am unteren Ende des Drahtzauns und grinste. Das war reine Pfuscharbeit. Er brauchte noch nicht mal eine Drahtschere. Das Zeug war so brüchig und schlecht verarbeitet, dass er sich mühelos durch den Zaun zwängen konnte. Er sah, wie sogar der nächste Pfosten leicht wackelte, als er sich ans Werk machte.
Es dauerte keine zwei Minuten, dann war die Lücke groß genug, dass er durchschlüpfen konnte. Hinter sich zog er den Draht wieder zusammen, sodass man die Beschädigung nicht gleich auf den ersten Blick erkannte.
Steve zuckte zusammen, als der Posten auf dem Turm hustete und kurz danach ausspuckte. Er blieb bewegungslos eine Minute liegen, dann kroch er vorsichtig weiter. Als er im Schutz der Baracken war, richtete er sich wieder auf. Hier war es dunkel genug.
Den ersten Teil seiner Aufgabe hat er geschafft. Er war in der geheimen Anlage, und man hatte ihn noch nicht entdeckt. Der zweite Teil würde schwieriger werden, denn er musste das Mädchen finden und hatte keine Ahnung, wo er Leila Khalef suchen sollte.
Die Schritte hätte er bei seinem angestrengten Nachdenken fast überhört, aber sein Instinkt warnte ihn. Er presste sich eng an die Wand der nächsten Baracke, bückte sich und zog das schmale Messer heraus. Das war nicht der richtige Moment für Schusswaffen. Er nahm die scharfe Klinge in die rechte Hand und wartete.
Die Schritte kamen näher. Es war ein Soldat, dessen Ziel ausgerechnet diese Baracke war. Steve McCoy packte das Messer fester … Pech für den Mann …
Schließlich bog der Schatten um die Ecke. Der Mann trug eine Uniform, an der Hüfte baumelte eine Pistolentasche.
Steve spreizte die Beine ein wenig und ging in die Knie. Die Spitze des Messers zeigte in einem leichten Winkel nach oben.
In diesem Augenblick blieb der Soldat wie vom Blitz getroffen stehen. Er hatte den Amerikaner entdeckt, zumindest seinen Schatten oder das Blitzen der Messerklinge. Steve McCoy hatte keine Wahl.
Er schoss aus seiner gebückten Haltung hoch und sprang den Mann mit einem panthergleichen Satz an, ehe der andere Zeit zu einer Gegenaktion hatte. Der Anprall riss den Soldaten um. Steve schlang dem anderen den Arm um den Hals und presste die Messerspitze gegen seine Kehle. Als ein ängstliches Stöhnen zu hören war, drückte er stärker zu, und ein Blutstropfen erschien auf der Haut.
Sofort war der Soldat wieder still. Langsam löste Steve McCoy seinen Griff und flüsterte leise: „Wenn du still bist und tust, was ich dir sage, passiert dir nichts! Wenn du um Hilfe rufst, stirbst du in derselben Sekunde!“
Der Soldat verstand wohl genug englisch, um die Drohung zu begreifen. Er nickte heftig und sagte mit einem miserablen Akzent: „Ich tue, was Sie sagen, Mister, aber töten Sie mich nicht, ich bin nur ein einfacher Soldat.“
„Das hilft dir auch nichts“, knurrte McCoy, wechselte das Messer in die linke Hand und holte mit der rechten aus.
Die Handkante traf genau den anvisierten Punkt, und der Körper des Soldaten wurde schlaff. Die Bewusstlosigkeit würde ein paar Minuten anhalten.
Steve ließ das Messer wieder in der Scheide verschwinden, packte den Syrer unter den Achseln und schleifte ihn vor die Barackentür. Die Tür besaß kein Schloss. Als er sie aufzog, schlug ihm ein Schwall heißer, stickiger Luft entgegen.
Er zerrte den Mann hinein und sah sich um. Es herrschte fast völlige Dunkelheit, nur durch einige Ritzen in der Wand schimmerte ein schwacher Lichtschein. Die Baracke war bis unter das Dach mit Säcken und Kisten vollgestopft. Er konnte nicht erkennen, was hier gelagert wurde, aber das interessierte ihn im Augenblick auch nicht.
Er zog dem Soldaten die Uniformjacke aus und probierte, ob sie ihm passte. Sie war natürlich viel zu klein, zumal er sie über seine eigenen Sachen zog. Er bekam keinen Knopf der olivgrünen Bluse zu, aber für einen flüchtigen Beobachter in der Nacht würde es vielleicht genügen …
Direkt neben der Tür lagen zahlreiche Stricke – die Reste von ausgepackten Kisten. Er prüfte ihre Reißfestigkeit. Sie würden halten.
