Andreas Buhr

Vertrieb geht heute anders


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      (ebd.)

      »Smartphone-Banken« wie die N26 steigen quasi aus der Gründungsphase heraus mit Milliardenbewertungen in die Riege der Unicorns auf, der Milliarden-Start-up-Unternehmen, und eine Vielzahl neuer Apps und Businesses bieten Kunden an, nicht nur ihre sämtlichen finanzrelevanten Konten, sondern gleich auch ihr Vertragswerk und ihre Vermögensanlage über die Analyse der laufenden Abbuchungen beispielsweise von Telekommunikations- und Stromanbietern aufzulisten, sofort mit anderen Anbietern zu vergleichen – und zu kündigen oder zu kaufen. Der wechselfreudige digitale Kunde sieht dabei keinen Vertriebsmitarbeiter oder Berater mehr – und umgekehrt. Das macht hier was mit dem Vertrieb! Das ist schlicht »das Ende des Verkaufens«. Zumindest, wie wir alle es noch kennengelernt haben.

       Fintechs: Vom Wirbelwind zum Plattformgeschäft

      Aber weiter im Text: Zahlungsdienstleister Wirecard stellt gerade den Markt auf den Kopf – er hat es zudem in kürzester Zeit auf eine Marktkapitalisierung von fünfeinhalb Milliarden Euro gebracht und im Sommer 2018 der Deutschen Bank den Titel als wertvollstes deutsches Geldinstitut abgejagt. Über das Jahr 2019 hinaus avisiert das Unternehmen schon jetzt weitere Wachstumsprognosen. Mit dem Boom des Online-Shoppings verdienen Firmen wie Wirecard oder Adyen Milliarden. PayPal ist mittlerweile das Bezahlsystem der Wahl für die Kunden von heute – ein Unternehmen, das diese Option nicht anbietet, wird von Kunden gnadenlos abgestraft. In diese Kerbe hauen auch Google Pay und Apple Pay, das Ende 2018 nach 26 anderen Ländern auch in Deutschland gestartet ist und den Kunden die (analoge) Geldbörse abnehmen will – wobei das so ziemlich der einzige Teilmarkt ist, mit dem sich sämtliche Fintechs schwertun, denn der Deutsche liebt sein Bargeld. Daher ist der Bereich Peer-to-Peer-Payment gerade noch das »Auge der Stille« des digitalen Hurrikans, der die ganze Finanzdienstleister- und Versicherungsbranche durcheinanderwirbelt und dort auch im Vertrieb und Kundengeschäft B2C und B2B keinen Stein mehr auf dem anderen lässt. Wirecard wirkt übrigens auch an Apple Pay mit und will laut manager magazin seine Wertschöpfungskette mit Zusatzdiensten wie Gutscheinen oder Versicherungen ausbauen. Denn so erhalten diese Unternehmen Relevanz für ihre Kunden: indem sie möglichst alle Leistungen aus einer Hand anbieten und / oder sich als Plattform aufstellen, die alle Möglichkeiten vereint. Wirecard-Wettbewerber Adyen schreibt sich das auch gleich in den Claim: »The payments platform built for growth«.

       Die Plattform-Ökonomie: Der eigentliche Markt-Disruptor

      Damit sind wir bei einem digitalen Treiber, der wie kaum ein zweiter die Märkte, in denen wir uns mit unseren Firmen, Angeboten und Services bewegen, bestimmt: rasch wachsende digitale Plattformen, die gezielt Monopolistenstatus anstreben und mit immer höher aggregierten Zusammenschlüssen nach nichts weniger als der »ökonomischen Weltherrschaft« streben.

      Denn dabei geht es diesen Plattformbetreibern nicht »nur« um das Streben nach den jeweils größten Anteilen an Handels- und Verkaufsvolumina weltweit, sondern sie bestimmen auch die (Richtung der) technologischen Entwicklung, des kulturellen Austauschs, vielleicht sogar soziopolitische Strömungen weltweit. Was vielleicht mal als »digitaler Marktplatz für Bücher« (ja, so hatten wir alle Amazon mal auf dem Schirm, erinnerst du dich noch?) und der Fast Moving Consumer Goods (FMCG) begann – und damals schon Einzelhändler und ganze Shoppingmalls vernichtete – hat sich heute zu (nahezu) alternativlosen Ökosystemen ausgewachsen, in denen wir – und damit meine ich auch unsere Unternehmen – überleben und unseren Handel treiben müssen. Was digitalisiert werden kann, was zu einer Plattform werden kann, das wird auch digitalisiert und zu einer Plattform werden.

