Augustinus von Hippo

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 2


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hingeben. Jetzt gebe eure Liebe acht. „Mit geneigtem Haupte gab er den Geist auf.“ Wer gab auf? Was gab er auf? Den Geist gab er auf, das Fleisch gab ihn auf. Was heißt: das Fleisch gab ihn auf? Das Fleisch entließ ihn, das Fleisch hauchte ihn aus. Darum heißt ja aushauchen (exspirare) soviel als vom Geiste sich trennen (extra spiritum fieri). Wie in der Verbannung sein (exsulare) soviel ist, als außerhalb des heimatlichen Bodens sein (extra solum fieri), und austreten (exorbitare) soviel, als aus dem Geleise kommen (extra orbitam fieri), so ist aushauchen soviel, als vom Geiste sich trennen, und der Geist ist die Seele. Wenn also die Seele vom Fleische sich entfernt und das Fleisch ohne die Seele bleibt, dann sagt man vom Menschen, daß er die Seele hingibt. Wann hat Christus die Seele hingegeben? Als das Wort wollte. Denn die Oberherrschaft hatte das Wort; in ihm war die Macht zu bestimmen, wann das Fleisch die Seele hingeben und wann es dieselbe wieder nehmen sollte.

       12.

      Wenn also das Fleisch die Seele hingab, wie hat Christus die Seele hingegeben? Ist denn Christus nicht Fleisch? Ja gewiß, Fleisch ist Christus und Seele ist Christus und Wort ist Christus, und doch sind diese drei nicht drei Christus, sondern* ein* Christus. Befrage den Menschen und von dir selbst erhebe dich zu dem, was über dir ist, wenn auch noch nicht, um es zu verstehen, so doch wenigstens um es zu glauben. Denn wie Seele und Leib* ein* Mensch ist, so ist Wort und Mensch* ein* Christus. Sehet zu, was ich gesagt habe, und versteht es! Seele und Leib sind zwei Dinge, aber* ein* Mensch, Wort und Mensch sind zwei Dinge, aber* ein* Christus. Also um den Menschen frage. Wo ist jetzt der Apostel Paulus? Wenn einer antwortet: In der Ruhe bei Christus, so sagt er die Wahrheit. Desgleichen wenn einer antwortet: Zu Rom im Grabe, so sagt auch er die Wahrheit. Die eine Antwort gibt er mir betreffs der Seele, die andere betreffs des Fleisches. Und doch meinen wir deshalb nicht zwei Apostel Paulus, wovon der eine in Christus ruht, der andere im Grabe liegt, obwohl wir vom Apostel Paulus sagen, er lebe in Christus, und von demselben Apostel Paulus auch wieder sagen, er liege tot im Grabe1335. Es stirbt jemand; wir sagen: Ein guter Mensch, ein gläubiger Mensch, er ist im Frieden bei Christus, und gleich darauf: Wir wollen zu seinem Leichenbegängnis gehen und ihn begraben. Du willst den begraben, von dem du gesagt hattest, er sei bereits im Frieden bei Gott, da ja etwas anderes die Seele ist, welche unsterblich fortlebt, etwas anderes der Leib, der verweslich daliegt. Allein seitdem die Verbindung von Fleisch und Seele den Namen Mensch bekam, behielt nun jedes von beiden auch einzeln und abgesondert den Namen Mensch.

       13.

      Niemand werde also unruhig, wenn er hört, der Herr habe gesagt: „Ich gebe meine Seele hin und nehme sie wieder“. Das Fleisch1336 gibt sie hin, aber in der Kraft des Wortes; das Fleisch nimmt sie wieder, aber in der Kraft des Wortes. Christus der Herr selbst heißt auch das bloße Fleisch. Wie, sagt einer, beweisest du das? Ich wage zu sagen, auch das bloße Fleisch Christi heißt Christus. Wir glauben gewiß nicht bloß an Gott den Vater, sondern auch an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn. Eben habe ich das Ganze genannt: An Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn. An das Ganze denke dabei: an das Wort, die Seele und das Fleisch. Aber gewiß bekennst du auch das, was derselbe Glaube enthält, daß du nämlich glaubst an Christus, der gekreuzigt und begraben wurde. Also auch von dem Begrabenen leugnest du nicht, daß er Christus ist, und doch ist bloß das Fleisch begraben worden. Denn wenn dort auch die Seele war, dann war er nicht tot; wenn es aber ein wahrer Tod war, damit seine Auferstehung eine wahre sei, dann war er ohne die Seele im Grabe, und doch ist* Christus* begraben worden. Also war das Fleisch auch ohne die Seele Christus, da ja nur das Fleisch begraben wurde. Das magst du auch aus den Worten des Apostels ersehen: „Seid gesinnt“, sagt er, „wie Jesus Christus, der, da er in der Gestalt Gottes war, es für keinen Raub hielt, Gott gleich zu sein“. Wer außer Christus Jesus, sofern er das Wort ist, ist Gott bei Gott? Siehe jedoch, was folgt: „Aber er erniedrigte sich selbst, indem er Knechtsgestalt annahm; er wurde den Menschen ähnlich und in seinem Äußern wie ein Mensch erfunden“. Und von wem gilt dies als eben von demselben Christus Jesus? Aber hier ist alles beieinander: das Wort in der Gestalt Gottes, welche die Knechtsgestalt annahm, ferner Seele und Fleisch in der Knechtsgestalt, welche von der Gestalt Gottes angenommen wurde. „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode“1337. Nun ist aber im Tode bloß das Fleisch von den Juden getötet worden. Denn wenn er zu den Jüngern sagte: „Fürchtet nicht diejenigen, welche den Leib töten, die Seele aber nicht töten können“1338, konnten sie etwa bei ihm mehr als den Leib töten? Und doch ist, indem das Fleisch getötet wurde, Christus getötet worden. So hat, als das Fleisch die Seele hingab, Christus die Seele hingegeben, und als das Fleisch, um auferstehen zu können, die Seele wieder annahm, Christus die Seele angenommen. Jedoch ist dies nicht durch die Kraft des Fleisches geschehene, sondern durch die Kraft dessen, der Seele und Leib, in welchem dies sich erfüllen sollte, angenommen hat.

