Walter Simon

GABALs großer Methodenkoffer


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Eigenschaftentheorie und die Situationstheorie den größten Bekanntheitsgrad erlangten. Zu erwähnen wäre aber auch ein deutscher Ansatz, dessen theoretische Leistung darin besteht, die amerikanischen Führungsmodelle relativiert zu haben. Gemeint sind die Beiträge von Oswald Neuberger, Lehrstuhlinhaber für Personalwesen und Führung an der Universität Augsburg.

      1.6 Theorie der Führungsdilemmata

      Oswald Neuberger

      Der Begriff Führungsdilemmata stammt nicht von dem, der erstmals auf den Spannungsbogen in der Zweiteilung Mitarbeiterorientierung einerseits und Leistungsorientierung andererseits aufmerksam gemacht hat, nämlich Oswald Neuberger. Bei der schon fast sklavischen Orientierung auf den jeweils neuesten Schrei US-amerikanischer Führungs-Heilslehren fand er leider nicht die ihm gebührende Beachtung in Theorie und Praxis. Das mag mit dem Ort seines Lehrstuhls zusammenhängen, dem er trotz verschiedener Berufungen an renommiertere Lehrstätten treu blieb. Wer außerdem die Zunft deutschsprachiger Führungstrainer meines Erachtens völlig zu Recht als „Zeremonienmeister ähnlich Medizinmännern bei Regentänzen“ charakterisiert, muss mit dem Bann jener Berufsgruppe rechnen. Mit Lichtenberg sei 80 von 100 deutschen Führungstrainern gesagt: „Wo die Sonne des Wissens tief steht, da werfen auch Zwerge lange Schatten.“

      Führung ist eingeengt

      Neuberger betont, dass Führung in Organisationen normalerweise keine freie schöpferische Tätigkeit sei, sondern durch Zwänge, Pflichten, Normen usw. eingeengt ist. Viele Seiten richten Erwartungen an den Vorgesetzten, die jedoch unklar und widersprüchlich sind und deshalb ständige Such-, Interpretations- und Gestaltungsleistungen erfordern. Die Führungsforschung hat diese dialektische Natur der Anforderungen an Vorgesetzte bisher kaum berücksichtigt.

      15 Widersprüche

      Der Führungspsychologe Neuberger diagnostiziert 15 Dilemmata, die er als antagonistische Widersprüche charakterisiert. Diese fordern ständig Kompromisse zwischen den Alternativen, die jeweils beide unverzichtbar sind.

      Führungsdilemmata nach Neuberger

1. Mitarbeiter als Objekt versus Mitarbeiter als Subjekt
2. Berücksichtigung der Einzigartigkeit versus Berücksichtigung der Gleichartigkeit
3. Bestehendes bewahren versus Bestehendes verändern
4. Ordnung durchsetzen versus Freiheit ermöglichen
5. Auf Distanz achten versus Offenheit und Nähe aufbauen
6. Auf Sachlichkeit achten versus Emotionalität zeigen
7. Kontrollieren versus Vertrauen
8. Konkurrenz fördern versus Kooperation fördern
9. Einzelverantwortung betonen versus Gesamtverantwortung betonen
10. Spezialisierung versus Generalisierung
11. Herausforderung versus Fürsorge
12. Einzelentscheidung versus Gruppenentscheidung
13. Zielorientierung versus Verfahrensorientierung
14. Extrinsische Motivation versus Intrinsische Motivation
15. Eigennutz versus Gemeinnutz

      Führung existiert wegen der Widersprüche

      Oswald Neuberger schlussfolgert, dass der Führungsstil eines Vorgesetzten die Art und Weise eines Vorgesetzten ist, wie er die Dilemmata seiner Situation bewältigt. Er muss sich seines Verstandes bedienen und eigenverantwortlich handeln. Andererseits ist es so, dass die Institution Führung nur deshalb existiert, weil es diese Widersprüche gibt. Eine Beseitigung der Führungsdilemmata würde einer Beseitigung der Institution Führung gleichkommen.

      Praktikern empfiehlt er, sich zu weigern, konfektionierte Lösungen einzukaufen, da Führung nicht so simpel programmierbar ist, wie manche Schnellrezepte es vorgaukeln. „Trau keiner Führungstheorie“, schreibt er, denn „jede Theorie vereinfacht, abstrahiert, wählt aus: Es geht um das Abbilden, Verstehen, Erklären und nicht um das Verdoppeln von Wirklichkeit. Damit ist jede Theorie einseitig, lückenhaft, vorläufig“.

      1.7 Eigenschaftentheorie

      Was macht einen guten Führer aus?

      Im Zusammenhang mit der Verbreitung der Massenpsychologie entstand die Eigenschaftentheorie oder auch „Great Man Theory“ – die Theorie vom „großen Mann“. Sie untersucht, was Führer von Geführten unterscheidet beziehungsweise wodurch sich gute Führer von schlechten abheben, und analysiert Personen, die es von sich aus in Führungspositionen geschafft haben. Sie hat eine enge Nähe zum Sozialdarwinismus und diente lange Zeit auch als Ideologie zur Herrschaftssicherung. Demnach verfügten Abkömmlinge aus Adelshäusern per se über bessere Führungseigenschaften als Angehörige der Unterklassen. Was gut ist beziehungsweise als Führungserfolg erkannt wird, drückt sich in der Karriere aus. Jedoch müssen die Eigenschaften, welche die Karriere begünstigten, nicht immer diejenigen sein, die ein Unternehmen erfolgreich machen.

      Eigenschaften des Führers

      Als Eigenschaften gelten über längere Zeiträume hinweg breite und stabile Persönlichkeitsmerkmale, die sich in unterschiedlichen Situationen als konsistent erweisen. Bis zu 500 verschiedene Eigenschaften wurden in der einschlägigen Literatur bis etwa in die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts hinein identifiziert. Aber nur bei den folgenden Führereigenschaften stimmten nach Untersuchungen des US-Führungsforschers Ralph M. Stogdill zehn oder mehr Untersuchungen überein:

      

Intelligenz

      

Schulische Leistungen

      

Zuverlässigkeit beim Einsatz der Verantwortung

      

Aktivität und soziale Teilnahme

      

Sozioökonomischer Status

      

Soziabilität

      

Initiative