Augustinus von Hippo

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 2


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Es gibt eine knechtische Furcht und eine keusche Furcht. Es gibt eine Furcht, damit man keine Strafe erleide, und es gibt eine andere Furcht, damit man die Gerechtigkeit nicht verliere. Die Furcht vor der Strafe ist knechtische Furcht. Was ist das Großes, Strafe zu fürchten? Das tut auch der nichtswürdigste Knecht, das tut auch der gefühlloseste Räuber. Es ist nichts Großes, die Strafe zu fürchten, aber es ist etwas Großes, die Gerechtigkeit zu lieben. Wer also die Gerechtigkeit liebt, fürchtet der nichts? Gewiß, er fürchtet, nicht, er möchte Strafe erleiden, sondern er möchte die Gerechtigkeit verlieren. Meine Brüder, glaubet und folgert daraus, was ihr liebet. Es liebt einer von euch etwa das Geld. Meinst du, ich finde einen, der es nicht liebt? Gerade aus dem aber, was er liebt, mag er verstehen, was ich sage. Er fürchtet den Verlust; warum fürchtet er den Verlust? Weil er das Geld liebt. In dem Grade als er das Geld liebt, fürchtet er auch, er möchte das Geld verlieren. Nun findet sich ein Liebhaber der Gerechtigkeit, der mehr im Herzen einen Verlust scheut, der mehr fürchtet, er möchte der Gerechtigkeit beraubt werden als du des Geldes. Das ist die keusche Furcht, diese währt für und für; diese hebt die Liebe nicht auf, noch treibt sie dieselbe aus, sondern schließt sie vielmehr in sich und wählt sie zur Begleiterin und hält sie fest. Wir kommen ja zum Herrn, um ihn von Angesicht zu Angesicht zu schauen; dort bewahrt uns die keusche Furcht; denn jene Furcht verwirrt nicht, sondern befestigt. Es fürchtet das ehebrecherische Weib, ihr Mann möchte kommen; es fürchtet auch das keusche Weib, ihr Mann möchte scheiden.

       8.

      Wie also nach der einen Versuchung „Gott niemand versucht“, nach der andern aber „der Herr, euer Gott, euch versucht“; und wie im Sinne der einen Furcht „keine Furcht ist in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe die Furcht austreibt“, im Sinne der andern Furcht aber „die keusche Furcht des Herrn ewig währt“, so auch an unserer Stelle: nach dem einen Gerichte „richtet der Vater niemand, sondern hat alles Gericht dem Sohne gegeben“, nach dem andern Gerichte aber sagt er: „Ich suche nicht meine Ehre; es ist einer, der sie sucht und richtet“.

       9.

      Auch hinsichtlich des Wortes selbst soll diese Frage gelöst werden. Du findest im Evangelium ein Strafgericht erwähnt: „Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet“1204, und an einer andern Stelle: „Es wird die Stunde kommen, da diejenigen, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und es werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichtes“1205. Sehet, wie er Gericht für Verdammung und Strafe gesetzt hat! Und doch, wenn Gericht immer für Verdammung genommen würde, würden wir dann wohl in den Psalmen hören: „Richte mich, o Gott“? Dort steht „Gericht“ im Sinne von Bedrängnis, hier im Sinne von Ausscheidung. Wie im Sinne von Ausscheidung? So wie es der selbst erklärt, der sagt: „Richte mich, o Gott“. Denn lies weiter und siehe, was folgt. Was heißt: „Richte mich, o Gott“? „Scheide meine Sache“, sagt er, „von dem unheiligen Volke“1206. Wie es also heißt: „Richte mich, o Gott, und scheide meine Sache von dem unheiligen Volke“, in diesem Sinne sagt jetzt Christus der Herr; „Ich suche nicht meine Ehre; es ist einer, der sie sucht und richtet“. Wie „ist einer, der sie sucht und richtet“? Es ist der Vater, der meine Ehre von eurer Ehre ausscheidet und trennt. Denn ihr suchet Ehre im Sinne dieser Welt, ich suche keine Ehre im Sinne dieser Welt, der ich zum Vater sage: „Vater, verherrliche mich mit jener Herrlichkeit, die ich bei Dir hatte, ehe die Welt war“1207. Was heißt: „mit jener Herrlichkeit“? Mit einer Herrlichkeit, die fern ist von menschlicher Aufgeblasenheit. In diesem Sinne richtet der Vater. Was heißt: er richtet? Er scheidet aus. Was scheidet er aus? Die Ehre seines Sohnes von der Ehre der Menschen; denn es heißt deshalb: „Es hat Dich, o Gott, Dein Gott gesalbt mit dem Öle der Freude vor Deinen Genossen“1208. Denn nicht ist er, weil er Mensch geworden, sofort mit uns zu vergleichen. Wir sind mit Sünde behaftete Menschen, er ist ohne Sünde; wir sind Menschen, die von Adam Tod und Sünde erben; er nahm von der Jungfrau sterbliches Fleisch an, aber keine Sünde. Ferner, wir sind weder, weil wir wollen, geboren, noch auch leben wir, solange wir wollen; er hat vor seiner Geburt diejenige ausgewählt, von der er geboren werden sollte, nach seiner Geburt bewirkte er, daß er von den Magiern angebetet wurde, wuchs als Kind und erwies sich durch Wunder als Gott und stellte in Schwachheit den Menschen heraus. Zuletzt hat er auch die Art des Todes erwählt, nämlich daß er am Kreuze hing und eben dieses Kreuz auf die Stirne der Gläubigen heftete, so daß der Christ spricht: „Mir aber sei es ferne, mich zu rühmen, es sei denn im Kreuze unseres Herrn Jesu Christi“1209. Am Kreuze selbst verließ er, wann er wollte, den Leib und starb; im Grabe lag er, solange er wollte; wann er wollte, stand er wie vom Ruhelager auf. Also, Brüder, selbst nach der Knechtsgestalt (denn wer redet nach Gebühr darüber: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“?), selbst nach der Knechtsgestalt, sage ich, ist ein großer Unterschied zwischen der Ehre Christi und der Ehre der übrigen Menschen. Von eben dieser Ehre sprach er, als er hörte, er habe einen Teufel: „Ich suche nicht meine Ehre; es ist einer, der sie sucht und richtet“.

