Stefan Frädrich

Das Günter-Prinzip


Скачать книгу

Nun ist zwar gegen vereinzelte Belohnungen in Form von schönen Gefühls-Kicks nichts zu einzuwenden – schließlich machen sie wirklich Spaß. Blöd allerdings wird es, wenn wir es damit übertreiben: Dann bewegt sich Günter nämlich bald nicht mehr freiwillig – so ganz ohne Belohnungs-Kick. Warum sollte er auch die gemütlichen Routinen und Gleichgewichtszustände verlassen, wenn es dafür nicht mal etwas gibt?

      Und so entwickelt sich oft eine Art Belohnungssucht – ohne Kicks fehlt uns (Günter) nun etwas. Und das demotiviert! Denn die meisten Dinge des Alltags sollten wir hinkriegen, ohne extra etwas dafür zu erwarten: ein gewisses Maß an Anstrengung bei der Arbeit, dem Partner im Haushalt helfen, regelmäßig Sport machen – alles eigentlich Selbstverständlichkeiten! Doch was, wenn Günter ohne Belohnung keinen Finger mehr rührt, weil er sie für sein gutes Recht hält? Wenn wir für jede extra Anstrengung im Job ein fettes Lob vom Chef brauchen? Oder besser noch einen Bonus auf dem Konto! Was, wenn wir für jede kleine Gefälligkeit unserem Partner gegenüber besondere Anerkennung erwarten? Und wenn wir ohne die Aussicht auf ein Weißbier hinterher erst gar nicht mehr zum Sport gehen? Dann hat sich unser lustgesteuertes Motivationssystem ins Knie geschossen. Wir werden zu emotional Bedürftigen, die freiwillig keinen Finger mehr krümmen. Au weh.

      Don’t eat the Marshmallow – yet!

      Im Leben bringt uns oft die Fähigkeit weiter, uns Belohnungen kurzfristig zu versagen und sie stattdessen aufzuschieben. Der amerikanische Psychologieprofessor Joachim de Posada hält diese Fähigkeit sogar für den wichtigsten Faktor für Erfolg überhaupt.

      De Posada berichtet von einem Versuch der Standford University: Vierjährige Kinder bekamen die Aufgabe, 15 Minuten alleine in einem Raum zu verbringen. Vor ihnen auf dem Tisch lag ein Marshmallow – für die meisten Kinder eine Köstlichkeit. Dann wurde den Kindern erklärt: Wenn sie es schafften, den Marsmallow nicht zu essen, während sie alleine sind, bekommen sie hinterher zur Belohnung einen zweiten zusätzlich.

      Was war das Ergebnis? Zwei Drittel der Kinder aßen ihren Marshmallow vorzeitig. Ein Drittel aber lenkte sich zum Teil sehr mühevoll von der Aussicht auf den zu erwartenden Genuss ab und hielt die 15 Minuten tapfer durch. Das heißt: Diese Kinder verstanden schon im Alter von vier Jahren, wie wichtig für Erfolg die Fähigkeit ist, Belohnungen zu verzögern! Sie hatten Selbstdisziplin.

      14 bis 15 Jahre später fanden Verlaufsstudien statt: Was war aus den Kindern geworden, die nun mittlerweile 18 oder 19 Jahre alt waren? Die Ergebnisse waren deutlich: 100 Prozent der Kinder, die den Marsmallow nicht gegessen hatten, waren erfolgreich! Sie hatten gute Noten, waren gut drauf, hatten Lebenspläne und gute Beziehungen zu Lehrern und Mitschülern. Bei einem großen Anteil der Kinder aber, die den Marsmallow vorzeitig gegessen hatten, lief es weniger gut: Sie hatten meist schlechte Noten und die Schule längst verlassen. An die Universität oder Karriere war nicht mehr zu denken.

      Das Schmerz-Prinzip

      Die süchtig machende Lust-Orientierung alleine scheint also nicht auszureichen, um Günter wirklich zu dressieren und unser Leben dauerhaft zu verbessern. Unterm Strich tut er nämlich immer das Gleiche: Routinen und Gleichgewichtszustände beibehalten und den Status quo verwalten. Also braucht es manchmal einen viel deutlicheren Handlungsanreiz, damit wir unseren Allerwertesten hochbekommen: Schmerz.

      Was glauben Sie: Was ist der stärkere Antrieb? Das Erleben von schönen Gefühlen oder das Vermeiden von schlechten? Klare Sache: Das Vermeiden von schlechten Gefühlen ist biologisch betrachtet der stärkere Antrieb, weil es viel wichtiger ist! Denn wenn uns irgendetwas wehtut, könnte es gefährlich sein. Und dann sollte die oberste Priorität unseres Gehirns lauten: »Am Leben bleiben, um jeden Preis!« Nicht wahr? Also werden wir alles tun, um tatsächlich erlebten oder auch nur vorgestellten Schmerz, Angst oder allzu großen Stress und Unsicherheit zu vermeiden. Das Schmerz-Prinzip ist ein kategorisches Muss für uns. Dafür nehmen wir zwischenzeitlich sogar ein paar Unannehmlichkeiten in Kauf – und verändern unser Verhalten.

