Resilienz-Index
Die drei guten Dinge des Tages: Ihr Glückstagebuch
Prolog
Alexander ist enttäuscht
Bei der Fortbildung zum »agile Coach« schien es so einfach: Die Uhr auf 15 Minuten stellen für ein »timeboxed« Stand-up-Meeting, jeder sagt, was ihm wichtig ist, und sprudelt nur so vor kreativen Ideen, die werden im Backlog festgehalten, dann kommt ein Sprint, bei dem alle hoch motiviert anpacken, sich gegenseitig unterstützen und mit viel Spaß pünktlich das Sprintziel erreichen. – Ausgerüstet mit vielen bunten Klebezetteln und einer Stoppuhr hatte Alexander das neu Gelernte mit seinem Team ausprobieren wollen. Irgendwie war das gründlich in die Hose gegangen.
Er hörte noch die Stimme seines Teamleiters Marco, der mit den Worten »Mensch, das ist doch nicht agil! So ist das doch auch nur sinnloses Gerede wie immer schon, das bringt doch nix!« total genervt das Handtuch geworfen und beleidigt den Raum verlassen hatte. Und die anderen schienen auch nicht gerade begeistert gewesen zu sein. Seine Mitarbeiterin Lara hatte sich sogar geweigert, weiter mitzumachen, nachdem Christoph ihren Redebeitrag gestoppt hatte. »Timeboxing heißt, wenn die Zeit abgelaufen ist, darf niemand mehr reden, da hättest du halt früher etwas sagen müssen!« James, der Jüngste im Team, war noch zu ihr gegangen und hatte gemeint: »Hey, komm, das war doch nicht böse gemeint, nimm’s nicht persönlich, mach weiter mit, ja?« Da hatte sie sich aufgerafft und sich an der Retrospektive beteiligt: »Also, ich finde, wir müssen erst noch einige Eckdaten klären, bevor wir jetzt irgendwie loswurschteln. Mir ist das zu hektisch. Mit blindem Aktionismus kommen wir nicht weiter. Lasst uns doch erst mal irgendeine Struktur festlegen.« Und da war Marco aufgesprungen und abgerauscht …
Alexander ist 42 Jahre alt, seit zehn Jahren Führungskraft, und er liebt es, Neues zu entdecken. Seit einem Vortrag über Agilität war er Feuer und Flamme für das Thema und hatte sich vor einem Jahr freiwillig gemeldet, als die Unternehmensspitze Menschen gesucht hatte, die in einem ersten Pilotprojekt die Agilisierung im Unternehmen anstoßen wollten. Wie hatte er sich darauf gefreut, dass »seine« Firma – ein alteingesessenes Unternehmen mit 5000 Mitarbeitern und klassischer Hierarchie – endlich agil werden sollte! Jahrelang hatte Alexander erfolgreich ein Projekt nach dem anderen nach dem gewohnten Wasserfall-Modell geleitet, aber es hatte ihn schon lange genervt, dass die Planungen immer endlos dauerten, die Dokumentationsflut immer größer wurde und das Team immer demotivierter, wenn wieder einmal ein lange geplantes Projekt geplatzt war und durch ein neues ersetzt wurde, das in die gegensätzliche Richtung lief.
Immer wieder hatte er von den geradezu fantastisch anmutenden Erfolgen mit Scrum, Kanban und Co. gehört, und er war sicher: »Das ist es, was auch uns weiterbringt!« Also hatte er sich mit Feuereifer in die Vorbereitungen des ersten agilen Projekts gestürzt, hatte zahlreiche »Expeditionen« in Unternehmen unternommen, die schon weiter waren als seines, hatte dabei Marco kennengelernt, ihn abgeworben und zum Teamleiter gemacht. Denn Marco war schon Scrum Master, und Alexander war sicher, dass er das restliche Team mit seiner Begeisterung und seinen Kenntnissen über agile Praktiken mitreißen würde. Marco war genauso heiß auf agiles Arbeiten wie er selbst und hatte deshalb zu ihm gewechselt, weil er unbedingt unter agileren Bedingungen arbeiten wollte, als sie in seinem vorherigen Unternehmen gegeben waren. Hoch motiviert hatten sie gemeinsam die ersten Kickoff-Veranstaltungen durchgeführt, und nach Alexanders Fortbildung sollte es jetzt endlich so richtig losgehen.