       10.

      Du aber, o Herr, was sagst Du von Dir? „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wenn jemand mein Wort hält, wird er den Tod nicht schauen in Ewigkeit.“ Ihr, sagt er, behauptet: „Du hast einen Teufel“; ich rufe euch zum Leben, haltet mein Wort und ihr werdet nicht sterben. Jene hörten: „Der wird den Tod nicht schauen in Ewigkeit, der mein Wort hält“, und wurden zornig, weil sie bereits im Sinne jenes Todes gestorben waren, der zu meiden war. „Es sagten also die Juden: Jetzt erkennen wir, daß Du einen Teufel hast. Abraham ist gestorben und die Propheten, und Du sagst: Wenn jemand mein Wort hält, so wird er den Tod nicht kosten in Ewigkeit.“ Gebet acht auf die Redeweise der Schrift: „er wird den Tod nicht schauen“ d. h. „kosten“. „Er wird den Tod schauen, den Tod kosten.“ Wer schaut? Wer kostet? Welche Augen hat der Mensch, um zu schauen, wenn er stirbt? Wenn der Tod bei seiner Ankunft die Augen schließt, damit sie nichts sehen, wie heißt es dann: „er wird den Tod nicht schauen“? Desgleichen mit welchem Gaumen, mit welchem Schlund wird der Tod gekostet, damit man erkenne, wie er schmeckt? Wenn er die Sinne überhaupt aufhebt, was wird dann im Gaumen übrig bleiben? Aber „er wird schauen“ und „er wird kosten“, heißt es statt: er wird erfahren.

       11.

      Das redete der Herr ― es ist zu wenig, wenn ich sage, zu solchen, die sterben sollten, er redete vielmehr als einer, der selbst sterben sollte, weil „auch des Herrn der Ausweg des Todes ist“1210, wie der Psalmist spricht. Da er also zu solchen redet, die sterben sollten, und als ein solcher, der selbst sterben sollte, worauf deutet seine Rede: „Wer mein Wort hält, wird den Tod nicht schauen in Ewigkeit“, sonst hin, als daß er einen andern Tod sah, von dem er uns zu befreien gekommen war, den zweiten Tod, den ewigen Tod, den Tod der Hölle, den Tod der Verdammnis mit dem Teufel und seinen Engeln? Das ist der wahre Tod, denn der andere ist nur eine Wanderung. Was ist der Tod in diesem letzteren Sinne? Ein Verlassen des Leibes, ein Niederlegen der schweren Bürde, aber nur wenn man keine andere Bürde trägt, durch die der Mensch in die Hölle gestürzt wird. Von jenem Tode also hat der Herr gesagt: „Es wird den Tod nicht schauen in Ewigkeit, wer mein Wort hält“.

       12.

      Nicht scheuen sollen wir diesen Tod1211, aber fürchten sollen wir jenen1212. Was aber das Schlimmste ist, viele sind durch eine verkehrte Furcht vor diesem Tode jenem anheimgefallen. Zu einigen ist gesagt worden: Betet die Götzen an; wenn ihr es nicht tut, werdet ihr getötet werden; oder wie jener Nabuchodonosor sagte: „Wenn ihr es nicht tut, werdet ihr in den glühenden Feuerofen geworfen werden“1213. Viele fürchteten sich und leisteten die Anbetung; sie wollten nicht sterben und sind gestorben; aus Furcht vor dem Tode, dem man nicht entgeht, sind sie dem Tode anheimgefallen, dem sie glücklich hätten entgehen können, wenn sie nicht den, dem man nicht entgehen kann, unglückseligerweise gefürchtet hätten. Du bist als Mensch geboren, du wirst sterben. Wo willst du gehen, um nicht zu sterben? Was willst du tun, um nicht zu sterben? Um den, der notwendig sterben wird, zu trösten, hat dein Herr sich gewürdigt, freiwillig zu sterben. Da du siehst, daß Christus gestorben, kannst*