       14.

      „Diesen Auftrag“, sagt er, „habe ich vom Vater empfangen.“ Das Wort hat nicht durch ein Wort den Auftrag empfangen, sondern in dem eingeborenen Worte des Vaters ist jeder Auftrag. Wenn es aber heißt, der Sohn empfange vom Vater, was er wesenhaft hat, gleichwie es heißt: „Wie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohne gegeben, das Leben in sich selbst zu haben“1339, obwohl der Sohn selbst das Leben ist, so wird hiemit nicht die Macht vermindert, sondern seine Zeugung dargetan. Denn der Vater hat nicht gleichsam einem Sohne, der unvollkommen geboren ist, etwas hinzugegeben, sondern demjenigen, den er als vollkommen zeugte, alles durch die Zeugung gegeben. So hat er ihm, den er nicht als ungleich zeugte, sein gleiches Wesen gegeben. Aber bei dieser Rede des Herrn „entstand“, weil das Licht in der Finsternis leuchtete und die Finsternis es nicht erfaßte1340, „wiederum ein Streit unter den Juden wegen dieser Reden. Es sagten aber viele von ihnen: Er hat einen Teufel und ist von Sinnen; warum hört ihr ihn?“ Das war schon die dichteste Finsternis! „Andere sagten: Das sind nicht die Worte eines Besessenen; kann etwa der Teufel die Augen der Blinden öffnen?“ Die Augen dieser begannen bereits sich zu öffnen.

      48. Vortrag

       Einleitung.

      Achtundvierzigster Vortrag.

      Von der Stelle an: „Es wurde aber das Fest der Tempelweihe zu Jerusalem begangen“, bis dahin: „Alles aber, was Johannes von diesem gesagt hatte, war wahr; und viele glaubten an ihn“. Joh. 10, 22―42.

       1.

      Was wir eurer Liebe schon eindringlich gesagt haben, müßt ihr dauernd im Gedächtnis behalten, daß nämlich der heilige Evangelist Johannes nicht wolle, daß wir immer nur mit Milch uns nähren, sondern feste Speisen genießen sollen. Wer immer jedoch zur Entgegennahme der festen Speise des göttlichen Wortes noch weniger geeignet ist, der lasse sich durch die Milch des Glaubens nähren und zögere nicht zu glauben, was er nicht verstehen kann. Denn der Glaube ist ein Verdienst, das Verständnis der Lohn. Gerade bei der Arbeit angestrengten Denkens schwitzt der Scharfsinn unseres Geistes, um die Flecken menschlichen Nebels abzustreifen und sich zu klären für das Wort Gottes. Man lehne also die Mühe nicht ab, wenn Lust und Liebe vorhanden ist; ihr wißt ja, daß, wer liebt, keine Mühe empfindet. Denn alle Mühe ist nur denjenigen beschwerlich, denen es an Lust und Liebe gebricht. Wenn bei den Geizigen die Habsucht so viele Mühen auf sich nimmt, sollte dann bei uns die Liebe sie nicht auf sich nehmen?

       2.

      Gebt acht auf das Evangelium: „Als aber das Fest der Tempelweihe in Jerusalem begangen wurde“. Encaenia ist das Fest der Tempelweihe. Im Griechischen heißt nämlich* καινόν* [kainon] neu. Wann immer etwas Neues eingeweiht wurde, nannte man es encaenia. Bereits hat auch schon der gewöhnliche Sprachgebrauch dieses Wort. Wenn jemand ein neues Kleid anzieht, so nennt man es encaeniare. Jenen Tag nämlich, an dem der Tempel eingeweiht wurde, begingen die Juden in festlicher Weise. Eben dieser Festtag wurde gefeiert, als der Herr das vorhin Verlesene sprach.

       3.

      „Es war Winter. Und