Und jetzt? Wenn der Begriff »Ädscheil« auch nur genannt wurde, waren alle genervt und rollten die Augen nach oben … Nach der anfänglichen Begeisterung – auch im Team – war sich nun nicht einmal mehr Alexander sicher, ob »agil« wirklich sinnvoll war, und er erwischte sich immer häufiger dabei, aufgeben zu wollen. Das brachte doch nur Probleme und Ärger! Für seine Firma war das wohl nichts! Sie schafften das nicht! So dachte er in letzter Zeit oft. Er hatte doch alles umgesetzt! Er hatte alle Mitarbeiter zu einer Scrum-Schulung geschickt, die sich auf Nicht-ITler spezialisiert hatte. Trotzdem waren seine Leute eigentlich genauso wie immer, nur dass es jetzt ständig Streit und Ärger gab. Schlimmer noch, sein Team war sichtlich gestresst und am Rande seiner Belastbarkeit. Das waren zwar alle vor der Agilisierung auch schon gewesen, aber angeblich sollte agiles Arbeiten doch Spaß machen!
Ihm schien aber, dass seine Mitarbeiter nun sogar noch stärker unter Druck waren als zuvor. Letzte Woche war einer seiner besten Mitarbeiter – Peter – nach acht Wochen Krankschreibung wegen Burn-out zurückgekommen. Jetzt redete er immer von Resilienz und Achtsamkeit, dazu hatte er in der Klinik viel gelernt und wollte jetzt Meditation in der Arbeitszeit einführen. Die Kollegen machten sich darüber nur lustig …Und eine Woche vorher hatte Alexander erfahren, dass es in der Nachbarabteilung einen Selbstmord gegeben hatte, und es gingen Gerüchte um, dass der betroffene Ingenieur die andauernden Veränderungen nicht mehr ertragen hätte.
Mit hängendem Kopf saß Alexander nun da und wusste nicht weiter. »Vom Hiersitzen und Trübsalblasen wird es nicht besser, so komme ich auf keine Lösung. Am besten hole ich mir erst einmal einen Kaffee drüben im Café.« Der Weg zum Café führte durch einen Park. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten und eine Gruppe von Hunden spielte ausgelassen miteinander. Amüsiert beobachtete Alexander die friedliche Szenerie und für einen Moment vergaß er seine Probleme. Während er so weiterschlenderte, kamen ihm Erinnerungen an seine Fortbildung in den Sinn. Die Seminarleiterin hatte beispielsweise davon gesprochen, wie wichtig es sei, eine Vorstellung davon zu haben, wohin die Reise gehen sollte, und er hörte sie noch sagen: »Wenn ihr euer Team mit auf die agile Reise nehmen und sie davon begeistern möchtet, dann erzählt ihnen euer ›Wozu‹, den Purpose.«
Mittlerweile im Café angekommen, bestellte er sich einen doppelten Espresso und setzte sich ans Fenster. Er kam ins Grübeln. Hatte er sich eigentlich jemals über seine Vorstellung vom Sinn und Zweck des Ganzen mit dem Team ausgetauscht? Und worum ging es den oberen Führungsetagen und der Geschäftsführung ganz konkret? Er hatte keine Ahnung! Und sein Team dann ja logischerweise auch nicht. Aber reichte es denn nicht, die Wertschöpfungsschätze heben zu wollen, die doch nachgewiesenermaßen mit agilem Arbeiten zu finden sein sollten? Gerade letzte Woche noch hatte er gelesen, dass aktuelle Studien die Wirksamkeit der Agilität bestätigen. Und außerdem hieß es da, agile Unternehmen mit flachen Hierarchien wären für Mitarbeiter attraktiver als Konzerne, in denen noch nach althergebrachter Art gemanagt würde. Und agiles Arbeiten würde die Produktivität, die Kreativität und Innovationskraft von Teams geradezu explodieren lassen … Okay, bei Marco war das so und bei ihm auch. Aber bei seinen Mitarbeitern? Die meisten würden wohl lieber wieder wie gewohnt arbeiten. Da explodierte gar nichts – ganz im Gegenteil! Nur weil er nie mit dem Team darüber gesprochen hatte, wozu sie eigentlich anders arbeiten sollten? War das der Grund? Oder woran lag es noch, dass die Agilisierung bei ihnen nicht zündete?
»Ist meine Art zu führen eigentlich agil? Oder habe ich aus alter Gewohnheit die agile Idee einfach angeordnet und das Team zu wenig einbezogen?« Alexander wollte gerade seine Espressotasse zum Mund führen, als er mitten in der Bewegung innehielt. »Wie sollte denn die Zusammenarbeit plötzlich anders sein als vorher, nur weil jetzt andere Praktiken eingesetzt werden?« Ihm fiel auf, dass