Walter Simon

GABALs großer Methodenkoffer


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vor allem in der Kinder- und Jugendzeit, und haben für den Menschen eine „Soll-“Orientierungsfunktion. Sie bestimmen die Moral, indem sie menschliches Handeln individueller Willkür entziehen. Werte sind auch die als implizite Verfassung bezeichnete Grundlage einer Gemeinschaft, die sich mittels moralischer Regeln als solche formiert.

      Ebenen von Werten

      Es gibt verschiedene Werteebenen. Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit stehen an der Spitze. Instrumentelle Werte wie Arbeit und Familie stehen mit ihnen in einem Funktionszusammenhang. Aus ihnen leiten sich Ansehen und Einkommen ab. An der Basis stehen Tugenden, mit denen Werte verwirklicht werden, beispielsweise Toleranz, Disziplin oder Sparsamkeit.

      2.1 Wertewandel – Was hat sich verändert?

      Alle sind betroffen

      Neue Technologien und Organisationsformen, Globalisierung, Zuwanderung und die damit verbundene kulturelle Diffusion bewirken neue Bedürfnisse, Einstellungen und Handlungsmuster. Diesen Prozess des Wertewandels bezeichnen manche Autoren gern als „stille Revolution“. Es vollzieht sich eine Wandlung vieler Werte. Davon sind nicht nur Teilgruppen der Bevölkerung, sondern – ungeachtet eines Vorsprungs bei den jungen Leuten mit hohem Bildungsniveau – sämtliche Altersklassen und Sozialschichten betroffen, sodass sich einschneidende Auswirkungen in allen Lebensbereichen und Veränderungen in der Mentalität der Menschen feststellen lassen. Während gesellschaftliche und anerzogene Werte eine Orientierung zur Ausprägung der eigenen Einstellung bieten, schafft ein Wertewandel neue Orientierung. Aus dieser entsteht ein zunehmend verändertes Verhältnis des Individuums zu den Anforderungen der gesellschaftlichen Umwelt.

      Materielle und postmaterielle Bedürfnisse

      Geistes- und Sozialwissenschaftler verschiedenster Disziplinen haben über Ursachen und Auswirkungen des Wertewandels nachgedacht und neue Begriffe in die Diskussion eingebracht. Der US-Politologe Ronald Inglehart unterscheidet zwischen postmateriellen Bedürfnissen/ Werten einerseits und materiellen Bedürfnissen/Werten andererseits. Damit orientiert er sich am US-Psychologen Abraham Maslow, der von diesen fünf elementaren Bedürfnisklassen ausgeht: Selbsterhaltung, Sicherheit, Zugehörigkeit, Anerkennung und Selbstverwirklichung. Während die materiellen Bedürfnisse eher der Gruppe der Selbsterhaltungsbedürfnisse zuzurechnen sind, haben die postmateriellen Werte ihren Ursprung im Bereich der Anerkennung- und Selbstentfaltungsbedürfnisse.

      

Ergänzende und vertiefende Informationen zum Thema Bedürfnisse finden Sie im Kapitel B 3.3 dieses Buches.

      Vom Überleben zum Erleben

      Die Studien zeigen, dass für jüngere Menschen eher eine post materialistische Werteorientierung und für ältere eher eine materialistische typisch ist. Letztere ist das Pendant zur traditionellen Arbeitsgesellschaft. Die Ursachen hierfür beruhen größtenteils auf Negativerfahrungen älterer Menschen in Kriegs- und Notzeiten. In der Prosperitätsperiode der zweiten Jahrhunderthälfte ging es nicht mehr um das Überleben, sondern um das Erleben. Auf diesem von positiven Erfahrungen geprägten Hintergrund entwickelte sich eine postmaterialistische Werteorientierung basierend auf emanzipatorischen, partizipatorischen und hedonistischen Werten. Werte, die das Verhalten des Menschen von außen beeinflussten, wie Pflicht, Askese und Fremdbestimmung, wurden von der Selbstverwirklichung und der Selbstbestimmung verdrängt.

      2.2 Von Pflicht- und Akzeptanzwerten zu Selbstentfaltungswerten

      Selbstentfaltung statt Pflicht und Gehorsam

      Kennzeichnend für diesen Prozess ist die Ablösung materialistischer Wertvorstellungen („Schaffe, schaffe, Häusle baue …“) durch intrinsische Werte wie Lebenslust und Selbstentfaltung. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Substitution alter Pflicht- und Gehorsamswerte (Fleiß, Treue, Ordnung) durch individuelle Freiheits- und Selbstentfaltungswerte (Gleichberechtigung, Toleranz und Zivilcourage). Das Prinzip „Leistung“ verschwindet dabei nicht, sondern wird nur nach Sozial- und Herkunftsgruppen, Alter und Geschlecht, Religion und Wohnort neu geordnet.

      Vier Gruppen

      Der Werteforscher Helmut Klages unterteilt die Menschen im Kontext der Wertediskussion in vier Gruppen:

      1 Aktive Realisten

      2 Nonkonforme Idealisten

      3 Ordnungsliebende Konventionalisten

      4 Perspektivlose Resignierte

      Realisten und Resignierte

      Der aktive Realist ist der interessanteste Mitarbeitertyp. Er erwartet Freiraum für Selbstorganisation, -entfaltung und Kreativität und hinterfragt Hierarchien und starre Strukturen. Von den perspektivlosen Resignierten sind dagegen weder Innovationen noch Führungsqualitäten zu erwarten.

      Die vier Gruppen auf einen Blick

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      Phänomene des Wertewandels

      Beispiele für den Wertewandel sind folgende Entwicklungen beziehungsweise Phänomene:

      

Freizeitorientierung

      

Ablehnung von Bindung, Unterordnung und Verpflichtung

      

Betonung des eigenen Lebensgenusses, eines hedonistischen Lebensstils

      

Erhöhung der Ansprüche in Bezug auf eigene Selbstverwirklichungschancen

      

Bejahung der Gleichheit und Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern

      

Betonung der eigenen Gesundheit

      

Hochschätzung einer ungefährdeten und bewahrten Natur

      

Skepsis gegenüber den Werten der Industrialisierung wie beispielsweise Gewinn, Wirtschaftswachstum, technischer Fortschritt

      

Abwendung von der Arbeit als einer Pflicht hin zum „Mittelzum-Zweck“-Charakter

      

Ordentlichkeit und Pünktlichkeit sind nicht mehr erstrebenswerte Tugenden

      

Familie und Partnerschaft sind wichtigste Lebensinhalte

      

Technikskepsis bis hin zur Technikfeindlichkeit

      

Verstärktes Kommunikations- und Geselligkeitsbedürfnis

      

Der Anspruch auf höhere Lebensqualität und Detailkritik am Arbeitsplatz nimmt zu

      Bedeutungsgewinne und -verluste

      Die Entwicklung der Freiheits- und Entfaltungswerte wie Selbstverwirklichung, Genuss und Erlebnis haben in der postmodernen Generation massiv an Bedeutung gewonnen. Tugenden wie Sparsamkeit,