Johannes Cassianus

Sieben Bücher über die Menschwerdung Christi


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Heiland die Majestät seines Namens nimmst und den Herrn von der Gottheit trennst? Siehe, hier spricht ein Mann Gottes aus Gott und bezeugt in klarster Verkündung, daß aus Maria die Gnade Gottes erschienen sei. Und damit du nicht etwa sagen könnest, Gott sei nicht aus Maria erschienen, so fügt er sogleich die Bezeichnung „Heiland“ hinzu, damit du nemlich glaubest, daß Jener aus Maria als Gott geboren sei, von welchem du nicht läugnen kannst, daß er als Heiland geboren sei, nach jener Stelle: „Denn es ist euch heute der Heiland geboren worden.“ O du wunderbarer und wahrhaft von Gott den Völkern geschenkter Lehrer! Du kanntest den künftigen Wahnsinn häretischer Verkehrtheit, der die Bezeichnungen Gottes zum Gegenstande des Streites macht und sich nicht scheut, Gott zu lästern wegen seiner Namen. Darum hast du den Namen Gottes vorausgeschickt, damit der Häretiker die Benennung „Heiland“ nicht von der Gottheit trenne, und damit so der vorausgeschickte Name Gottes alle folgenden Namen zu den seinigen mache, Niemand aber glaube, jener Christus der folgenden sei ein bloßer Mensch, da er doch gleich in der ersten Bezeichnung gelernt hatte, daß derselbe Gott sei. „Voll Erwartung“, sagt derselbe Apostel, „auf die selige Hoffnung und die Ankunft der Herrlichkeit unsers großen Gottes und Heilandes Jesu Christi.“ Wahrhaftig dieser Lehrer der göttlichen Weisheit sah, daß für die hinterlistigen Ränke teuflischer Verblendung die einfache Lehre nicht hinreichend sei, wenn er nicht die heilige Predigt des Glaubens mit dem Schutze der Vorsicht ausrüste. Wie er also oben die Bezeichnung „Gottes und Heilandes“ hingesetzt hatte, so fügt er hier bei „Jesu Christi“, damit du nicht etwa ungläubig hierüber sein mögest, daß zur Bezeichnung des Herrn Jesu Christi der Name Heiland dir hinreiche, und damit du nicht ohne die Einsicht bleibest, daß ebenderselbe Christus Gott sei, von welchem du erkanntest, daß er der Gott = Erlöser sei. Was sagt er also? In Erwartung, sagt er, der seligen Hoffnung und der Ankunft der Herrlichkeit unsers großen Gottes und Heilandes Jesu Christi. Da fehlt Nichts von den Namen unsers Herrn; du siehst hier den Gott und den Heiland, den Jesus und Christus; aber indem du all Dieß siehst, erkennst du auch, daß Alles im Gotte sei; denn du hörst von einem Gotte, aber er ist Erlöser; du hörst von einem Gotte, aber er ist Jesus; du hörst von einem Gotte, aber er ist Christus. Was nun die Gottheit als Einheit sich verbunden hat, das kann durch die Verschiedenheit der Namen nicht getrennt werden. Wie du nun auch hierüber untersuchen magst, du wirst das Gleiche finden. Der Erlöser ist Gott, Jesus ist Gott, Christus ist Gott; Alles, was du hier hörst, ist vielfach dem Namen nach, aber Eines in der Bedeutung; denn wenn der Erlöser Gott ist und Jesus Gott und Christus Gott, so kann man offenbar sehen, daß all Dieß unterschieden wird in der Benennung, aber verbunden in der Majestät. Und wenn du so deutlich hörst, daß in Jedem der eine Gott bezeichnet wird, so kannst du doch klar einsehen, daß in Allen der eine Gott ist, und so ist es dir also nicht erlaubt, in der Verschiedenheit der Namen des Herrn auch eine Ungleichheit der Macht zu suchen und wegen der wechselnden Benennung auch einen Unterschied in der Person zu machen. Es ist nicht erlaubt, zu sagen: „Christus ist aus Maria geboren worden und nicht Gott,“ denn der Apostel verkündet: „Gott“ (ist geboren etc.). Es ist nicht erlaubt, zu sagen: „Jesus ist aus Maria geboren worden, nicht Gott;“ denn der Apostel bezeugt: „Gott.“ Es ist nicht erlaubt, zu sagen: „Ein Erlöser ist geboren worden, nicht Gott“ — denn der Apostel bestätigt: „Gott.“ Es gibt keinen Ausweg für dich; welche von den Bezeichnungen des Herrn du immer hernimmst, es ist Gott, was du genannt hast. Es gibt Nichts, was du sagen, Nichts, was du beibringen, Nichts, was du mit ruchloser Falschheit erdichten könntest. Du kannst in deinem gottlosen Unglauben noch Etwas haben, was du nicht glaubst; du hast aber trotz dieser Gelegenheit zum Lästern Nichts, was du läugnen könntest.

       5. Er schließt aus den Geschenken der göttlichen Gnade, die wir durch Christus empfangen, daß derselbe wahrhaft Gott sei .

