wieder nicht aus ihm. Wie waren sie aus ihm? Weil er den Menschen erschaffen hat, aus dem sie geboren wurden. Wie waren sie aus ihm? Weil er der Urheber der Natur, der Schöpfer des Leibes und der Seele ist. Wie waren sie also nicht aus ihm? Weil sie durch sich selbst verkehrt geworden waren. Sie waren nicht aus ihm, weil sie, dem Teufel nachahmend, Söhne des Teufels geworden waren.
16.
Es kam also Gott der Herr zum Menschen, der ein Sünder war. Zwei Namen hast du gehört, Mensch und Sünder. Sofern er Mensch ist, ist er aus Gott; sofern er Sünder ist, ist er nicht aus Gott. Man halte Natur und Verderbtheit auseinander; man anerkenne die Natur, um den Schöpfer zu preisen; man anerkenne die Verderbtheit, um ihretwegen den Arzt zu suchen. Wenn also der Herr sagt: „Wer aus Gott ist, hört Gottes Wort; deshalb hört ihr es nicht, weil ihr nicht aus Gott seid“, so hat er damit nicht einen Wertunterschied der Naturen ausgesprochen oder außer* seiner* Seele und* seinem* Fleische eine Natur bei den Menschen gefunden, welche durch die Sünde nicht verderbt gewesen wäre, sondern weil er die in der Zukunft an ihn Glaubenden zum voraus erkannte, so hat er von diesen gesagt, sie seien aus Gott, da sie durch die Kindschaft der Wiedergeburt aus Gott geboren werden sollten. Auf diese bezieht sich: „Wer aus Gott ist, hört Gottes Wort“. Das Folgende aber: „Deshalb hört ihr es nicht, weil ihr nicht aus Gott seid“, gilt denen, die nicht bloß durch die Sünde verderbt waren (denn dieses Übel war allen gemeinsam), sondern von denen er auch vorherwußte, daß sie nicht glauben würden mit jenem Glauben, durch den sie allein vom Bande der Sünde befreit werden könnten. Darum wußte er von denen, zu welchen er solches sagte, vorher, daß sie in dem verharren würden, was sie aus dem Teufel waren, d. h. daß sie in ihren Sünden und ihrer Gottlosigkeit verharren würden, worin sie ihm ähnlich waren, und daß sie nicht zur Wiedergeburt gelangen würden, in der sie Kinder Gottes wären, d. h. aus Gott wiedergeboren, von dem sie als Menschen erschaffen worden waren. Im Sinne dieser Vorherbestimmung hat der Herr geredet, nicht daß er einen Menschen gefunden hätte, der entweder der Wiedergeburt nach bereits aus Gott gewesen wäre oder der Natur nach überhaupt nicht aus Gott wäre.
43. Vortrag
Einleitung.
Dreiundvierzigster Vortrag.
Von da an, wo es heißt: „Es antworteten ihm die Juden und sagten zu ihm“, bis dahin: „Da hoben also die Juden Steine auf, um auf ihn zu werfen; Jesus aber verbarg sich und ging aus dem Tempel“. Joh. 8, 48―59.
1.
In dem Lesestück des Evangeliums, welches heute vorgelesen wurde, lernen wir von der Macht Geduld1194. Denn was sind wir Knechte gegen den Herrn, wir Sünder gegen den Gerechten, wir Geschöpfe gegen den Schöpfer? Doch gleich wie wir, wenn wir etwas Böses sind, dies von uns selbst sind, so sind wir, was immer wir Gutes sind, von ihm und durch ihn. Und nach nichts trachtet der Mensch so sehr als nach Macht; er hat Christus den Herrn ― eine große Macht, aber zuerst ahme er seine Geduld nach, um zur Macht zu gelangen. Wer von uns würde es geduldig anhören, wenn zu ihm gesagt würde: „Du hast einen Teufel“? Das wurde zu demjenigen gesagt, der nicht bloß die Menschen rettete, sondern auch den Teufeln gebot.
2.
