Gestalt oder gleichsam Glieder des Leibes, sondern es heißt so, weil alles durch ihn geworden ist. Denn auch die Menschen pflegen andere Menschen, durch welche sie ihren Willen ausführen, ihre Hände zu nennen. Bisweilen wird auch das Werk des Menschen selbst die Hand des Menschen genannt, weil es durch die Hand geschieht, wie man ja auch sagt, es erkenne jemand seine Hand, wenn er das von ihm Geschriebene anerkennt. Da man also auf mancherlei Weise auch von der Hand des Menschen spricht, der unter den Gliedern seines Leibes im eigentlichen Sinne eine Hand hat, um wieviel mehr ist es nicht auf einerlei Weise zu verstehen, wenn man von der Hand Gottes liest, der keine körperliche Gestalt hat? Und deshalb verstehen wir an unserer Stelle unter der Hand des Vaters und des Sohnes besser die Macht des Vaters und des Sohnes, damit nicht, wenn wir hier die Hand des Vaters als den Sohn selbst auffassen, das fleischliche Denken anfange, auch vom Sohne selbst einen Sohn zu suchen, den es gleichfalls für die Hand Christi hält. Also „niemand raubt von der Hand meines Vaters“, heißt dies: Niemand raubt mir.
8.
Aber damit du nicht etwa noch schwankest, höre, was folgt: „Ich und der Vater sind eins“. Bis hierher konnten es die Juden noch ertragen; sie hörten: „Ich und der Vater sind eins“, und sie ertrugen es nicht mehr, und hart, wie sie waren, liefen sie zu den Steinen. „Sie nahmen Steine, um ihn zu steinigen“. Der Herr, der nicht litt, was er nicht leiden wollte, und nur litt, was er leiden wollte, redet sie noch an, da sie ihn zu steinigen verlangten. „Die Juden hoben Steine auf, um ihn zu steinigen. Jesus sprach zu ihnen: Viele gute Werke habe ich euch gezeigt von meinem Vater; wegen welches dieser Werke steinigt ihr mich? Und sie antworteten: Wegen eines guten Werkes steinigen wir Dich nicht, sondern wegen der Gotteslästerung, und weil Du, obwohl Du ein Mensch bist, Dich selbst zu Gott machst.“ Das war die Antwort auf seine Äußerung: „Ich und der Vater sind eins“. Siehe, die Juden verstanden, was die Arianer nicht verstehen. Deshalb nämlich wurden sie aufgebracht, weil sie fühlten, es könne nur da gesagt werden: „Ich und der Vater sind eins“, wo Gleichheit zwischen Vater und Sohn vorhanden ist.
9.
Sehet nun aber zu, was der Herr diesen Leuten von langsamer Fassungskraft antwortete. Er erkannte, daß sie den Glanz der Wahrheit nicht ertrugen, und milderte ihn in seinen Worten: „Steht nicht in eurem Gesetze“, d. h. in dem euch gegebenen Gesetze, „geschrieben: Ich habe gesagt: Ihr seid Götter?“ Gott sagt durch den Propheten im Psalme zum Menschen: „Ich habe gesagt: Ihr seid Götter“1350. Als Gesetz bezeichnete der Herr im allgemeinen alle jene Schriften, obwohl er anderswo das Gesetz besonders nennt und dasselbe von den Propheten unterscheidet, wie z. B.: „Das Gesetz und die Propheten bis auf Johannes“1351, und: „An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“1352. Gelegentlich aber teilt er dieselben Schriften in drei Klassen, wo er sagt: „Es mußte sich alles erfüllen, was von mir geschrieben ist in dem Gesetze, in den Propheten und den Psalmen“1353. Jetzt aber bezeichnete er auch die Psalmen mit dem Namen „Gesetz“, wo es heißt: „Ich habe gesagt: Ihr seid Götter. Wenn er jene Götter nannte, an die das Wort Gottes gerichtet wurde, und die Schrift nicht aufgehoben werden kann, wie sprecht ihr zu dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat: Du lästerst, weil ich gesagt habe: Ich bin der Sohn Gottes“? Wenn das Wort Gottes an Menschen ergangen ist, daß sie Götter genannt wurden, wie sollte dann nicht das Wort Gottes selbst, welches bei Gott ist, Gott sein? Wenn durch die Anrede Gottes Menschen Götter werden, wenn sie durch Teilnahme Götter werden, ist dann der, an welchem sie teilnehmen, nicht Gott? Wenn die erleuchteten Lichter Götter sind, ist dann das Licht, welches erleuchtet, nicht Gott? Wenn die gleichsam durch ein heilsames Feuer Erwärmten zu Göttern werden, ist dann der, von dem sie erwärmt werden, nicht Gott? Du trittst zum Lichte hin und wirst erleuchtet und unter die Söhne Gottes gezählt; wenn du dich vom Lichte entfernst, wirst du verdunkelt und unter die Finsternis gerechnet; jenes Licht jedoch tritt nicht zu sich hinzu, weil es von sich nicht zurückweicht. Wenn also euch die Anrede Gottes zu Göttern macht, wie sollte dann nicht das Wort Gottes Gott sein? Der Vater also hat seinen Sohn geheiligt und in die Welt gesandt. Vielleicht sagt einer: Wenn der Vater ihn geheiligt hat, dann war er also einmal nicht heilig? So hat er ihn geheiligt, wie er ihn gezeugt hat. Daß er nämlich heilig sei, hat er ihm durch die Zeugung gegeben, weil er ihn als heilig zeugte. Denn wenn, was geheiligt ward, vorher nicht heilig war, wie sagen wir dann zu Gott dem Vater: „Geheiligt werde Dein Name“1354?
