Stefan Frädrich

Das Günter-Prinzip


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      Die Antwort ist simpel. Gute Läufer sind deshalb gute Läufer, weil sie das Laufen ständig üben. Zwar ist auch ein gewisses Talent dafür ganz praktisch, im Wesentlichen aber ist Laufen Trainingssache. Nur wer oft und ausdauernd genug übt, schafft es nach ganz vorne. (Übrigens sogar dann, wenn das Talent zunächst nicht übermäßig stark ausgeprägt ist. Oder waren Sie als Kind ein Naturtalent beim Sprechen, Schnürsenkel zubinden, Schreiben? Egal – mittlerweile kann man Sie darin durchaus als »talentiert« bezeichnen.) Und genau hier unterscheidet sich die Spitzengruppe von allen anderen: Sie laufen regelmäßig – und zwar unabhängig davon, ob sie es müssen, weil ihnen gerade ein Tiger auf den Fersen ist. Sie laufen, weil ihnen das Laufen an sich so wichtig ist, dass sie es immer wieder trainieren. Und wenn dann mal zufällig ein Tiger um die Ecke kommt, können sie eine viel höhere Leistung abrufen als die anderen, die nur dann trainieren, wenn sie ab und zu »müssen«.

      Na, sehen Sie die Parallelen zum täglichen Leben? Wo etwa der eine mühsam mit Veränderungen kämpft, heißt sie ein anderer herzlich willkommen. Weil der eine sehr routineorientiert denkt und lebt, sieht er Veränderung als Bedrohung an. Während dem anderen schon immer Neugier und Flexibilität wichtig waren und er sich seit Jahren stets freiwillig weiterentwickelt. Wo die Wirtschaftskrise verkrusteten und vertriebsschwachen Unternehmen das Genick gebrochen hat, konnten andere mühelos wachsen. Weil sie sich auch in guten Zeiten stets verbessert haben und dann, als es drauf ankam, leistungsstark in die Lücken springen konnten, die sich auftaten. Wo der eine ewig alleine bleibt, hat der andere längst neue Kontakte geknüpft. Vielleicht weil der eine sozial unbeholfen auftritt, ihm Menschen suspekt sind und er sich kaum im sozialen Austausch übt? Dem anderen hingegen sind vielleicht Kontakte so wichtig, dass er ohnehin ständig Menschen kennenlernt – nicht nur kurz bevor er total vereinsamt. Sie erkennen das Muster: Zwar kann man sich auch im Mittelfeld durchaus mit Veränderungen arrangieren, sein Unternehmen verbessern oder neue Menschen kennenlernen. Man tut es aber nur, wenn man muss. Die Spitze hingegen tut es, weil sie es will.

      Warum aber wollen die an der Spitze immer so leistungsfähig sein? Die Antwort ist erst mal überraschend: Es geht den Top-Performern im Kern gar nicht um Leistungsfähigkeit an sich. Es geht ihnen meist um irgendetwas ganz anderes, das sie mit ihrer Leistungsfähigkeit erreichen wollen: Sie wollen ein aufregendes Leben führen, ein super Unternehmen haben oder sozial gut vernetzt sein. Die Leistungsfähigkeit ist nur die logische Folge ihrer Wünsche. Denn dafür trainieren sie. Es ist wie bei Olympia. Da treffen Sie keinen Hundertmeterläufer, der sagt: »Och, für mich ist so der Weg das Ziel!« Nein, die wollen gewinnen, wenn sie schon antreten. Oder zumindest ganz vorne mit dabei sein. Und genau dafür wird trainiert, genau dafür wird die Fähigkeit geübt, schnell zu laufen.

      Sie sehen: Diese Art der Motivation ist völlig anders als nur der Versuch, nicht vom Tiger gefressen zu werden. Sie wirkt tiefer, dauerhafter, echter. Ich nenne diese Art der Motivation mal das Prinzip »Abenteuer«. Na, erinnern Sie sich? War da nicht was? Stimmt genau: Das Prinzip »Abenteuer« ist nämlich neben dem Betriebssystem »Sicherheit« das zweite große Antriebssystem in unserem Gehirn. Das mit dem Drive nach vorne, welches dafür sorgt, dass wir lernen, uns weiterentwickeln, Risiken eingehen, Neues ausprobieren, uns durchsetzen, uns Fortschritte zutrauen, uns gut unterhalten und insgesamt unseren eigenen Weg gehen. Dank des Betriebssystems »Abenteuer« will Günter die Welt entdecken und erobern. Stichwort »Apple Mac«. Sie wissen schon.

      Es gibt einen Faktor, der ist mit Abstand am wichtigsten dafür, dass wir auf »Abenteuer« umschalten – und zwar die Tatsache, dass wir überhaupt einen Sinn in unserer Handlung sehen! So wie Günter hier im Bild. Sie sehen: Günter kämpft mit einem Drachen. Das sieht gefährlich aus und ist es auch. Es ist definitiv abenteuerlich, was unser Schweinehund hier macht. Nur: Günter macht das nicht nur einfach so aus Spaß. Er macht es, weil er zur Burg will. Denn dort wartet vielleicht ein Goldschatz, er kann König werden oder das sexy Burgfräulein abschleppen. Günter sieht also einen Sinn in seiner Handlung – und er kämpft. Und genau das ist der Punkt: Er hat einen Grund, ohne den er nicht kämpfen würde. Ohne Olympia würde der Läufer nicht ganz so viel trainieren. Und ohne den Wunsch, das Autofahren zu lernen, würden wir uns keine Fahrschule antun. Sprich: Ohne einen sinnvollen Grund sind wir in unseren Handlungen weit weniger motiviert. Schon gar nicht für Spitzenleistungen oder gar Abenteuer.

