sie. „Es war Winter“, und sie waren kalt; denn zu jenem göttlichen Feuer hinzuzutreten, waren sie zu träge. Aber hinzutreten heißt glauben; wer glaubt, tritt hinzu; wer widerstrebt, tritt zurück. Die Seele bewegt sich nicht mit Füßen, sondern durch Affekte. Sie waren kalt im Streben nach Liebe und brannten vor Verlangen zu schaden. Sie waren weit fort und waren nahe dabei; sie traten nicht im Glauben hinzu und drängten sich verfolgungssüchtig heran. Sie hätten gern vom Herrn hören mögen: Ich bin Christus, und hatten vielleicht Christus nur nach seiner menschlichen Seite im Auge. Die Propheten hatten zwar die Gottheit Christi verkündet, allein die Gottheit Christi in den Propheten und sogar im Evangelium verstehen nicht einmal die Häretiker, um wieviel weniger die Juden, solange der Schleier über ihrem Herzen ist?1341 Mit einem Worte, an einer Stelle hat der Herr Jesus, da er wußte, daß sie Christus nur nach seiner Menschheit, nicht nach seiner Gottheit auffaßten, nach dem, was er als Mensch war, nicht nach dem, was er als Gott auch nach Annahme der Menschheit blieb, zu ihnen gesagt: „Was haltet ihr von Christus? Wessen Sohn ist er?“ Sie antworteten gemäß ihrer Meinung: „Davids“. Denn so hatten sie gelesen, und dies allein hielten sie fest, weil sie seine Gottheit zwar lasen aber nicht verstanden. Der Herr aber, um sie anzuhalten, daß sie die Gottheit desjenigen suchen möchten, dessen Schwäche sie verachteten, antwortete ihnen: „Wie nennt ihn also David im Geiste Herr, indem er sagt: Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze Dich zu meiner Rechten, bis ich Deine Feinde zu Deinen Füßen lege? Wenn ihn also David im Geiste Herr nennt, wie ist er sein Sohn?“1342. Er hat nichts verneint, sondern nur gefragt. Niemand meine, wenn er dies hört, daß der Herr Jesus verneint habe, er sei der Sohn Davids. Wenn Christus der Herr als Sohn Davids sich verneinte, so würde er nicht die ihn so anrufenden Blinden erleuchten. Er ging nämlich einmal vorüber, und zwei am Wege sitzende Blinde riefen: „Erbarme Dich unser, Sohn Davids“. Als er dieses Wort hörte, hatte er Mitleid, blieb stehen, heilte und gab das Augenlicht1343, weil er den Namen anerkannte. Auch der Apostel Paulus sagt: „Der ihm geworden ist aus dem Samen Davids nach dem Fleische“1344, und an Timotheus: „Sei eingedenk, daß Jesus Christus auferstanden ist von den Toten aus dem Samen Davids nach meinem Evangelium“1345. Denn vom Samen Davids stammte die Jungfrau Maria, daher kam der Herr vom Samen Davids.
4.
Um das fragten die Juden Christus als um etwas Großes, damit sie ihn, wenn er sagte: Ich bin Christus, sofern sie eben nur an den Samen Davids dachten, verleumden könnten, daß er sich königliche Macht anmaße. Es ist mehr, was er ihnen antwortete; jene wollten ihn wegen des Ausdruckes „Sohn Davids“ verleumden; er antwortete, er sei der Sohn Gottes. Und wie? Höret. „Jesus antwortete ihnen: Ich rede zu euch, und ihr glaubt nicht; die Werke, die ich im Namen meines Vaters tue, diese geben Zeugnis von mir, aber ihr glaubt nicht, weil ihr nicht von meinen Schafen seid“. Schon weiter oben1346 habt ihr erfahren, wer die Schafe sind; ihr sollt Schafe sein. Schafe sind sie, wenn sie glauben; Schafe sind sie, wenn sie dem Hirten folgen; Schafe sind sie, wenn sie den Erlöser nicht verachten; Schafe sind sie, wenn sie durch die Türe eingehen; Schafe sind sie, wenn sie ausgehen und Weide finden; Schafe sind sie, wenn sie das ewige Leben genießen. Wie hat er also zu jenen gesagt: „Ihr seid nicht von meinen Schafen“? Weil er wußte, daß sie zum ewigen Untergang vorherbestimmt und nicht zum ewigen Leben durch den Preis seines Blutes erkauft seien.
5.
„Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ Siehe, das ist die Weide. Wenn ihr euch erinnert, so hatte er weiter oben gesagt: „Er wird eingehen und ausgehen und wird Weide finden“. Wir sind eingegangen, indem wir glaubten; wir werden ausgehen, indem wir sterben. Aber wie wir durch die Türe des Glaubens eingegangen sind, so müssen wir als Gläubige vom Leibe ausgehen; denn* so* gehen wir durch die Türe selbst aus, daß wir Weide finden können. „Gute Weide“ heißt das ewige Leben; da verdorrt kein Kraut, da grünt alles, blüht alles. Man pflegt ein gewisses Gewächs „Immergrün“ zu nennen; dort findet sich nur Leben. „Das ewige Leben“, sagt er, „werde ich ihnen geben“. Ihr sucht deshalb nach einer Verleumdung, weil ihr an das gegenwärtige Leben denkt.
