret dem Herrn den Rücken? Aber ihr folget auch nicht dem Knechte; denn durch ihn würdet ihr zum Herrn geführt werden.
13.
„Jener Mensch antwortete und sagte zu ihnen: Das ist doch wunderbar, daß ihr nicht wisset, woher er ist, und er hat meine Augen geöffnet. Wir wissen aber, daß Gott die Sünder nicht hört, sondern wenn einer ein Verehrer Gottes ist und seinen Willen tut, diesen erhört er.“ Er redet noch als ein bloß Gesalbter1250, denn auch die Sünder erhört Gott. Denn wenn Gott die Sünder nicht erhören würde, so würde jener Zöllner umsonst, seine Augen zur Erde senkend und an seine Brust schlagend, sagen: „Herr, sei mir Sünder gnädig“1251. Auch dieses Bekenntnis verdiente die Rechtfertigung, wie jener Blinde das Sehendwerden. „Von Anfang ist es nicht erhört worden, daß einer die Augen eines Blindgeborenen geöffnet hat. Wenn dieser nicht von Gott wäre, so könnte er solches nicht tun.“ Ein freimütiges, standhaftes, wahres Wort! Denn was vom Herrn geschah, von wem sollte es geschehen als von Gott? Oder wann würde von den Jüngern solches vollbracht, wenn nicht der Herr in ihnen wohnte?
14.
„Sie antworteten und sagten zu ihm: Du bist ganz in Sünden geboren.“ „Ganz“ ― was heißt das? Mit geschlossenen Augen. Allein der die Augen erschloß, heilt auch das Ganze; der wird die Auferstehung zur Rechten geben, der im Gesichte das Sehen gegeben. „Du bist ganz in Sünden geboren und du lehrst uns? Und sie stießen ihn hinaus.“ Sie selbst haben ihn zum Lehrmeister gemacht; sie selbst haben ihn, um zu lernen, so oft gefragt, und in ihrer Undankbarkeit stießen sie den Lehrer hinaus.
15.
Allein, wie schon vorhin bemerkt, Brüder, jene stoßen aus, der Herr nimmt auf; denn um so mehr ist er ein Christ geworden, weil er ausgestoßen wurde. „Jesus hörte, daß sie ihn ausgestoßen hatten, und da er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Sohn Gottes?“ Jetzt wäscht er ihm das Gesicht des Herzens. „Jener antwortete und sagte“ ― gleichsam wie ein vorerst bloß Gesalbter ―: „Wer ist es, Herr, daß ich an ihn glaube? Und Jesus sagte zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist es.“ Gesandt wurde dieser, jener wusch sich sein Gesicht im Siloe, was verdolmetscht wird: der Gesandte. Endlich, nachdem bereits das Gesicht des Herzens gewaschen und das Gewissen gereinigt war, erkannte er ihn nicht mehr bloß als Menschensohn, an den er schon vorher geglaubt hatte, sondern auch als den Sohn Gottes, der Fleisch angenommen hatte, und „sprach: Ich glaube, Herr“. „Ich glaube“, ist zu wenig. Willst du sehen, an wen er glaubt? „Er fiel nieder und betete ihn an.“
16.
„Und Jesus sprach zu ihm“ ― jetzt ist jener Tag, der Licht und Finsternis scheidet ―: „Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehen, und die sehen, blind werden“. Was heißt das, o Herr? Eine schwierige Frage hast du den bereits Ermüdeten vorgelegt, aber richte unsere Kräfte auf, damit wir verstehen können, was Du gesagt hast. Du bist gekommen, damit „die nicht sehen, sehen“; richtig, denn Du bist das Licht; richtig, denn Du bist der Tag; richtig, denn Du befreist von der Finsternis: das versteht jede Seele, das sieht jeder ein. Was heißt aber das, was folgt: „und die sehen, blind werden“? Also weil Du gekommen bist, werden die blind, die sehen? Höre, was folgt, und vielleicht wirst du es erfassen.
17.
Bei diesen Worten nun entrüsteten sich „einige aus den Pharisäern und sagten zu ihm: Sind etwa auch wir blind?“ Höre nun, was sie entrüstete: „Damit, die sehen, blind werden“. „Jesus sprach zu ihnen: Wenn ihr blind wäret, hättet ihr keine Sünden“, obwohl die Blindheit selbst schon Sünde ist. „Wenn ihr blind wäret“, d. h. wenn ihr euch als blind erkennen, wenn ihr euch als blind bekennen und zum Arzte eilen würdet, „wenn“ ihr also so „blind wäret, hättet ihr keine Sünde“, weil ich gekommen bin, die Sünde hinwegzunehmen. „Nun aber sagt ihr: Wir sehen: eure Sünde bleibt.“ Warum? Weil ihr, sprechend: „Wir sehen“, den Arzt nicht suchet und so in eurer Blindheit verbleibet. So also ist zu verstehen, was wir vorher nicht verstanden hatten, wo er sagt: „Ich bin gekommen, damit, die nicht sehen, sehen“. Was heißt das: „Damit, die nicht sehen, sehen“? Damit die, welche bekennen, daß sie nicht sehen, und den Arzt suchen, sehen. „Und die sehen, blind werden.“ Was heißt das: „Damit, die sehen, blind werden“? Damit die, welche zu sehen meinen und den Arzt nicht suchen, in ihrer Blindheit verbleiben. Also diese Scheidung nannte er Gericht, da er sprach: „Ich bin zum Gerichte in diese Welt gekommen“, womit er die Sache derjenigen, die glauben und bekennen, von den Stolzen scheidet, die da meinen, daß sie sehen, und die darum um so mehr verblendet werden; gleich als ob der bekennende und den Arzt suchende Sünder zu ihm sprechen würde: „Richte mich, o Gott, und scheide meine Sache von dem unheiligen Volke“1252, derer nämlich, welche sagen: „Wir sehen“, und ihre Sünde bleibt. Nicht aber hat er jetzt schon jenes Gericht über die Welt verhängt, das er über die Lebendigen und Toten am Ende der Welt abhalten wird. Im Sinne dieses Gerichtes hatte er gesagt: „Ich richte niemand“1253, weil er zuerst kam, „nicht um die Welt zu richten, sondern damit die Welt durch ihn gerettet werde“1254.
45. Vortrag
Einleitung.
Fünfundvierzigster Vortrag.
Von da an: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wer nicht durch die Türe in den Schafstall eingeht, sondern anderswo hineinsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber“, bis dahin: „Ich bin gekommen, daß sie das Leben haben und es im Überflusse haben“. Joh. 10, 1―10.
1.
Der sehend gewordene Blindgeborene hat den Ausgangspunkt der Rede des Herrn an die Juden gebildet. Von dem Zusammenhang dieses Lesestückes mit dem heutigen mußte eure Liebe Kenntnis haben und daran erinnert werden. Als nämlich der Herr gesagt hatte: „Ich bin zum Gerichte in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehen, und die sehen, blind werden“, was wir anläßlich der letzten Lesung nach Vermögen erklärten, sagten einige aus den Pharisäern: „Sind etwa auch wir blind?“ Er antworte ihnen: „Wenn ihr blind wäret, würdet ihr keine Sünde haben; nun aber sagt ihr: Wir sehen; eure Sünde bleibt“1255. Diesen Worten fügte er das bei, was wir bei der heutigen Lesung vernommen haben.