Augustinus von Hippo

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 2


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Knecht der Sünde. Mißbrauche also die Freiheit nicht, daß du freiwillig sündigest, sondern gebrauche sie so, daß du nicht sündigest. Denn dein Wille wird frei sein, wenn er fromm ist. Du wirst frei sein, wenn du ein Knecht bist ― frei von der Sünde, ein Knecht der Gerechtigkeit, wie der Apostel sagt: „Als ihr Knechte der Sünde waret, waret ihr frei von der Gerechtigkeit; jetzt aber, da ihr frei seid von der Sünde, Knechte aber Gottes geworden, habt ihr als eure Frucht die Heiligung, als das Ende aber das ewige Leben“1159. Danach laßt uns trachten, danach streben.

       9.

      Der erste Grad der Freiheit besteht darin, von Verbrechen frei zu sein1160. Gebt acht, meine Brüder, gebt acht, ob ich euch nicht etwa zum Bewußtsein bringen kann, wie diese Freiheit jetzt beschaffen ist und wie sie in der Zukunft beschaffen sein wird. Du magst einen auch in hohem Grade Gerechten in diesem Leben prüfen, er ist, wenn er auch den Namen eines Gerechten verdient, dennoch nicht ohne alle Sünde. Höre den heiligen Johannes selbst, von dem auch dieses Evangelium stammt, wie er in seinem Briefe sich ausdrückt: „Wenn wir sagen“, schreibt er, „daß wir keine Sünde haben, so täuschen wir uns selbst, und Wahrheit ist nicht in uns“1161. Dies könnte allein der „Freie unter den Toten“ (siehe oben Nr. 7) sagen, von ihm allein konnte man es sagen, der die Sünde nicht kannte; nur von ihm konnte man es sagen; denn er hat alles in ähnlicher Weise erfahren wie wir, die Sünde ausgenommen1162. Er allein konnte sagen: „Siehe, er wird kommen der Fürst dieser Welt, und er wird an mir nichts finden“. Wen immer du auch prüfen magst, sei er auch gerecht, er ist nicht durchaus ohne Sünde; auch nicht einer wie Job, dem der Herr ein solches Zeugnis gab, daß der Teufel ihm neidig wurde und ihn zu versuchen verlangte, ihn versuchend aber überwunden wurde, damit jener bewährt würde1163. Bewährt aber wurde er; nicht deshalb weil er als ein der Krönung Würdiger Gott unbekannt gewesen wäre, sondern damit er den Menschen als ein nachahmungswürdiges Beispiel bekannt würde. Und was sagt Job selbst? „Wer ist denn rein? Nicht einmal das Kind, dessen Leben erst einen Tag währt auf Erden“1164. Aber sicher viele sind gerecht genannt worden ohne Tadel, was dahin zu verstehen ist: ohne Verbrechen; denn kein gerechter Tadel hat in menschlichen Dingen betreffs solcher statt, die kein Verbrechen auf sich haben.* Ein Verbrechen* (crimen)* aber ist eine schwere Sünde* (peccatum grave),* die mit vollem Rechte Anklage und Verdammung verdient*. Gott verdammt also nicht einige Sünden, während er andere rechtfertigt und lobt; er lobt keine Sünde, haßt vielmehr alle. Wie der Arzt das Übelbefinden des Kranken haßt und durch seine Tätigkeit darauf ausgeht, die Krankheit zu vertreiben, dem Kranken Erleichterung zu verschaffen, so wirkt Gott durch seine Gnade in uns darauf hin, die Sünde zu beseitigen, den Menschen zu befreien. Aber wann wird sie beseitigt, wirst du sagen? Wenn sie vermindert wird, warum wird sie nicht beseitigt? Vermindert aber wird im Leben der Voranschreitenden das, was beseitigt wird im Leben der Vollkommenen.

       10.

      Der erste Grad der Freiheit also besteht darin, von Verbrechen frei sein. Darum hat auch der Apostel Paulus, als er die zu Priestern oder Diakonen zu Weihenden oder wer immer zur kirchlichen Vorstandschaft bestellt werden sollte, auswählte, nicht gesagt: Wenn jemand ohne Sünde ist; denn würde er so sagen, dann würde jeder Mensch beanstandet, keiner geweiht werden, sondern er hat gesagt: „Wenn jemand ohne Verbrechen ist“1165, wie Mord, Ehebruch, irgendeine (bliqua) Unreinigkeit der Hurerei, Diebstahl, Betrug, Sakrilegium und anderes derart. Wenn der Mensch anfängt, davon frei zu sein (es soll aber jeder Christ davon frei sein), dann fängt er an, das Haupt zur Freiheit zu erheben, aber dies ist bloß die beginnende, nicht die vollendete Freiheit. Warum ist es, sagt einer, nicht die vollendete Freiheit? Weil „ich ein anderes Gesetz in meinen Gliedern sehe, das dem Gesetze meines Geistes widerstreitet; denn nicht, was ich will“, sagt er, „tue ich, sondern was ich hasse, das tue ich“1166. „Das Fleisch“, sagt er, „gelüstet wider den Geist, und der Geist wider das Fleisch, daß ihr nicht das tut, was ihr wollt“1167. Zum Teil Freiheit, zum Teil Knechtschaft; noch keine ganze, keine reine, keine vollständige Freiheit, weil noch nicht die Ewigkeit. Denn zum Teil liegt auf uns Schwachheit, zum Teil haben wir die Freiheit erlangt. Was immer von uns gesündigt worden ist, ist ehedem getilgt worden in der Taufe. Ist etwa, weil alle Ungerechtigkeit getilgt wurde, keine Schwachheit zurückgeblieben? Wenn keine zurückgeblieben wäre, würden wir hier ohne Sünde leben. Wer aber möchte sich unterstehen, dies zu sagen, außer ein Hochmütiger, außer wer der Barmherzigkeit des Erlösers unwürdig ist, außer wer sich selbst betrügen will und in dem keine Wahrheit ist? Also deshalb weil eine gewisse Schwäche zurückgeblieben ist, wage ich zu sagen: Soweit wir Gott dienen, sind wir frei, soweit wir dem Gesetze der Sünde dienen, sind wir noch Knechte. Darum sagt der Apostel, was wir zu sagen angefangen hatten: „Ich habe Freude am Gesetze Gottes dem inneren Menschen nach“1168. Siehe, inwiefern wir frei sind, inwiefern wir Freude haben am Gesetze Gottes; die Freiheit bringt nämlich Freude. Denn solange du aus Furcht tust, was gerecht ist, erfreut dich Gott nicht1169. Solange du es noch als Knecht tust, freut es dich nicht; es möge dich freuen, und du bist frei. Fürchte nicht die Strafe, sondern liebe die Gerechtigkeit. Kannst du die Gerechtigkeit noch nicht lieben? Fürchte wenigstens die Strafe, damit du zur Liebe der Gerechtigkeit gelangest.