6.
„Und sie werden nicht verloren gehen in Ewigkeit“; du hörst dazwischen heraus, als hätte er gesagt: Ihr werdet auf ewig verloren gehen, weil ihr nicht aus meinen Schafen seid. „Es wird sie niemand aus meiner Hand rauben.“ Vernehmet aufmerksamer: „Was mein Vater mir gegeben, ist größer als alles“. Was vermag der Wolf? Was vermögen Diebe und Räuber? Sie verderben nur diejenigen, die zum Untergang vorherbestimmt sind. Von jenen Schafen aber, von welchen der Apostel sagt: „Der Herr kennt die Seinigen“1347, und: „Die er vorherwußte, die hat er auch vorherbestimmt; die er aber vorherbestimmte, die hat er auch berufen; die er aber berief, die hat er auch gerechtfertigt; die er aber rechtfertigte, die hat er auch verherrlicht“1348, ― von diesen Schafen raubt weder der Wolf, noch nimmt der Dieb, noch tötet der Räuber eines. Sicher ist er über ihre Zahl, der da weiß, was er für sie gegeben hat. Und das meint er, wenn er sagt: „Es wird sie niemand aus meiner Hand rauben“, und desgleichen, wenn er zum Vater spricht: „Was mir mein Vater gegeben hat, ist größer als alles“. Was hat der Vater dem Sohne gegeben, was größer ist als alles? Daß er ihm der eingeborene Sohn Gottes sei. Was heißt also: „Er hat gegeben“? War der schon, dem er gab, oder hat er durch Zeugung gegeben? Denn wenn der schon war, dem er das Sohnsein erst gab, dann war er einmal, war aber nicht Sohn. Das sei ferne, daß Christus der Herr einmal war und nicht Sohn war. Von uns kann das gesagt werden: wir waren einmal Menschenkinder, aber wir waren keine Gotteskinder. Denn uns hat zu Söhnen Gottes die Gnade gemacht, jenen die Natur, weil er so geboren ist. Und es ist nicht an dem, daß du sagen kannst: Er war nicht, bevor er geboren wurde; denn es gab keine Zeit, wo der noch nicht geboren war, der mit dem Vater gleichewig war. Wer verständig ist, fasse es; wer es nicht faßt, der glaube es, lasse sich nähren, und er wird es fassen. Das Wort Gottes ist immer beim Vater und immer das Wort, und weil Wort, darum Sohn. Immer also ist der Sohn und immer gleich. Denn nicht dadurch, daß er wächst, sondern dadurch, daß er geboren wird, ist der gleich, der immer vom Vater als Sohn geboren ist, Gott von Gott, gleichewig vom Ewigen. Der Vater aber ist nicht vom Sohne Gott; der Sohn ist vom Vater Gott; darum hat der Vater dem Sohne durch die Zeugung gegeben, daß er Gott wäre, durch Zeugung ihm gegeben, daß er mit ihm gleichewig wäre, durch Zeugung ihm gegeben, daß er gleich wäre. Das ist es, was größer ist als alles. Wie* ist* der Sohn das Leben und* hat* der Sohn das Leben? Was er hat, das ist er; du bist etwas anderes, hast etwas anderes. Z. B. du hast Weisheit; bist du etwa die Weisheit selbst? Kurz, weil du nicht bist, was du hast, so kehrst du, wenn du verlierst, was du hast, zum Nichthaben zurück; bald gewinnst du es, bald verlierst du es; wie auch unser Auge nicht in sich selbst unzertrennlich das Licht hat, es öffnet sich und faßt es, es schließt sich und verliert es. Nicht so ist Gott, der Sohn Gottes, nicht so ist das Wort des Vaters, nicht so ist das Wort, das nicht im Erklingen vergeht, sondern mittels Zeugung bleibt. Er hat so die Weisheit, daß er selbst die Weisheit ist und weise macht; er hat so das Leben, daß er das Leben ist und lebendig macht. Das ist es, was größer ist als alles. Es beschaute der Evangelist Johannes den Himmel und die Erde, da er vom Sohne Gottes reden wollte; er beschaute und überstieg sie; er betrachtete über dem Himmel die Tausende der Heerschar von Engeln; er betrachtete und überstieg, wie ein Adler die Wolken, mit seinem Geiste die gesamte Schöpfung; er überstieg alles Große, drang empor bis zu dem, was größer ist als alles, und sprach: „Im Anfang war das Wort“. Aber weil der, dessen Wort es ist, nicht vom Worte ist, das Wort aber von dem ist, dessen Wort es ist, darum sprach er: „Was der Vater mir gegeben hat“, d. h. sein Wort zu sein, sein eingeborener Sohn zu sein, sein Abglanz zu sein, „ist größer als alles“. Deshalb sagt er: „Niemand raubt meine Schafe aus meiner Hand. Niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben“.
7.
„Von meiner Hand“ und „von der Hand meines Vaters.“ Was ist das: „Niemand raubt aus meiner Hand“, und „niemand raubt aus der Hand meines Vaters“? Hat der Vater und der Sohn nur* eine* Hand, oder ist vielleicht der Sohn die Hand seines Vaters? Wenn wir unter der Hand die Macht verstehen, so ist die Macht des Vaters und