      

      Weil wir etwas weiter oben angefangen haben, von der göttlichen Gnade unsers Herrn und Heilandes zu reden, so will ich über ebendieselbe Sache aus den heiligen Lesestücken noch Einiges anführen. Wir lesen in der Apostelgeschichte, daß der Apostel Petrus Jene, welche das Evangelium annahmen und nichtsdestoweniger meinten, man müsse das Joch des alten Gesetzes forttragen, so anklagt:25 „Was versuchet ihr Gott, den Schultern der Jünger ein Joch aufzubürden, das weder unsere Väter noch wir tragen konnten? Durch die Gnade unsers Herrn Jesu Christi glauben wir gerettet zu werden, wie auch jene.“ Der Apostel sagt also doch gewiß, daß das Geschenk dieser Gnade durch Jesus Christus gegeben sei. Antworte mir nun, wenn es dir gefällt, ob du glaubst, daß diese Gnade, die zum Heile Aller verliehen ist, von einem Menschen gegeben worden sei oder von Gott. Wenn von einem Menschen, so ruft dir das Gefäß Gottes, Paulus, entgegen und spricht: „Es erschien die Gnade Gottes, unsers Erlösers.“ Er lehrt, diese Gnade sei Sache eines göttlichen Geschenkes, nicht menschlicher Schwäche. Und wahrhaftig, wenn uns auch das heilige Zeugniß nicht zu Gebote stünde, so würde doch die Wahrheit der Sache für sich selbst zeugen; denn das Gebrechliche und Irdische kann doch nicht bieten, was von ewiger und unsterblicher Güte ist; noch kann je Einer dem Andern geben, was ihm selbst fehlt, oder Vorrath von Dem verleihen, woran er nach eigenem Geständnisse Mangel leidet. Du darfst also durchaus nicht läugnen, daß die Gnade von Gott gegeben sei, sondern Gott ist, der sie gab, und gegeben wurde sie durch unsern Herrn Jesus Christus; also ist der Herr Jesus Christus Gott. Wenn er aber, durchaus so wie er ist, Gott ist, so ist Jene, welche Gott gebar, Theotokos, d. i. Gottesgebärerin; wenn du nicht etwa deine Zuflucht zu der so lächerlich widerspruchsvollen Gotteslästerung nehmen willst, daß du Jene, aus welcher Gott geboren wurde, nicht als Gottesgebärerin anerkennst, da du doch nicht läugnen kannst, daß der Geborene Gott sei. Sehen wir aber nun doch nach, was auch das Evangelium Gottes von dieser Gnade unsers Herrn gemeint habe. Es sagt:26 „Gnade und Wahrheit sind durch Jesus Christus geworden.“ Wenn nun Christus ein bloßer Mensch ist, wie sind dann Diese durch ihn geworden? Woher wohnt eine göttliche Kraft in ihm, wenn, wie du sagst, nur menschliche Beschaffenheit in ihm ist? woher göttlicher Reichthum, wenn nur irdische Armuth? Niemand kann geben, was er nicht hat; wenn also Christus göttliche Gnade gab, so hatte er, was er gab. Kann ja doch Niemand den Widerspruch so ganz verschiedener Dinge in sich tragen, daß er zugleich die Noth des Dürftigen leidet und den Reichthum des Freigebigen hat. Da also der Apostel Paulus wußte, daß alle Schätze göttlichen Reichthums in Christo seien, schreibt er mit Recht an die Gemeinden: „Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei mit euch.“ Wer nemlich schon öfter gelehrt hatte, daß Ebenderselbe Gott sei und Christus, daß in ihm alle Majestät der Gottheit sei, und daß leibhaftig in ihm alle Fülle der Gottheit wohne, der wünscht nun gewiß mit Recht ohne Beifügung des Namens Gottes nur die Gnade Christi. Denn da er schon öfter gelehrt hatte, daß die Gnade Gottes und Christi eine und dieselbe seien, so reicht es jetzt vollkommen hin, nur die Gnade Christi zu wünschen, weil er weiß, daß in der Gnade Christi alle Gnade Gottes enthalten sei. Er sagt also: „Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei mit euch.“ Ich frage dich nun, o Häretiker, wer du auch immer seiest, was wünschte der Apostel Paulus, als er Dieß an die Kirchen schrieb, hiemit Denjenigen, an welche er schrieb? Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi, sagt er, sei mit euch. Wenn nun Jesus Christus ein bloßer Mensch war, so verlangt also auch Jener, der da wünscht, es möge den Kirchen die Gnade Christi gegeben werden, daß ihnen die Gnade eines Menschen gegeben werde; und indem er sagt: „Die Gnade Christi sei mit euch,“ sagt er: die Gnade eines Menschen sei mit euch, die Gnade des Fleisches sei mit euch, die Gnade der leiblichen Schwäche, die Gnade der menschlichen Gebrechlichkeit. Oder warum sollte er überhaupt das Wort „Gnade“ anwenden, wenn er die Gnade eines Menschen wünschte? War ja doch an einen Wunsch gar nicht zu denken, wo nichts Wünschenswerthes vorhanden war, und er konnte nicht wünschen, daß Jenen die Gnade Desjenigen zu Theil werde, der, wie du sagst, die Natur der gewünschten Gnade nicht hatte.27 Du siehst also, wie so ganz thöricht und lächerlich Dieß ist, oder vielmehr nicht lächerlich, sondern beweinenswerth; denn was den Leichtsinnigern lächerlich ist, das ist für Fromme und Gläubige beweinenswerth, da sie bei der Thorheit eures Unglaubens Thränen der Liebe vergießen und der Unvernunft fremder Gottlosigkeit ihre weinende Frömmigkeit entgegenstellen. Laßt uns also einmal wieder zu Vernunft und Geist kommen; denn diese Lehre ermangelt nicht nur der Weisheit, sondern auch des Geistes, da sie schlechterdings sowohl leer von geistiger Weisheit als fern von dem Geiste des Heiles ist.