10.
„Wenn ich nicht die Werke meines Vaters tue, so glaubet mir nicht; wenn ich sie aber tue, und wenn ihr mir nicht glauben wollt, so glaubet den Werken, damit ihr erkennet und glaubet, daß der Vater in mir ist und ich in ihm.“ Nicht so sagt der Sohn: In mir ist der Vater und ich in ihm, wie es die Menschen sagen können. Wenn wir nämlich recht denken, sind wir in Gott; und wenn wir recht leben, ist Gott in uns; als Gläubige an seiner Gnade teilnehmend, von ihm erleuchtet, sind wir in ihm und er in uns. Aber nicht so der eingeborene Sohn, er ist im Vater und der Vater in ihm, als der Gleiche in dem, dem er gleich ist. Kurz, wir können ja wohl sagen: Wir sind in Gott, und Gott ist in uns; könnten wir etwa auch sagen: Ich und Gott sind eins? Du bist in Gott, weil Gott dich umschließt; Gott ist in dir, weil du ein Tempel Gottes geworden bist; aber kannst du etwa, weil du in Gott bist, und Gott in dir ist, sagen: Wer mich sieht, sieht Gott, wie der Eingeborene gesagt hat: „Wer mich gesehen hat, hat auch den Vater gesehen“1355, und: „Ich und der Vater sind eins“1356? Erkenne das Eigentum des Herrn und das Geschenk des Knechtes. Das Eigentum des Herrn ist die Gleichheit mit dem Vater, das Geschenk des Knechtes ist die Teilnahme am Heiland.
11.
„Sie suchten ihn nun zu ergreifen.“ Daß sie ihn nur ergreifen würden, aber so, daß sie an ihn glauben und ihn verstehen, nicht so, daß sie gegen ihn wüten und ihn töten. Denn jetzt, meine Brüder, da ich solches rede, als ein Schwacher Starkes, als ein Kleiner Großes, als ein Gebrechlicher Kräftiges ―, sowohl ihr, die ihr gleichsam aus derselben Masse seid wie ich, als auch ich selbst, der ich zu euch rede, wir alle wollen Christus ergreifen. Was heißt ergreifen? Hast du verstanden, so hast du ergriffen. Aber nicht so die Juden; du hast ihn ergriffen, um ihn zu haben; jene wollten ihn ergreifen, um ihn nicht zu haben. Und da sie ihn in solcher Weise ergreifen wollten, was hat er ihnen getan? „Er entging ihren Händen.“ Sie ergriffen ihn nicht, weil sie nicht die Hände des Glaubens hatten. „Das Wort ist Fleisch geworden“, aber es war für das Wort nichts Großes, sein Fleisch den Händen des Fleisches zu entziehen. Mit dem Geiste das Wort ergreifen, das heißt Christus recht ergreifen.
12.
„Und er begab sich wieder jenseits des Jordans, an den Ort, wo Johannes zuerst getauft hatte, und blieb dort. Und es kamen viele zu ihm und sagten: Johannes hat zwar kein Zeichen getan.“ Ihr erinnert euch, wie euch von Johannes gesagt wurde, daß er eine Leuchte war und dem Tage Zeugnis gab1357. Was sagten also jene bei sich: „Johannes hat kein Zeichen getan“? Kein Wunder, sagen sie, hat Johannes zu schauen gegeben; er hat keine Teufel ausgetrieben, kein Fieber verscheucht, keine Blinden sehend gemacht, keine Toten erweckt, nicht so viele tausend Menschen mit fünf oder sieben Broten gespeist, nicht den Winden und Wogen geboten, er ist nicht auf dem Meere gewandelt; von all dem hat Johannes nichts getan, und alles, was er sagte, war ein Zeugnis für diesen. Durch die Leuchte sollen wir zum Lichte kommen. „Johannes hat kein Zeichen getan; alles aber, was Johannes von diesem sagte, war wahr.“ Siehe, diese ergriffen ihn, nicht wie die Juden. Die Juden wollten ihn ergreifen als einen, der weggeht, diese ergriffen ihn als einen, der bleibt. Schließlich was folgt noch? „Und viele glaubten an ihn.“
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