      Geschichten und Abenteuer treiben uns an

      Übrigens sind Abenteuer ja immer ähnlich aufgebaut – sei es in Kino, TV, Roman oder im Computerspiel: Da gibt es Heldin oder Held. Und die leben in eigentlich stabilen Verhältnissen, alles ist okay in ihrem Leben. Dann aber kommt plötzlich eine große Herausforderung: Es liegt eine Leiche im Vorgarten, es stolpert der vermeintliche Traumpartner ins Leben oder jemand ruft zur Suche nach dem Heiligen Gral auf. Und was machen Heldin oder Held dann? Sagen sie »Och, das ist Sache der Polizei!«, »Ich habe doch schon einen Freundin!« oder »Soll jemand Indiana Jones anrufen!«? Natürlich nicht! Sie nehmen die Herausforderung an, verlassen ihre bequeme kleine Welt und begeben sich auf die Piste – mittenrein in die Mordermittlungen, ins Gefühlschaos oder auf Archäologiereisen.

      Und schon beginnt eine oft rasante Achterbahnfahrt von einer Veränderung zur nächsten. Ständig passiert etwas, kaum steht mal etwas still. Es wird geliebt und gehasst, gefangen und getötet, gesucht und wieder verloren. Bis das Abenteuer vorbei ist: Der Mörder ist gefasst, der richtige Partner liegt im Doppelbett, der Heilige Gral steht sicher im Museum. Und bis es so weit ist, fühlen wir uns prächtig unterhalten: Wir fiebern ständig mit und wollen wissen, was passiert und wie es ausgeht. Sogar wenn der Film spät nachts kommt und wir eigentlich hundemüde sind! Wir überwinden ein schlechtes Gefühl in dem Bewusstsein, einem höheren Ziel zu folgen. Wie der Olympialäufer beim Training. Alles dank der richtigen Handlung, des richtigen Rahmens, des übergeordneten Sinns.

      Es sind also Abenteuer und Geschichten, die uns besonders gut antreiben. Nicht umsonst verpacken auch sämtliche Kulturen dieser Welt ihre Identität und wichtigsten Botschaften in Story-Form. Religionen vermitteln ihre eigene Ethik, Märchen die jeweiligen Werte ihrer Zeit. Und Zeitungen vermitteln Märchen – je nachdem, wo sie gedruckt werden: in Hamburg, Washington oder Pjöngjang. »Der Struwwelpeter« zähmt widerspenstige Kinder. Hollywood vermittelt den Glauben an ein Happy End. Und der Hundertmeterläufer sagt sich eben: »Ich will bei Olympia gewinnen.« Genau so, wie sich der Unternehmer sagt, er will Marktführer werden. Oder wie die Fußballnationalmannschaft die EM oder WM gewinnen will. Sobald die Story steht, beginnt die freiwillige Leistung – selbst wenn es zwischendurch mal anstrengend wird. Wir konstruieren unsere eigene Wirklichkeit. Wir erschaffen uns unsere eigene Welt, unseren Rahmen, der bestimmt, was wir nun tun.

      ÜBUNG

      Das eigene Abenteuer erleben

      Betrachten Sie Ihre typischen Schweinehundesituationen einmal durch die Abenteuerbrille: In welcher einzigartigen Story spielen Sie mit? Welches Drehbuch können Sie durch Ihr eigenes Handeln mitschreiben? Was wollen Sie erreichen? Was können Sie dadurch Spannendes erleben? Was wird sich dadurch verändern? Was wird das für Sie bedeuten? Welches Risiko gehen Sie dadurch ein? Welches Risiko gehen Sie ein, wenn Sie nicht beherzt handeln?

      Überlegen Sie zum Beispiel, mal einen anderen Urlaubsort zu besuchen, und Günter sträubt sich: »Da kennst du dich doch gar nicht aus!«? Dann stellen Sie sich mal vor, was Sie alles erleben können: eine spannende Hotelsuche im Internet, unbekannte Flughäfen, abenteuerliche Transportbusse, exotische Buffets voller unbekannter Gerichte, ungewohnt klingende Sprachen, völlig neue Gerüche, spannende Tauchkurse, viele neue Menschen. Und und und. Oder Sie erwägen eine Umschulung? Wow! Dann können Sie sogar völlig neue Wissenskontinente entdecken: Unbekannte Wörter und Zusammenhänge, neue Menschen und Geschäftsfelder, Aha-Erlebnisse und Lernerfolge – und hinterher fühlen Sie sich, als sei Ihr Gehirn gewachsen. Was für ein Abenteuer! Kaum auszudenken, wenn Sie immer noch den alten Job machen müssten, in dem Sie schon so viele lange Jahre tätig waren …

      Vorsicht, ESOTERIK!?

      Man