      Haben Sie zum Beispiel schon mal auf eine heiße Herdplatte gefasst? Autsch! Dieser Schmerz ist im Kopf sofort abgespeichert. Da fassen wir nie wieder hin – das Ding kann noch so schön orange leuchten! Oder haben Sie schon einmal von einer/einem Angebeteten einen Korb bekommen? Autsch, auch das sitzt manchmal sehr tief! Und wieder kommt das gleiche Prinzip zum Einsatz: Beim nächsten Möchtegernflirt rät Günter nun zur Defensive – wir verstecken unsere Bewunderung lieber. Zurückweisung tut zu sehr weh.

      Ach, gibt es nicht unzählige Traumata, die uns immer noch beeinflussen, obwohl sie oft Jahre zurückliegen? Schlechte Lehrer in der Schule. Ungerechtigkeit im Job. Die Trennung von Modern Talking. Nie wieder wollen wir also die Schulbank drücken, in einem Laden ohne Betriebsrat arbeiten oder einen Bild-Artikel über Dieter Bohlen versäumen! Alles zu schmerzhaft gewesen für uns.

      Die Flucht vor dem Tiger Oder stellen Sie sich vor, Sie sind mit Ihrer Familie im Zoo spazieren. Nach eineinhalb Stunden tun Ihnen die Oberschenkel weh, denn Sie waren schon mal besser trainiert. Sie suchen sich also eine Bank und setzen sich. Auch dabei bewegen Sie sich nur weg vom Schmerz und hin zur Lust, merken Sie? Und Sie genießen das Sitzen jetzt besonders, weil es vorher so ungemütlich war. Der Kontrast tut gut.

      Nun schicken Sie Ihre Familie weiter: »Wir treffen uns später, ich ruhe mich hier eine Weile aus.« Dann stellen Sie fest: Um Sie herum sind lauter Menschen, die alle in eine Richtung schauen. Warum? Da! Fünf Meter vor Ihnen: der Tigerkäfig. Darin sehen Sie eine große Katze, zwei Meter lang, quer gestreift. Die läuft von links nach rechts und von rechts nach links. Und dann geht die Käfigtüre auf, der Tiger kommt raus und direkt auf Sie zu. Na? Was werden Sie jetzt augenblicklich machen, außer in die Hose? Keine Frage: Sie werden aufstehen und Sie werden laufen – so wie alle anderen um Sie herum auch! Und zwar augenblicklich! Und es wird Sie dabei in keiner Weise stören, dass Sie vorher schmerzende Oberschenkel hatten. Sie werden sich nicht fragen: »Hm, passt das jetzt in meinen Trainingsplan? Was machen da morgen die Laktatwerte?« Oder: »Sieht man, dass beim Laufen mein Popo wackelt?« Das wird Sie alles nicht stören, garantiert. Sie werden laufen, laufen, laufen.

      Die spannende Frage ist jetzt aber: Wie schnell müssen Sie laufen? Also rein objektiv betrachtet. Na? Schneller zu sein als der Tiger werden Sie nicht schaffen, keine Chance. Schneller als die anderen? Nahe dran, aber auch noch nicht ganz richtig. Nein, Sie müssen doch nur schneller laufen als der Langsamste! Klar, oder? Denn wenn der Langsamste gefressen wird, ist der Tiger zu beschäftigt, um Ihnen weiter hinterher zu rennen. Sie schalten also wieder gemütlich einen Gang zurück und sagen empört: »Tierpfleger, schau mal! Darf der das?«

      Immer erst warten, bis es wehtut? Ganz ehrlich: Kennen Sie diese Art der Motivation? Einfach warten, bis es anfängt, richtig wehzutun, und dann machen wir selbst die unangenehmsten Dinge freiwillig: einen ungeliebten Job kündigen, obwohl noch kein neuer in Aussicht ist. Eine kaputte Beziehung beenden, obwohl man aneinander gewöhnt ist. Auf die morgige Prüfung lernen, obwohl wir dafür den Fernseher ausschalten müssen. Wir lassen die Umstände eine Entscheidung treffen. Und ziehen diese dann tapfer durch.

      Leider nur ist der Schaden dann häufig schon größer als er hätte sein müssen: Wir haben jahrelang verpennt, uns nach Jobalternativen umzusehen, und trauen uns fast nichts mehr zu. Wir haben alle Energie in die Ex-Beziehung gesteckt und stehen nun ohne Freunde da. Und den Lernstoff schaffen wir auch nicht mehr, müssen uns also für die Nachprüfung anmelden. Doch die ist zum Glück erst im nächsten Jahr. Also schnell wieder zurück vor den Fernseher!

      Blöd, oder? Können wir nicht einfach freiwillig in Schwung kommen, ohne dass es dazu erst wehtun muss? Können wir Veränderungen nicht angehen, bevor das Kind in den Brunnen fällt? Eigentlich schon. Nur ist auch freiwillige Veränderung mit einem gewissen Aufwand verbunden, einem gewissen Maß an Schmerz also. Und