       11.

      Also schon fühlte sich jener dem höheren Teile nach frei, weshalb er sagte: „Ich habe Freude am Gesetze Gottes dem inneren Menschen nach“. Es freut mich das Gesetz, es freut mich, was das Gesetz befiehlt, es freut mich die Gerechtigkeit selbst. „Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern“ ― das ist die zurückgebliebene Schwachheit ―, „welches dem Gesetze meines Geistes widerstreitet und mich gefangen hält unter dem Gesetze der Sünde, das in meinen Gliedern ist.“ Nach dieser Seite hin fühlt er die Gefangenschaft, wo die Gerechtigkeit nicht erfüllt ist; denn wo er am Gesetze Gottes Freude hat, ist er nicht gefangen, sondern ein Freund des Gesetzes, und darum frei, weil ein Freund. Was bleibt nun noch übrig? Was anders, als daß wir auf jenen hinblicken, der gesagt hat: „Wenn euch der Sohn befreit, dann werdet ihr wahrhaft frei sein“? Demgemäß hat auch der, der da redete, zu ihm hingeblickt: „Ich unglückseliger Mensch, wer wird mich befreien“, sagt er, „von dem Leibe dieses Todes? Die Gnade Gottes durch Jesus Christus unsern Herrn“. Also „wenn euch der Sohn befreit, dann werdet ihr wahrhaft frei sein“. Zuletzt schloß er so: „Also ich derselbe diene im Geiste dem Gesetze Gottes, dem Fleische nach aber dem Gesetze der Sünde“1170. „Ich derselbe“, sagt er; denn wir sind nicht zwei einander Entgegengesetzte, die einen verschiedenen Ursprung haben, sondern „ich derselbe diene im Geiste dem Gesetze Gottes, dem Fleische nach aber dem Gesetze der Sünde“, solange die Schwachheit gegen das Heil ankämpft.

       12.

      Aber wenn du dem Fleische nach dem Gesetze der Sünde dienst, dann tue, was derselbe Apostel sagt: „Nicht also* herrsche* die Sünde in eurem sterblichen Leibe, daß ihr seinen Begierden gehorchet, und bietet nicht eure Glieder zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit für die Sünde dar“1171. Er sagt nicht: die Sünde* sei* nicht, sondern: „sie* herrsche* nicht“. Solange die Sünde in deinen Gliedern sein muß, soll ihr wenigstens die Herrschaft genommen werden; es soll nicht geschehen, was sie befiehlt. Es erhebe sich der Zorn? Leihe dem Zorne nicht die Zunge zum Schmähen; gib dem Zorne nicht die Hand oder den Fuß zum Schlagen. Es würde sich jener unvernünftige Zorn nicht erheben, wenn nicht die Sünde in den Gliedern wäre; aber nimm ihm die Herrschaft, er soll keine Waffen haben, gegen dich zu kämpfen; er wird lernen, sich auch nicht zu erheben, wenn er keine Waffen mehr findet. „Bietet eure Glieder nicht als Werkzeuge der Ungerechtigkeit für die Sünde dar“, sonst werdet ihr ganz gefangen sein und nicht sagen können: „Dem Geiste nach diene ich dem Gesetze Gottes“. Denn wenn der Geist die Waffen hält, bewegen sich die Glieder nicht zum Dienste der rasenden Sünde. Es besetze die Burg der innere Befehlshaber, weil er unter einem höheren Befehlshaber, der ihn unterstützt, Hilfe leistet; er zügle den Zorn, halte die Begierlichkeit in Schranken. Es ist etwas darin, was gezügelt, es ist etwas darin, was in Schranken gehalten, es ist etwas darin, was niedergehalten werden muß. Was aber wollte jener Gerechte, der im Geiste dem Gesetze Gottes diente, als daß gar nichts da wäre, was der Zügelung bedürfte? Und das muß jeder versuchen,