Als nämlich die Juden zu ihm gesagt hatten: „Sagen wir nicht mit Recht, daß Du ein Samaritaner bist, und daß Du einen Teufel hast?“ da verneinte er von diesen beiden ihm vorgeworfenen Dingen das eine, während er das andere nicht verneinte. Denn er antwortete und sprach: „Ich habe keinen Teufel“. Er sagte nicht: Ich bin kein Samaritaner, und doch war ihm beides vorgeworfen worden. Obwohl er Schmähung nicht mit Schmähung erwiderte, obwohl er Schimpfrede nicht mit Schimpfrede zurückwies, so kam es ihm doch zu, das eine zu verneinen, das andere nicht zu verneinen. Nicht ohne Grund, Brüder. Denn Samaritaner heißt soviel als Wächter. Er war sich bewußt, unser Wächter zu sein. Denn „nicht schläft noch schlummert, der da Israel bewacht“1195. Und „wenn der Herr die Stadt nicht bewacht, dann wachen vergebens die Wächter“1196. Es ist also der unser Wächter, der unser Schöpfer ist. Lag ihm etwa daran, daß wir* erlöst* würden, und sollte ihm nichts daran liegen, daß wir* bewahrt* würden? Damit ihr schließlich das Geheimnis noch vollständiger erfasset, warum er es nicht ablehnen durfte, ein Samaritaner zu sein, so denket an jenes so bekannte Gleichnis, wo ein Mensch von Jerusalem nach Jericho hinabging und unter die Räuber fiel, die ihn schwer verwundeten und halbtot am Wege liegen ließen. Es ging ein Priester vorbei und achtete nicht auf ihn; es kam ein Levit dazu, auch er ging seines Weges weiter; es kam ein Samaritaner daher ― der ist unser Wächter ― dieser näherte sich dem Verwundeten, tat an ihm Barmherzigkeit und erwies sich dem als Nächsten, den er nicht als einen Fremden ansah1197. Nur darauf also antwortete er, daß er keinen Teufel habe, nicht aber, daß er kein Samaritaner sei.
3.
Sodann nach einer solchen Lästerung sprach er bloß dies über seine Ehre: „Ich ehre“, sagt er, „meinen Vater, und ihr entehret mich“. Das heißt: Ich ehre mich nicht, damit ich euch nicht als anmaßend erscheine; ich habe jemand, den ich ehre. Aber wenn ihr mich erkennen würdet, so würdet auch ihr, wie ich den Vater ehre, mich ehren. Ich tue, was meine Pflicht ist, ihr tut nicht, was eure Pflicht ist.
4.
„Ich aber“, sagt er, „suche nicht meine Ehre; es ist einer, der sie sucht und richtet“. Wen anders will er damit verstanden haben als den Vater? Wie sagt er also an einer andern Stelle: „Der Vater richtet niemand, sondern hat alles Gericht dem Sohne gegeben“1198, während er hier sagt: „Ich suche nicht meine Ehre; es ist einer, der sie sucht und richtet“. Wenn also der Vater richtet, wie ist es dann zu verstehen, daß er niemand richtet, sondern alles Gericht dem Sohne gegeben hat?
5.
Damit wir diese Frage lösen, gebet acht; sie läßt sich durch eine ähnliche Redeweise lösen. Du findest geschrieben: „Gott versucht niemand“1199, und wiederum findest du geschrieben: „Es versucht euch der Herr, euer Gott, um zu erfahren, ob ihr ihn liebet“1200. Das ist doch wohl eine Frage; das seht ihr ein. Denn wie „versucht Gott niemand“ und wie „versucht euch der Herr, euer Gott, um zu erfahren, ob ihr ihn liebet“? Desgleichen steht geschrieben: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus“1201, und an einer andern Stelle steht geschrieben: „Die Furcht des Herrn ist lauter, bleibend für und für“1202. Auch das ist eine Frage. Denn wie „treibt die vollkommene Liebe die Furcht aus“, wenn „die lautere Furcht des Herrn für und für bleibt“?
6.
Wir sehen also, es gibt zweierlei Versuchungen, eine, welche täuscht, und eine andere, welche prüft; nach der, welche täuscht, „versucht Gott niemand“, nach der, welche prüft, „versucht euch der Herr, euer Gott, um zu erfahren, ob ihr ihn liebet“. Allein abermal erhebt sich auch hier eine Frage, wie er „versucht, um zu erfahren“, er, dem nichts verborgen sein kann, noch ehe er versucht. Also Gott ist nichts unbekannt, wenn es aber heißt: „um zu erfahren“, so ist das soviel als: um es euch zur Kenntnis zu bringen. Solche Redensarten gibt es auch in unsern Gesprächen, und sie finden sich auch bei den Meistern der Beredsamkeit. Ich will etwas aus unserer Umgangssprache anführen. Man spricht von einem „blinden Graben“, nicht weil er die Augen verloren hat, sondern weil er durch seine Verborgenheit die Leute hindert, ihn zu sehen. Auch von den Schriftstellern will ich etwas anführen. „Traurige Bohnen“, sagt einer1203, d. h. bittere, nicht weil sie selbst traurig sind, sondern weil sie beim Verkosten betrüben d. h. traurig machen. Es gibt also auch in den heiligen Schriften solche Redeweisen. Die mit der Erforschung solcher Fragen sich beschäftigen, finden keine Mühe in der Lösung dieser Fragen. Also „versucht euch der Herr, euer Gott, um zu erfahren“; ― was heißt das: „um zu erfahren?“ ― um euch wissen zu lassen, „ob ihr ihn liebet“. Job kannte sich nicht, aber Gott war er nicht verborgen;