Mit schnellen und geschickten Bewegungen fesselte er seinen Gefangenen, sodass er sich in den nächsten Stunden nicht befreien konnte. Ein alter Lappen, der auf einer der Kisten lag, musste als Knebel herhalten. Es würde unangenehm für den Soldaten sein, wenn er aufwachte, aber es war immer noch besser als der Tod. „Denn das wäre die Alternative“, murmelte Steve McCoy leise.
Er warf einen letzten prüfenden Blick in die Runde, ging nach draußen und zog die Tür hinter sich ins Schloss.
Er schwitzte unter dem festen Stoff der Uniform, aber diese Unbequemlichkeit musste er in Kauf nehmen, sie konnte ihm das Leben retten – wenn er Glück hatte.
Vorsichtig spähte er um die Ecke der Baracke. Das Mädchen war sicher in einer Hütte auf der anderen Seite des freien Platzes. Dort gab es Licht, und Posten waren zu sehen. Aber mindestens vier Baracken kamen auf den ersten Blick infrage. McCoy konnte kaum alle einzeln absuchen. Damit würde er sein Glück zu sehr in Anspruch nehmen.
Er beschloss, noch abzuwarten und weiter zu beobachten. Aber plötzlich kam ihm der Zufall zu Hilfe.
Im ganzen Lager erlosch schlagartig das Licht.
Steve zögerte nur einen Augenblick, dann nutzte er die Situation aus. Schnell rannte er über den freien Platz auf die andere Seite, wo die Wohnbaracken standen. Irgendwie war die elektrische Anlage zusammengebrochen, und der Amerikaner hoffte, dass sie auch nicht so schnell wieder funktionierte. Bei der herrschenden Dunkelheit waren seine Chancen erheblich gestiegen.
Er hatte die erste Baracke auf der anderen Seite erreicht und presste sich eng gegen die Wand. Aus dem Innern kamen Stimmen. Männerstimmen. Das war offensichtlich eine Baracke für die Soldaten.
Sekunden später hatte er die nächste Baracke erreicht. Sie war etwas größer. Vor dem Eingang herrschte lebhaftes Kommen und Gehen. Laute Kommandos und wütendes Fluchen schallten über den Platz. Steve McCoy zog sich in den tiefen Schatten zurück, da inzwischen auch einige Taschenlampen aufflammten. Hier konnte er zu leicht entdeckt werden.
Er ging auf die andere Seite der Baracke – und entdeckte das winzige vergitterte Fenster. Sein Atem ging schneller, der Agent blieb stehen. Sollte er heute Nacht so viel Glück haben? Es kam auf einen Versuch an.
Das Fenster lag ziemlich hoch. Selbst wenn er sich auf den Zehenspitzen ausstreckte, konnte er nicht hineinsehen. Er ging in die Knie und federte hoch. Mit beiden Händen packte er die Gitterstäbe und zog sich in die Höhe.
In dem dahinter liegenden Raum war es völlig dunkel. Das Fenster hatte keine Scheibe. Er hörte flaches Atmen. Im Raum befand sich ein Mensch, der offensichtlich den Schlaf des Gerechten schlief.
Steve ließ sich langsam wieder hinunter, und eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter.
Seine Reaktion war rein instinktiv.
Er schaltete blitzschnell, denn er wusste, dass ihm an dieser Stelle mit Sicherheit kein Verbündeter begegnete. Der Mann war also sein Gegner.
Aus dem Sprung heraus machte er eine drehende Bewegung, ging gleichzeitig tiefer, und seine ausgestreckte rechte Hand, hinter der die Wucht seines gesamten Körpergewichts lag, schoss nach vorn.
Der Soldat, der ihn entdeckt hatte, fand nicht mehr die Zeit zu einem einzigen Wort. Der Schlag hatte ihn genau in die Magengrube getroffen. Steve hörte ein dumpfes Stöhnen, dann klappte der Mann zusammen wie ein Taschenmesser und ging zu Boden. Er zog dem Mann die Uniformjacke aus und fesselte ihn damit provisorisch. Ein Halstuch stopfte er in den Mund. Diese Lösung würde allerdings nicht lange reichen.
Steve warf einen raschen Blick in die Runde, aber niemand hatte den Zwischenfall bemerkt. Er zog dem Wachmann das Bajonett aus dem Gürtel. Vielleicht konnte er damit die Gitterstäbe aus der Barackenwand lösen. Er hatte bemerkt, dass auch diese Baracke nur provisorisch gebaut war – sie würde nicht einen einzigen Sturm überstehen.
Er wog das Bajonett in der Hand, sofort setzte er es unter einem hervorstehenden Brett an. Es knirschte, knallend flog ein Nagel davon, dann brach