      Plattform-Ökonomie ist meines Erachtens das der Social Economics zugrundeliegende – und damit vielleicht sogar wichtigere – Phänomen der Digitalisierung. Dabei ist es nicht ausreichend, auf »GAFA« zu starren: Google, Amazon, Facebook und Apple, auf die ich unter dem Stichwort »die vierplus apokalyptischen Reiter« später im Buch noch mal zurückkomme und auf die wir uns in Europa massiv eingeschossen haben. Nicht mal, wenn wir Alibaba als größten (Verkaufs-)Plattform-Player aus China dazunehmen. Plattformen, die sich zu kompletten Ökosystemen auswachsen, betreffen auch Cloud Computing, Rechner- und Speicherumgebungen, Softwares und Payment-Dienstleister – das sind die eigentlichen Haie. Haie, mit denen wir im Vertrieb in den nächsten Jahren in immer volleren Gewässern schwimmen müssen. Da reden wir natürlich auch von den oben genannten Anbietern, aber zusätzlich von Microsoft, Google-Übermutter Alphabet, SAP, Samsung und Tencent, das mit WeChat (»Weixin«) eine App betreibt, über die halb Asien nicht nur kommuniziert, sondern auch seine Finanzgeschäfte abwickelt. (Vgl.: Dr. Holger Schmidt – www.netzoekonom.de 2018: Globale Plattform-Ökonomie. Die 70 wertvollsten Plattformen der Welt.)

      Dass Apple 2018 als erstes Unternehmen die Billion-Dollar-Börsenbewertung geschafft hat, zeigt nicht nur die enorme Marktmacht, sondern auch die »Fantasie« des Marktes, was aus diesem Haus noch alles kommen wird. Knapp dahinter Microsoft – das es bisher geschafft hat, sich dem »GAFA-Hai-Bashing« zu entziehen –, sowie Amazon, Alphabet und Facebook. So weit, so US-amerikanisch. Aber für unsere Unternehmen in Europa ist die US-Plattform-Ökonomie absolut bestimmend, denn auf lange Frist noch handeln wir im Wesentlichen über diese Plattformen und Aggregatoren.

      Dann folgt der asiatische Raum, wobei die Aufholjagd auf die US-Amerikaner im vollen Gange ist, wie die Zahlen von Statista zeigen. Und weit abgeschlagen, aber eben auch zentral bestimmend für Europa: SAP. Aber auch in einzelnen afrikanischen Ländern wachsen spannende Plattformen, so »findet weltweit heute jede zweite mobile Geldtransaktion in Kenia statt«, wie die NZZ bilanziert. Safaricom ist das Unternehmen, das mit M-Pesa eine Finanzinfrastruktur aufgebaut hat, die dort nicht mehr wegzudenken ist. Denn in den sich entwickelnden Ländern des afrikanischen Kontinents wächst eine »digital only«-Generation heran, die – mangels bisheriger Infrastrukturen – alle Transaktionen über Smartphone ausführen wird. Das wird auch für exportorientierte Unternehmen extrem spannend werden auf die mittlere Sicht.

       Aggregatoren: Relevanz schaffen

      Kommen wir noch mal beispielhaft auf den Markt der Finanzdienstleistungen zurück, denn hier ist der Trend zur Plattform-Ökonomie gerade besonders gut sichtbar. Nahezu jeder Anbieter von Produkten und Leistungen – ob etabliert oder Start-up – versucht hier, eine Plattform aufzubauen oder mehrere Bereichs- oder Nischenplattformen zu einer aggregierten »Übersichtsplattform« zusammenzubringen, da die digitalen Kunden den »Kauf auf einen Klick« bevorzugen, also am liebsten nur ein Kundenkonto anlegen wollen, auf einen Blick aus möglichst vielen Vergleichsangeboten auswählen können, nur einmal alle Daten eingeben möchten, sich nur ein Passwort merken wollen. Bestimmende Faktoren der Plattform-Ökonomie sind damit für die Anbieter – also die vertriebsorientierten Unternehmen – aus meiner Sicht u. a.:

      1.Relevanz (je mehr wichtige Marktteilnehmer vertreten sind, desto besser),

      2.Transparenz (Vergleichsangebote),

      3.Bequemlichkeit (einfaches Interface),

      4.Payment (die wichtigsten bzw. beliebtesten Bezahlmethoden müssen angeboten werden),

      5.Interkonnektivität (Web-Plattform und Apps funktionieren gleich und verwalten dieselben Daten),

      6.Datensicherheit und Datenschutz und

      7.Kommunikation (Möglichkeit der Kommunikation mit dem Anbieter bzw. Helpdesk sowie Bewertungen und Rezensionen von Nutzern).

      PS: Es gibt noch einen weiteren Punkt, der sich bei manchen Plattformen als wesentlich aus Kundensicht erweist, und das ist die Kuratierung. Aber dazu später mehr.

      Um diese oben genannten sieben wesentlichen Voraussetzungen erfüllen zu können, bewegen sich momentan viele Insurtechs und Financetechs aufeinander und auf die etablierten Player